12-Stunden-Arbeitstag: ÖVP und FPÖ gegen Arbeitnehmervertreter

Die ÖVP/FPÖ-Regierung wird den 12-Stunden-Arbeitstag auch gegen den Willen der Sozialparter - Arbeiterkammern und Gewerkschaften - durchsetzen. Industrie und Hoteliers jubeln, Arbeitnehmervertreter protestieren.

12-Stunden-Arbeitstag: ÖVP und FPÖ gegen Arbeitnehmervertreter

Zwölf Stunden lang arbeiten: Für die ÖVP/FPÖ-Koalitionsverhandler eine "Flexibilisierung", für Gewerkschaften und Arbeiterkammern eine "Bedrohung".

"Wir akzeptieren die Sozialpartner und wollen auch weiter mit ihnen zusammenarbeiten, wenn man etwas bewegen will, muss man aber auch etwas duechsetzen." Mit diesen Worten erklärte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Nikolaustag des Jahres 2017, dass die künftige ÖVP/FPÖ-Regierung, an deren Bildung er seit Wochen mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz feilt, in Österreich den 12-Stunden-Arbeitstag einführen wird.

Mit der als "Arbeitszeitflexibilisierung" bezeichneten Regelung, konkreter "Neuregelung zur Flexibilisierung und Entbürokratisierung der Arbeitszeitgesetze (Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhegesetz)" will die Regierug den jahrelangen Rufen - die besonders laut aus der Industrie und der Gstronomie und Hotellerie kamen - entgegenkommen und den Arbeitgebern einen lange gehegten Wunsch erfüllen. Zusätzlich soll die Höchstgrenze der Arbeitszeit auf bis zu 60 Stunden wöchentlich angehoben werden. Das entspricht fünf 12-Stunden-Arbeitstagen pro Woche. Zudem sollen im Tourismus, in der Hotellerie oder Gastronomie die Ruhezeit für Betriebe mit geteilten Diensten von elf auf maximal acht Stunden verkürzt werden. (Siehe das folgende Video mit der entsprechenden Erklärung von Sebastian Kurz ab Minute 3:00)

Pressekonferenz nach den Koalitionsverhandlungen mit H.C.Strache und Sebastian Kurz am 6.12.2017; Erklärung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit ab Minute 3:00

Laut Kurz gehe es darum, dass dann gearbeitet werden soll, wenn Arbeit ansteht und gleichzeitig mehr Freiraum für die Familie entsteht. "Wir sehen keinen Eingriff in die Kollektivverträge vor. Wir wollen sicherstellen, dass die gesetzliche wöchentliche Arbeitszeit gleich bleibt und auch Überstunden abgegolten werden", erklärte er.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) schreibt den EU-Ländern übrigens vor, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden, alle Überstunden eingeschlossen, zu gewährleisten.

Industrie und Hoteliers sind mit den Plänen der Koalitionsverhandler sehr zufrieden. Die Ausdehnung sei ein "kluger und wichtigen Schritt im Sinne eines starken, wettbewerbs- und zukunftsfähigen Wirtschaftsstandortes", merkte etwa IV-Generalsekretär Christoph Neumayer an. Sehr zufrieden ist auch die Hotellerie, die derzeit massiv über einen Fachkräftemangel klagt. Dass die Ruhenszeiten zwischen zwei Diensten um drei Stunden auf acht Stunden verkürzt werden soll sowie eine mögliche längere Tagesarbeitszeit "erleichtert es, unsere Dienstleistungen für den Gast zu erbringen", erklärte Petra Nocker-Schwarzenbacher, Obfrau der Bundessparte Tourismus in der Wirtschaftskammer.

Straches "Umfaller"?

Vor etwas mehr als vier Jahren, im September 2013, war ein Zwölf-Stunden-Arbeitstag war für FPÖ-Chef Strache noch "eine asoziale, leistungsfeindliche Idee, die für alle Arbeitnehmer Nettolohnverluste bedeuten würde". In einem Kurier-Interview erklärte er damals: "Jeder arbeitende Mensch hat es sich verdient, wenn er mehr als acht Stunden am Tag arbeitet, diese Mehrstunden als Überstunden ausbezahlt zu erhalten. Ich möchte darüber hinaus die Überstundenbesteuerung abschaffen, damit Leistung sich wieder lohnt." Davon ist nun keine Rede mehr.

Martin Risak, Arbeitsrechtsexperte der Uni Wien, merkt an, dass wenn künftig die elfte und die zwölfte Arbeitsstunde zur Normalarbeitszeit zähle, dann auch der Überstundenzuschlag wegfallen würde. "Der Teufel steckt im Detail", meinte Risak in einem Gespräch mit dem "Ö1 Mittagsjournal". Im übrigen sei derzeit die Zahl der Überstunden gedeckelt, was bei einer Ausdehnung des derzeit zehnstündigen Arbeitstages auf zwölf Stunden - bei vollen Überstundenzuschlägen - zu berücksichtigen wäre. Außerdem sei es ohnehin seit 2012 erlaubt, zwölf Stunden am Stück zu arbeiten

Noch-Kanzler Kern kritisiert

Der immer noch amtierende Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern verurteilte die Vorgehensweise und die Pläne der Koalitionsverhandler scharf. "Wir wissen, dass sich die Arbeitswelt und die Bedürfnisse der Menschen verändern, auch die der Arbeitgeber. Aber es kann nicht sein, dass hier einseitig Vereinbarungen getroffen werden, wo nur die Arbeitgeber profitieren", hielt er fest. Vorgeschlagen werde ein Geschäft zulasten der Arbeitnehmer, wo die Arbeitgeber die Bedingungen diktieren.

Von einer neuen Regelung der Arbeitszeiten müssten beide Seiten - also sowohl die Arbeitgeber ala auch die Arbeitnehmer - etwas haben. Das sehe ich aber weit und breit nicht." Es könne nicht sein, dass große Industrielle Geld für eine Wahlkampagne spenden und dann werde punktgenau geliefert.

In seinem Plan A habe er Wahlarbeitszeiten vorgeschlagen, nach denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam entscheiden, wann und wie viel gearbeitet wird. Auch dass Vereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilisierung im Einvernehmen mit den Betriebsräten geschaffen werden sollen, beruhige ihn nicht. "Hier wird ein Ungleichgewicht geschaffen. So etwas gehört auf Kollektivvertragsebene geregelt, wie es bei den Metallern passiert ist." Dass die Überstundenzuschläge nicht fallen sollen, hielt Kern für das Mindeste: "Denn wenn es dazu käme, gäbe es einen Aufstand."

Gewerkschaften und Arbeiterkammern protestieren

Die Gewerkschaft vida sieht in der Kürzung der Ruhezeit von elf auf acht Stunden "einen Anschlag auf die Gesundheit der Beschäftigten". Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der vida, verwies darauf, dass es in fast keiner anderen Branche so viele Langzeitkranke gebe wie im Tourismus. Acht Stunden Ruhezeit nach zwöf Stunden Arbeit sind für Tusch daher extrem problematisch.

Die Produktionsgewerkschaft ProGe sieht den geplanten Zwölf-Stunden-Arbeitstag ebenfalls als Erfüllung einer langjährigen Arbeitgeber-Forderung sowie als ein Ergebnis der Großspenden aus der Wirtschaft für den Nationalrats-Wahlkampf von Sebastian Kurz "Die industriellen Wahlkampf-Großspender der türkisen ÖVP haben ihr Ziel nun erreicht", kritisierte ProGe-Vorsitzender Rainer Wimmer, der befürchtet, dass der Zwölf-Stunden-Tag bald nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein wird.

Ähnlich die weiteren Stimmen. AK-Präsident Rudolf Kaske betonte: "Bei der Arbeitszeit geht es nicht nur um die Wünsche der Wirtschaft. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein Recht auf Familienleben und Freizeit." AK OÖ und ÖGB-Präsident Johann Kalliauer hält den Zwölf-Stunden-Arbeitstag für einen "massiven Angriff auf Arbeitnehmer". Für Wolfgang Katzian, Vorsitzender der FSG (Fraktion der Sozialdemokratischen GewerkschafterInnen), bedeuten die Pläne von ÖVP und FPÖ "mehr Arbeit für weniger Geld".

Der steirische Landeshauptmann-Stv. Michael Schickhofer (SPÖ) verweist auf die dadurch schwieriger werdende Vereinbarkeit von Beruf und Familie: "Natürlich werden vor allem viele Frauen in Zukunft zwölf Stunden arbeiten müssen - obwohl gerade die Frauen sehr oft den Kinderbetreuungspflichten nachkommen oder den Haushalt neben ihrem Job erledigen. Was haben die Frauen davon, wenn es in der ohnehin stressigen Weihnachtszeit heißt: 'Jetzt musst Du 60 Stunden arbeiten. Du kannst dann eh im Jänner am Dienstag und Mittwoch daheim bleiben."

SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek erinnerte heute daran dass "in den meisten Regionen Österreichs die Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen gar nicht auf 12-Stunden-Tage der Eltern ausgerichtet" sind. Monika Vana, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen Fraktion im Europaparlament, sieht in den ÖVP-FPÖ-Plänen wiederum einen "massiven Angriff auf die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer".

Befürchtungen der Arbeitnehmer

Seitens der Arbeitnehmer gibt es ebenfalls erhebliche Bedenken. Einer von der AK jüngst initiierten Umfrage an der über 16.000 Personen teilgenommen haben zufolge glauben

  • 83 Prozent, sie wären von einem 12-Stunden-Tag betroffen.
  • 90 Prozent sagen es wäre für sie „sehr oder eher schwierig“, wenn der Arbeitgeber jederzeit 12-Stunden-Arbeit verlangen könnte.
  • 89 Prozent sagen, es wäre für sie „sehr oder eher schwierig“, wenn ihnen vorgeschrieben würde, wann Zeitguthaben aufzubrauchen sind.
  • 83 Prozent , es wäre für sie „sehr oder eher schwierig“, wenn an mehreren Tagen hintereinander 12 Stunden lang gearbeitet würde.
  • 95 Prozent , es wäre „sehr oder eher wichtig“ für sie, selbst zu entscheiden, wann Gutstunden verbraucht werden.
  • 74 Prozent der Eltern es wäre „sehr oder eher schwierig“, 12-Stunden-Arbeitstage mit den Bedürfnissen der Kinder zu vereinbaren.
  • 80 Prozent sind der Ansicht, Sport und Hobbys wären bei 12-Stunden-Arbeitstagen vernachlässigt.
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