Wenn der Alt-Kanzler dreimal klingelt [Politik Backstage]
Die Wiederkehr von Sebastian Kurz als Anpatzer hinter den Kulissen ist der neue ‘elephant in the room’ im Regierungsviertel. Nicht nur die Grünen, auch in der ÖVP sind einige alles andere als amused.
Anpatzer hinter den Kulissen: Sebastian Kurz hat ausgewählten Medien höchstpersönlich heikle Passagen im türkis-grünen Sideletter angepriesen.
Auf der Bühne werden einmal mehr Good News geboten. Mit dem Aus für die Sperrstunde um 22 Uhr, dem Ende der 2 G-Regel im Handel und des Wirtshaus-Verbots für Ungeimpfte sollen nun die ungeliebten Masken in den Schulen fallen.
Start der Impfpflicht und wieder freie Fahrt für Ungeimpfte beißen sich zwar nicht nur in Sachen Logik. Karl Nehammer setzt aber nahtlos auf jenen Kurs, mit dem Sebastian Kurz vor seinem Fall eine Zeitlang reüssierte: Fallende Umfragewerte brauchen dringend steigende Populismus-Dosen.
Good Corona-News
gegen Umfrage-Tief
Geändert hat sich nur die Inszenierung: Der neue ÖVP-Kanzler tritt nicht in Erlöser-Pose auf und verkündet Deus ex Corona das neue Kapitel aus seinem Pandemie-Evangelium.
Der Innenminister a.D., der einst respekteinflößende Wesen wie Cobra und Wega befehligte, wird nicht müde sich auf “Gecko” zu berufen. Die Expertentruppe hat zwar jüngst nur sehr vorsichtig ein paar Corona-Lockerungen als möglich qualifiziert. Gegen die Abschaffung der 2 G-Regel meldeten die Experten etwa ausdrücklich Bedenken an. Kollektiven Widerspruch hat Nehammer dennoch nicht zu befürchten. Die in viele Arbeitsgruppen zersplitterte Gecko-Truppe ringt intern noch um den richtigen Weg zur gemeinsamen Willensbildung.
Vergangenen Freitag tagte Gecko einmal mehr. Noch bevor der sehr differenzierte Lagebericht sickern konnte, schuf die Regierung bereits Fakten. Trotz zuletzt täglich neuer Rekordzahlen wollen Nehammer & Co “Perspektiven geben “ und die Corona-Regeln in den ersten drei Februarwochen schrittweise lockern.
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Karl Nehammer lässt am Tag nach dem Gecko-Meeting binnen knapp zwei Stunden Samstagvormittag zu einer Blitz-Pressekonferenz ins Kanzleramt bitten.

Bundeskanzler Karl Nehammer mit Gecko-Repräsentanten Rudolf Striedinger und Katharina Reich sowie Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bei der Blitz-Pressekonferenz am 29. Jänner.
Warum es der Kanzler gar so eilig hatte, bleibt im Dunkeln und lässt Raum für begründete Spekulationen: Nehammer wolle mit der vielfachen Aussicht auf Sonnenschein an der Corona-Front die schweren Gewitterwolken, die neuerlich am Skandalhimmel dräuen, überdecken.
Ära Kurz holt
ÖVP wieder ein
Denn sicher ist zum Zeitpunkt der Good-News-Pressekonferenz bereits: Die ÖVP wird neuerlich von ihrer Kurz-Vergangenheit heimgesucht.
Der langjährige Klubdirektor im blauen Parlamentsklub, Norbert Nemeth, war jüngst zur Aussage bei der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) geladen. Auf der Agenda stand das Verfahren wegen Verdachts der falschen Zeugenaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss, das nach wie vor gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz anhängig ist.
FPÖ-Mann Nemeth erschien offensichtlich mit dem Vorsatz in der WKStA, über die Maßen offenherzig auszusagen. Manche seiner türkisen Ex-Regierungspartner vermuten gar Partei- und Klubchef Herbert Kickl dahinter, dass der blaue Klubdirektor einen wohl gehüteten Schatz aus dem FPÖ-Tresor mitbrachte: Den bislang geheimen Sideletter zum Koalitionsabkommen zwischen Türkis und Blau. Darin werden die personellen Einflusssphären vom Verfassungsgerichtshof bis zur Nationalbank abgesteckt. Auch das Vorgehen bei der Bundespräsidentenwahl (damals noch vier Jahre weit weg) oder der Nominierung des nächsten EU-Kommissars (erst 2024 fällig) festgeschrieben.
Im Kern neu ist ein politischer Pakt wie dieser nicht. Historisch einmalig ist aber, dass ein solcher erstmals schwarz auf weiß vorliegt. Selbst für langgediente Großkoalitionäre überraschend ist, wie umfangreich (samt zahlreichen Namenskürzeln) die Job-Deals in Sachen ORF sind.
Kurz’ Rache für blaue
Flecken: Grüne outen
Einer, den die Preisgabe des Papiers besonders empört, hat offiziell der Politik total abgeschworen. Sebastian Kurz, seit Anfang Februar “Global Strategist” beim US-Milliardär Peter Thiel, alarmiert dennoch umgehend seine früheren Mitarbeiter.
Die Aussage des FPÖ-Klubdirektors vor der WKStA ist für Kurz doppelt heikel. Zum einen strafrechtlich: Kurz blieb auf Fragen nach Personal-Deals vor dem U-Ausschuss aber auch bei der Befragung durch einen Richter im Auftrag der WKStA vage. Im Lichte des türkis-blauen Sideletters stellen sich nun wohl neue Fragen an Kurz durch die Justiz.
Der Kanzler a.D. empfindet die Causa offenbar trotz seines Total-Rückzugs auch politisch besonders brisant. Hier werde versucht, eine seit Jahrzehnten gängige Praxis allein in seinem Fall “zu kriminalisieren”, empört sich Kurz im kleinen Kreis.
Wenige Tage nach der Einvernahme des FPÖ-Klubdirektors wird dessen hochbrisante Aussage via Akteneinsicht der Anwalts-Armada ruchbar. Vergangenen Freitag schlagen im Vorfeld der ersten Storys über den türkis-blauen Sideletter die ersten Medienanfragen bei Kurz’ Medienleuten auf. In den Stunden danach zeigen Kurz und seine engsten Vertrauten, dass die alten Reflexe noch voll intakt sind. Motto: Beim Vorwurf, man habe Dreck am Stecken, hilft nur die Flucht nach vorne. Gegenangriff ist die beste Verteidigung.
Für knapp einen Tag beherrscht der - in Sachen ORF besonders schamlose - türkis-blaue Sideletter die Schlagzeilen. In den Tagen danach ist nachhaltig nur noch vom grünen Sündenfall die Rede. Kurz & Co beweisen einmal mehr, dass sie das Dirty Campaigning nach wie vor im Schlaf beherrschen. In einem ersten Gegenschlag holt die Ex-Kanzler-Truppe jenen Sideletter aus der Schublade, den Grünen-Chef Werner Kogler mit Sebastian Kurz ausgeschnapst hat.
Kurz himself platziert Spin:
Tausche Kopftuch gegen grünen ORF-Job

"Polit-Pensionist" Kurz als Fädenzieher im Hintergrund.
Selbst in den ÖVP-Reihen herrscht anfangs noch Rätselraten, wer hier wann wie die Fäden zog. Ein paar Tage danach ist es gesichertes Wissen: Sebastian Kurz hatte sich am Wochenende selber hinters Telefon geklemmt und bei ausgewählten Medien höchstpersönlich die politisch besonders heiklen Passagen im türkis-grünen Sideletter angepriesen und seinen Spin gesetzt: Die Grünen hätten für die Zusage, den ORF-Stiftungsratschef stellen zu können, einem Kopftuchverbot für Lehrerinnen zugestimmt.
Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler kommt so seit Tagen nicht mehr aus Defensive. Erst versucht er sich mit der Formel “Wir waren zwar neu in der Regierung und nicht naiv” zu rechtfertigen. Tage danach muss er ein “Es tut mir leid nachschieben”.
Das Tauschgeschäft ORF gegen Kopftuch dementiert er. Unbestreitbar bleibt, dass er den Sideletter samt politischen Zusagen selbst Mitgliedern im grünen Verhandlungsteam verschwiegen hat.
ÖVP fürchtet Kurz-Comeback
als Unruhestifter
Wenn der Alt-Kanzler dreimal klingelt, dann ist allerorten wieder Feuer am Dach. Kurz’ Wiederkehr als Anpatzer hinter den Kulissen ist der neue “elephant in the room” im Regierungsviertel.
Das löst Ärger, aber auch Rätselraten in beiden Lagern aus. Karl Nehammer wurde von Sebastian Kurz zwar “zeitnah” informiert, dass er - nachdem der türkis-blaue Sideletter geoutet wurde - nun auch das türkis-grüne Geheimabkommen öffentlich machen werde – zuvorderst zum juristischen Selbstschutz. Dass der Alt-Kanzler zudem auch persönlich die Grünen als Verräter an den eigenen Grundsätzen und selbstherrliche Heuchler anzünden werde, hat auch ÖVP-Kreise am falschen Fuß erwischt.

"Aus Verantwortung für Österreich": Koalitions-Deal mit pikantem Sideletter.
ÖVP-Spitzen quer durchs Land fürchten um den brüchigen Koalitionsfrieden. Denn nach dem - von den Grünen maßgeblich initiierten- Kanzlersturz gab es wochenlang interne Verwerfungen. Beide Lager sind erst dabei, zerschlagenes Porzellan da und dort behutsam wieder zu kitten.
Mit dem Corona-Öffnungskurs sollte ein neuer Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebaut werden. Denn ab März wartet auf das fragile türkis-grüne Beziehungsgeflecht die nächste Belastungsprobe. Im Korruptions-U-Ausschuss will die Vereinigte Opposition mit wohlwollender Anteilnahme des grünen Regierungspartners die Kanzlerjahre von Sebastian Kurz in Sachen Postenschacher und Korruptionsverdacht aufarbeiten. Nervenflattern und Misstrauen könnten im Regierungsviertel so für Monate wieder programmiert sein.
Reicht türkis-grüner Rest-Kitt
für Sauberkeits-Paket?
Derzeit testen beide Lager aus, ob die Basis für ein gemeinsames Sauberkeitspaket noch reicht, um politischen Druck aus dem Ausschuss zu nehmen: Von einer Neuregelung der Parteifinanzen über die Informationsfreiheit bis hin zu neuen Anti-Korruptionsparaphen. Letztere liegen seit November schlüsselfertig aber folgenlos bei den Koalitions-Koordinatoren. Dabei geht es um ein paar Nachschärfungen des Strafrechts, um auch Vorbereitungen für illegale Deals, wie sie das Ibiza-Video nahelegt, schon im Vorfeld von Amtsübernahmen zu ahnden. Bis vor kurzem reichte das gegenseitige Vertrauen nicht einmal für diese “Lex Ibiza”.
Nehammer zürnt
mit Skandal-Flashback
Karl Nehammer, der mit Gecko einen nachhaltigen Befreiungsschlag aus der Corona-Falle erhoffte, ist so über den Flashback in finstere Postenschacher-Zeiten alles andere als amused.
Zum neuen Supergau für das Vertrauen in die Politik, den sein Vorgänger Kurz auch noch massiv befeuerte, sagt der neue ÖVP-Kanzler nur das Unvermeidliche. Unter seiner Führung werde es keine Geheimabsprachen geben, ließ er die “Kronen-Zeitung” knapp aber bestimmt wissen.
Wo immer es geht sucht der ÖVP-Kanzler die klebrige Masse Postenschacher & Korruption aber weiterhin wie der Teufel das Weihwasser zu meiden. Mittwochmittag hat ein ORF-Team im Kanzleramt bereits Kamera, Licht und Ton aufgebaut, um Karl Nehammers Absage an geheime Sideletter in der “Krone” auch dem Millionenpublikum der “Zeit im Bild” in die Wohnzimmer zu servieren.
Der ÖVP-Regierungschef verlässt nach Ende des Ministerrats wehenden Schrittes den Sitzungssaal, lässt das TV-Team links liegen und verkündet atemlos am Weg ins Kanzlerbüro: “Tut mir leid, ich habe keine Zeit. Ich bin den ganzen Tag durchgetaktet.”
Den inneren Fluch über seinen Vorgänger Sebastian Kurz, der ihm weiter in die Suppe zu spucken droht, behält er für sich.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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