Weniger Rot-Weiß-Rot, mehr Grün oder Türkis
Politik Backstage von Josef Votzi: Die Corona-Krise kennt nur einen Gewinner. Die Grünen wollen sich nun dem Schlagschatten des Kanzlers entziehen. Interne Reibereien werden breiter sichtbar.
REDE AN DIE NATION aus dem berühmten Kreisky-Zimmer am Ballhausplatz zum Republiksjubiläum: Solo von Kurz, Grüne waren nur bei der Kranzniederlegung davor dabei.
Über eines können sich Schlüsselminister im türkisgrünen Krisenkabinett nicht beklagen. Sie leiden nicht unter "Social Distancing". Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer & Co sahen einander in den vergangenen sechs Wochen öfter als je zuvor. Zum Innehalten und zur strategischen Reflexion kommen sie freilich selten.
Die grünen Minister mussten daher länger suchen, bis sie einen freien Termin fanden. Am Montag in Woche sechs der Quarantäne zogen sich Werner Kogler, Rudolf Anschober, Leonore Gewessler und Alma Zadić einen ganzen langen Abend aus dem Dauerkrisenmodus zurück, um einmal die zurückliegenden Wochen Revue passieren zu lassen.
Vor allem aber, um erstmals wieder Pläne abseits beinahe täglicher medialer und interner Krisenkonferenzen zu schmieden. Denn mit dem schrittweisen Hochfahren des Landes wollen auch die Grünen politisch wieder "hochfahren".
"Neue Solidarität auch bei Krisenfinanzierung"
Die beinahe täglichen gemeinsamen Auftritte, so das interne Resümee, waren richtig und notwendig, um das Land erfolgreich Richtung Shutdown und nach sechs Wochen Richtung Wiedererwachen zu steuern. "Jetzt müssen wir wieder eigenständig sichtbarer werden", so ein grüner Stratege, "und uns der Gruppendynamik des permanenten Schulterschlusses entziehen."
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Die ersten politischen Projekte für die Re-Emanzipation des kleineren Koalitionspartners sind intern noch in Arbeit, aber die politische Richtung ist klar. "Die neue Form der Solidarität, die angeblich nicht mehr en vogue war und jetzt im Kampf gegen das Coronavirus erfolgreich geweckt wurde, muss auch für die Finanzierung der sozialen und wirtschaftlichen Krise gelten", so ein Spitzengrüner, "außer Frage muss auch stehen, dass wir mehr denn je einen starken Staat und ein nicht kaputtgespartes Gesundheitssystem brauchen. Die Krise hat gezeigt, wie sehr sich diese bewährt haben" (siehe auch Interview mit Werner Kogler im trend.PREMIUM 18/2020 auf Seite 30).
Eines lässt sich so jetzt schon sagen: Konflikte sind programmiert.
Denn Sebastian Kurz und sein Team haben derzeit wenig Bedarf an politischen Profilierungsplänen. Die Türkisen dominieren bereits jetzt das Krisenmanagement. "Krise ist seins", sagt ein langjähriger Kurz-Kenner. Mitterlehners Sturz; Neuwahlen; Ibiza, Kickls Sturz; Abwahl, Neuwahlen - im Umgang mit Krisen hat der 33-jährige Kanzler reichlich Erfahrung.
Kurz' Kreisky-und Figl-Moment
Sebastian Kurz bleibt mehr denn je jener Kontrollfreak, dem er diesen steilen Aufstieg verdankt. Er überlässt, dort, wo er kann, so weiterhin nichts dem Zufall. Die Corona-Krise kam wie ein Tsunami in Zeitlupe über ganz Europa. Die Gegenwehr ließ sich zunehmend steuern, gefragt war aber "Fahren auf Sicht".
Mittelfristig besser planbar war das, was Sebastian Kurz in den Wochen vor Ostern mit Blick auf die christliche Mehrheit im Land hartnäckig "Wiederauferstehung" nannte: wer wann wo mit Masken- und Abstandspflicht wieder in die "neue Normalität" darf.
Leichter planbar war auch die jüngste Soloinszenierung des Kanzlers. Der 75. Jahrestag der "Wiederauferstehung" Österreichs nach der Hitler-Barbarei war ursprünglich als Festakt mit 550 Gästen in der Hofburg und zahlreichen Reden angelegt. In Corona-Zeiten gehörte er allein dem Kanzler. Am Beginn des Shutdowns nutzte Kurz die Ungunst der Stunde für seinen Kreisky-Moment: Die Regierung werde um jeden Arbeitsplatz kämpfen, "koste es, was es wolle".
Am Beginn der "Wiederöffnung" des Landes suchte der Kanzler im Kreisky-Zimmer am Ballhausplatz seinen Figl-Moment zu setzen: Er könne heute nicht versprechen, dass es bald wieder so wird wie vorher. "Ich kann aber versprechen, dass wir alles dafür tun werden."
Mehr als eine Nebenrolle war auch am großen Feiertag der Republik für den grünen Regierungspartner nicht drinnen, also die Anwesenheit von Vizekanzler Werner Kogler bei der im Vorfeld üblichen Kranzniederlegung.
Dass es dabei bleibt, darauf haben Kurz und sein Team auch in Ausnahmezeiten wie diesen ein wachsames Auge. In der Corona-Krise hatte sich neben Kurz Gesundheitsminister Rudolf Anschober als neuer Star der Grünen etabliert.
Reibebäume Kurz und Anschober
Kurz und Anschober stehen nicht nur stellvertretend für den Regierungsslogan "Das Beste aus beiden Welten", sie trennen in Stil und Inhalt da und dort auch Welten.
Anschober punkte vor allem mit " seinem Augenmaß und seiner Fehlerkultur", sagt ein grüner Stratege. Der aufsehenerregende "Ostererlass", der entgegen allen vorhergehenden Orders plötzlich Zusammenkünfte von fünf Personen gestatten wollte, wurde umgehend als Fehler eingestanden und repariert.
Der ÖVP-Chef hingegen "hasst es, Fehler zuzugeben", er sieht das als Signal der Schwäche, sagt ein Kurz-Kenner. Der Kanzler propagierte daher auch bei höchst umstrittenen Corona-Entscheidungen, wo immer er konnte: "Ich bin sicher, dass wir die richtigen Maßnahmen gesetzt haben."
Der Gesundheitsminister sagt von sich selber im kleinen Kreis: "Wenn ich vor einer schwierigen Entscheidung stehe, wäge ich die Argumente sehr genau ab. Wenn ich mir nicht ganz sicher bin, überschlafe ich die Entscheidung lieber einmal." Auch Kurz, sagen seine engsten Mitarbeiter, wolle im Vorfeld durchaus viele Meinungen und Argumente hören: "Er ist aber sehr 'pushy', um dann rasch zu Entscheidungen zu kommen."
Daran entzündeten sich zuletzt regierungsintern Scharmützel und Konflikte. Je mehr Rudolf Anschober mit seinem bedächtigen Auftreten auch in der Öffentlichkeit punktete und je näher er in den Meinungsumfragen dem Strahlemann im Kanzleramt rückte, desto öfter wurde aus dessen Umgebung Richtung Medien gestreut: Der Gesundheitsminister bremse oft zu sehr, es sei oft mühsam, die richtigen Maßnahmen rasch zu setzen.
Je näher Anschober Kurz in Meinungsumfragen rückt, desto öfter werden Gerüchte Richtung Medien gestreut.
Für nachhaltige Verstimmung sorgte im Kanzleramt Anschobers Umgang mit Kritik von Opposition und Experten. Kurz tat Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit nicht nur als juristische Spitzenfindigkeit ab. Er merkte auch flapsig an, es sei selbstredend Sache des Verfassungsgerichtshofs, diesen Einwänden nachzugehen. Bis dahin würden diese aber ohnehin nicht mehr gültig sein.
Die umgehende Wortmeldung "Ich bin kritikfähig" des für die umstrittenen Erlässe verantwortlichen Gesundheitsministers wurde am Ballhausplatz wohl nicht zu Unrecht als subtile Spitze Richtung Kanzler verstanden.
Als Rudolf Anschober eine Arbeitsgruppe zur Prüfung und, falls nötig, Reparatur seiner Erlässe einsetzte, drehte Kurz verärgert den Spieß um und setzte seine Kanzleramtsministerin als Frau fürs Grobe in Marsch. Karoline Edtstadler erklärte spitz: Für die Richtigkeit von Gesetzen und Erlässen sei niemand anderer als der zuständige Minister verantwortlich.
Türkise Falle Überheblichkeit und Sarkasmus
Es ist so auch kein Zufall, dass nun auch Protokolle über interne Debatten, wie sehr man auf Angst zum "Wachrütteln" der Bevölkerung setzen soll, publik werden. Eine Fortsetzung des externen Geplänkels über das interne Tauziehen ist absehbar.
Der neue grüne Star wird auch bei den Plänen der Grünen, nach dem radikalen Shutdown und totalen Schulterschluss wieder eigenständiger politisch "hochzufahren", eine tragende Rolle spielen. Das könnte die vom Kanzleramt befeuerte Rivalität auch nach außen hin noch spürbarer machen.
Denn niemand ist auf die Wahrung seines guten Images in der Öffentlichkeit derart eisern bedacht wie Sebastian Kurz. "Er ist total marketinghörig und denkt immer an die nächste Schlagzeile", so ein Ballhausplatz-Insider.
Unter Druck passieren aber auch dem einmaligen Marketingtalent Fehler. Er überzieht dann wie bei der Debatte um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen oder flüchtet in Zynismus.
Vergangene Woche feixte Kurz im Parlament, als ihn nach Wochen des parteiübergreifenden Schulterschlusses erstmals wieder eine Welle von Kritik erwartete: "Ich bin erfreut und zufrieden, dass die Abgeordneten wieder in der Normalität angekommen sind." Soll heißen: "Bitte kritisiert mich weiter hier laut und deutlich. Das hilft mir nur. Denn die, die mir wirklich wichtig sind, sehen das ganz anders: meine Wähler und Regierungskollegen."
Das trifft derzeit noch die Stimmungslage der Mehrheit im Lande. Auf Dauer kommt Sarkasmus oder gar Zynismus aber selbst aus dem Munde eines scheinbar "in Drachenblut gebadeten Politikers" ("Der Spiegel") nicht gut an. Das Match der beiden derzeitigen Umfragelieblinge der Österreicher, Sebastian Kurz und Rudolf Anschober, wäre damit neu eröffnet.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend beleuchtet er wöchentlich Österreichs Politik.
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