Politik Backstage: Der Superspreader muss Rot tragen

Das türkise Dauerfeuer aufs Wiener Rathaus ging bislang nach hinten los. Die Kritik war einseitig, aber berechtigt. Wegen des Chaos bei Tests und Contact-Tracing zieht Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Wahlkampf-Finale nun die Notbremse.

Thema: Politik Backstage von Josef Votzi
Peter Hacker, Wiener Gesundheitsstadtrat

Reibebaum Peter Hacker. Der rote Wiener Gesundheitsstadtrat wird von den Türkisen im Bund immer wieder ins Visier genommen.

Peter Hacker, Wiens streitbarer Gesundheitsstadtrat, trägt neuerdings rote Hosenträger. Bislang war das allein das Markenzeichen des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig. Werden Hosenträger statt ordinärer Gürtel nun zur Trademark der ganzen männlichen roten Rathausführung?

Peter Hackers neues Accessoire hat einen simplen Grund. Der rote Manager darf aus gesundheitlichen Gründen keinen Gürtel tragen. Wegen einer lästigen Entzündung in der Gegend des Hosenbunds musste er kürzlich auch für ein paar Tage ins Krankenhaus.

Er hatte Glück. Sein Spitalsaufenthalt wurde von keinem FPÖ-nahen Medium ausgespäht und auch nicht von einem Boulevard-Medium mit scheinheiliger Schlagzeile bedacht: Geheimer Krankenhausaufenthalt von Wiens Gesundheits-Stadtrat löst große Sorge aus. Muss Wien inmitten in der größten Gesundheitskrise um Peter Hacker bangen?

Im Fall von Rudolf Anschober blieb dieses schamlose Boulevard-Stück jüngst keine Fiktion. Ein Durchuntersuchung, die schon länger auf der Agenda stand, wurde nach dessen Einrücken in ein Krankenhaus zur existentiellen Gesundheitskrise hochgeblasen.

Ein Corona-infizierter Wahlkampf

Der wichtigsten Wahlkampflokomotive an der Seite von Michael Ludwig blieb diese Medieninszenierung, angefeuert vom politischen Gegner, erspart. Peter Hacker erfreut sich sichtlich bester Gesundheit und ist nach kurzem Boxenstopp weiterhin Dauergast in TV-Studios, Radiostationen und auf den Corona-Seiten der Online- und Printmedien.

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Denn in Wien wird - bislang ohne massive persönliche Untergriffe - politisch bereits seit Monaten scharf geschossen. Auf der Vorderbühne geht es darum, wer im Wiener Rathaus nach dem 11. Oktober mit wie viel Wählerrückenwind den Ton angibt.

Tatsächlich hat das Coronavirus auch den Wien-Wahlkampf nachhaltig infiziert, eingeschleppt von Akteuren der Bundespolitik. Die Türkisen brachten schon nach den ersten Lockerungsmaßnahmen nach dem Shutdown Innenminister Karl Nehammer in Stellung. Wien habe wieder "besorgniserregende Zahlen" und brauche einen "Wellenbrecher", so der Hietzinger Bezirksparteiobmann mit niederösterreichischen Wurzeln: Die Stadtregierung lehne trotz langer Wartezeiten bei Test- Hotlines und Engpässen bei der Kontaktrückverfolgung angebotene Mithilfe etwa durch die Polizei ab.

Die SPÖ inszenierte sich postwendend als Opfer einer von Türkis bewusst befeuerten Corona-Angst und ortete gezieltes "Blaming" der Wiener SPÖ. Motto: Der politische Superspreader muss Rot tragen.

Rote Fama: Kurz will Lockdown vor der Wien-Wahl?

Nehammer lag mit seiner Kritik an massiven Defiziten bei der Umsetzung der Anti-Corona-Politik prinzipiell nicht falsch. Einige Länder- und Bezirksverwaltungen sind sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie bei der Umsetzung der Anti-Corona-Maßnahmen noch immer zu langsam und fahrlässig unterbesetzt.

Kurz' türkiser Sheriff in Zivil hat öffentlich freilich nur Wien an den Pranger gestellt - und politisch damit bislang aber das Gegenteil provoziert. Im Rathaus registrierte man erfreut steigende Umfragewerte für die Bürgermeisterpartei. Auch im direkten Vergleich schmierte der türkise Innenminister gegen den roten Gesundheitsstadtrat ab. 21 Prozent der Wiener gaben in Umfragen Karl Nehammer Recht, 42 Prozent Peter Hacker. Eindeutig war vor Kurzem auch noch das Gesamtzeugnis: 62 Prozent der Wiener sagten, die Rathauspolitiker hätten die Corona-Pandemie "sehr oder eher" im Griff, 22 votierten für "weniger im Griff", zehn Prozent für "gar nicht".

Rote Fama: Kurz will Lockdown vor Wien-Wahl Als die Corona-Kommission vor zwei Wochen die erste Ampelschaltung im Falle Wiens vom Start weg auf Gelb schaltete, witterte Peter Hacker offenbar neuerlich die Chance, von der Opferpose zu profitieren. Es sei kein Zufall, dass zwei rote regierte Städte wie Linz und Wien als erste auf Gelb gestellt würden. Dass das zeitgleich gelb markierte Graz türkis regiert wird, ließ Wiens roter Vorzeigepopulist unter den Tisch fallen.

Im Wiener Rathaus hält sich zudem hartnäckig die Fama, Kurz &Co würden daran arbeiten, Wien zwei Wochen vor der Wahl auf Rot und damit praktisch auf Lockdown zu stellen - um Wiens Rathausriege kurz vor dem 11. Oktober als Anti-Corona-Versager an den Pranger stellen. "Kurz ist es noch nie um das Virus gegangen, sondern nur darum, wie er Netflix-artig in der nächsten Staffel des Corona-Dramas als Held glänzen kann", sagt ein hochrangiger Rathausmann.

Corona-Schlampereien in Wien potenzieren sich

Kurz & Co machen in der Tat nicht gerne Gefangene und sind in der Wahl ihrer politischen Mittel erwiesenermaßen schmerzbefreit. Mit einem zweiten Lockdown in Wien würde Kurz wohl aber auch einen Aufstand der eigenen Klientel riskieren.

Vier Wochen vor der Wahl hat in der Wiener Stadtspitze eine neue generelle Einschätzung der Lage die Oberhand genommen: Die SPÖ hat die Anti-Wien-Dividende schon kassiert. Die Wahlstrategen kalkulierten: Mehr geht im Moment nicht mehr. Stehen Ludwig & Co aber angesichts immer lauterer Kritik am breit sichtbaren Corona-Schlendrian weiter beleidigt auf der Bremse, dann könnte der bislang nützliche Infight mit der ÖVP zum Bumerang für die SPÖ werden. Wien ist nicht das einzige Bundesland, in dem das Corona- Management nach wie vor nicht hinhaut. Da Wien aber die einzige Millionenstadt des Landes ist, fallen Mängel besonders stark ins Gewicht.

Schlampiger Umgang mit Abstandsregeln und Masken, ausgelassene private Feste und grenzlegale Partys in "Privat"-Clubs auf engstem Raum sowie Sprachbarrieren bei der Kommunikation mit den vielfältigen Communitys der Stadt potenzieren sich.

Noch vor Kurzem wurde im Wiener Rathaus nur gemauert: Danke, wir brauche keine Hilfe, wir haben alles im Griff. Berichte über skandalöse Mängel von Betroffenen wurde als bedauerliche Einzelfälle abgehandelt. Vier Wochen vor dem Wahltag zieht die Stadtpolitik nun mit einer Ankündigung die Notbremse. Die 250 Mitarbeiter, die bisher die Kontaktrückverfolgung zu stemmen haben, sollen um 200 Mitarbeiter aufgestockt, das Team der Hotline 1450 etwas verstärkt werden. Auch auf die deutsche Reisewarnung - wer aus Wien kommt, braucht einen Test oder muss in Quarantäne - reagierte Wiens Bürgermeister einsichtig: Das sei angesichts ähnlicher Reisewarnungen für Metropolen wie Brüssel, Paris, Prag oder Genf erwartbar gewesen.

Grün wollte Wien-Kritik aus Wahlkampf raushalten

Dass die Testungen nach wie vor infektiös lange dauern, bleibt aber Schuld anderer. Das Gesundheitsministerium habe es verabsäumt, proklamiert Peter Hacker, Labors vertraglich exklusiv an sich zu binden und mit 85 Euro ein offenbar zu niedriges Testhonorar als Obergrenze eingezogen. Labore, die im Wiener Raum für privat bezahlte Tests 120 bis 190 Euro lukrieren, würden so der besser zahlenden Privatklientel beim Tempo der Auswertung den Vorzug geben.

Im Regierungsviertel heißt es bei Türkis und Grün unisono: "Corona trägt keine Partei- oder Länderfarbe, die Corona-Krise muss gemanagt werden. Wien ist nicht das einzige Bundesland, das das Infektionsgeschehen nicht ausreichend im Griff hat. Aber im Fall einer Großstadt schlagen die Defizite quantitativ besonders stark durch. Das bleibt ärgerlich." Die Grünen wollten, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die Wiener Stadtpartei, das schleißige Corona-Management aus dem Wahlkampf heraushalten.

Von der Balkanroute zur Coronaroute

Die Türkisen können es bis heute trotz des Bumerang-Effekts nach den Serienattacken noch immer nicht lassen. Anfang der Woche versuchte Karl Nehammer den Doppelschlag: mit einem Medley aus den Kurz-Dauerhits "Balkanroute schließen" und "Coronaroute schließen".

Wegen der, so der ÖVP-Innenminister, schwer kontrollierbaren Virusgefahr im Flüchtlingslager Traiskirchen bot er dem Wiener Bürgermeister an, 100 der 170 dort wohnenden unbegleiteten Minderjährigen zu übernehmen. Schließlich habe Rot-Grün in Wien jüngst 100 Flüchtlingen aus Moria Herberge angeboten.

"Den Türkisen fällt im Moment offenbar nichts mehr ein. Das ist durchsichtige parteipolitische Haxelbeißerei, die nur nach hinten losgehen kann", feixt ein roter Wahlkampfstratege.

Michael Ludwig hatte so wenig Mühe, die türkise Falle zu entschärfen: Wenn im Flüchtlingslager des Innenministers tatsächlich derart katastrophale Zustände wie in Moria herrschten, sei er gerne bereit Jugendliche in Wien aufzunehmen.


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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