Politik Backstage: K-und-K-Dämmerung, bitte warten
Dauerknatsch um Corona, Krach wegen Moria. Wie gut können die beiden politischen Antipoden Sebastian Kurz und Werner Kogler zu ihrem ersten Jahrestag noch miteinander? Ein Jahr Türkis-Grün in drei empirisch gestützten Thesen.
Sebastian Kurz und Werner Kogler am Wahlabend or einem Jahr: Trotz zunehmendem Hickhack bis auf Weiteres aneinandergefesselt.
Es ist gerade ein Jahr her, dass am 29. 9. 2019 zwei Parteien in der Tat allen Grund zur Freude hatten: Die Türkisen holten sich mit 37,5 Prozent der Stimmen neuerlich einen massiven Egoschub. Die Grünen, die 2017 aus dem Parlament geflogen waren, feierten mit 14 Prozent ein Sensationscomeback.
Ein Jahr danach lesen sich diese Jubelmeldungen wie Nachrichten von einem anderen Stern. Seit Wochen beherrschen Krisenberichte die Schlagzeilen. Mal hakt es zwischen Türkis und Grün bei Anti-Corona-Maßnahmen, mal kracht es in der Flüchtlingsfrage.
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Türkis und Grün sehen zum Jahrestag der Wahl keinen Grund, zu triumphieren, aber jede Menge Gründe, zu lamentieren - vor allem übereinander. Leitartikler argwöhnen bereits: Wie lange kann das türkis-grüne Experiment so noch gutgehen?
Wie können die beiden politischen Antipoden im Alltag nun tatsächlich miteinander? Eine Einhegung des Jahres eins von Türkis-Grün in drei empirisch gestützten Thesen:
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1. Keine Liebesheirat, eine Fernbeziehung
Wenn Werner Kogler noch wenige Wochen vor dem Wahltag 2019 von der "türkisen Schnöseltruppe" sprach, war das kein Satz, den ihm ein PR-Berater als erfolgreichen Sager vorkauen musste. Koglers Schnösel- Bild kam aus tiefstem Herzen. Daran vermochte auch das erste türkis-grüne Beschnuppern von Kurz und Kogler am Rande des jährlichen Sommerfestes der "Kleinen Zeitung" im Stammhaus des "Steirerecks" am Pogusch noch nichts nachhaltig zu ändern. Die grüne Klubobfrau Sigi Maurer gestand nach dem erfolgreichen Koalitionspoker im kleinen Kreis wiederholt ein, dass nicht wenige der türkisen Akteure beim ersten Kennenlernen überraschend an Sympathie gewonnen hätten.
Es waren und sind aber nach wie vor Partner aus zwei diametralen Welten. Türkis-Grün war keine Liebesheirat und bleibt eine Fernbeziehung, wo jeder im Alltag lieber unter sich bleibt und dem anderen so ausreichend Freiraum lässt und sich zu gemeinsamen Unternehmungen vorab immer wieder neu verabreden muss.
Mit den Blauen brauchte es in vielen Fragen keine langen Debatten. Zum einen, weil man sich ideologisch sehr nahe stand. Zum anderen, weil es Heinz-Christian Strache vor allem darum ging, so ein türkiser Insider, "das durchzusetzen, was er etwa in Sachen Privatkrankenhäuser Freunden versprochen hatte", und als Robin Hood der Raucher punkten und als Sportminister vom Glanz der Ski-und Fußballhelden profitieren zu können. Auch die Grünen ließen sich anfangs von Tempo und Taktik der Türkisen überrumpeln, Politik häppchenweise primär medial denn real zu machen.
Wegen Corona blieb bis vor Kurzem aber ohnehin wenig Platz für anderes. Je weiter Kurz nun im Wien-Wahlkampf die Türkisen nach rechts rückt, desto greller stechen die Unterschiede ins Auge. Die nächsten Monate werden zeigen, ob Kogler mit seiner intern ausgegebenen Devise recht hat: Die Grünen mussten ihre diametrale Haltung in der Moria-Debatte sichtbar machen. Es mache vor dem 11. Oktober aber wenig Sinn, täglich darauf herumzureiten. Nach der Wien-Wahl ließe sich, macht Kogler den Seinen Hoffnung, darüber weniger verkrampft reden.
Dann wird sich freilich auch zeigen: Waren die Töne, die Gernot Blümel als ÖVP-Spitzenkandidat in Wien anschlägt, nur ein blauer Köder, oder gehören sie künftig zum Standardrepertoire der Türkisen - vom EU-Bashing bis zum Pflicht-Comeback der Nikolo- Feier?
2. Corona -erst Kitt, jetzt Härtetest
Corona zwang Türkis-Grün wenige Wochen nach Regierungsstart über Nacht monatelang nur noch tägliches Krisenmanagement auf.
Für Eifersüchteleien und Haxelstellen blieb bis zum Shutdown weder Zeit noch Spielraum. Die weitgehend einstimmige Kommunikation des "virologischen Quartetts" Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer stand so auch Pate für eine breite Akzeptanz der einschneidenden Maßnahmen. Im Stil differierten die beiden Hauptakteure von Anfang an: Kurz setzte auf "Gehorsam durch Angst", Anschober auf "Einsicht durch Wissen". Hinter den Kulissen wurde das zunehmend zum Problem. Seit Anschober drauf und dran war, Kurz als "Mister Corona" in den Umfragen vom Thron zu stürzen, auch öffentlich zum Thema.
Kurz ging in den letzten Septembertagen erstmals direkt auf Konfrontation mit Anschober: "Ich hätte die verschärften Maßnahmen gerne früher gehabt." Anschober parierte zuletzt noch mit dem Florett: "Wir sollten in der Politik wieder ein bisschen geschlossener auftreten."
Die kommenden Monate werden so zum Härtetest. Machen Türkis und Grün weiter auf Schuldzuweisung, riskieren sie viel: Am Ende könnten beide als Verlierer vom Anti-Corona-Schlachtfeld gehen.
Das nervtötende rot-schwarze Blockade-Hickhack, in dem Sebastian Kurz politisch groß wurde, lässt grüßen. Zum ersten Jahrestag der Nationalratswahl ist aber aus beiden Lagern zu hören. "Es gibt grundsätzlich weiterhin ein gutes Einverständnis. Intern funktioniert das 'virologische Quartett' nach wie vor sehr gut. Im Vorfeld wird natürlich diskutiert, aber wir kommen nach wie vor zu gemeinsamen Lösungen, die dann alle mittragen können", heißt es im grünen Regierungslager. "Das Problem ist, dass alle Problemstellungen, wo Kurz nicht den Finger am Drücker hat - wie zum Beispiel bei der Corona-Ampel -, gerne schlechtgemacht werden."
Rudolf Anschober "ist auch nicht der Einfachste. Er lässt gerne spüren, dass er der Gesundheitsminister ist. Termine gibt es nur mit Voranmeldung. Auch seine guten Umfragewerte spielen bei ihm zunehmend eine Rolle", heißt es im türkisen Machtzentrum: "Aber es gab bisher keine Scherereien oder Szenen wie unter Rot-Schwarz, wo einer aus Trotz nicht mehr das Telefon abhebt und Dritte vermitteln müssen. Alle sind Profis genug, auch bei unterschiedlichen Meinungen weiter miteinander zu reden."
3. Grüne Muskelspiele, türkise Fessel-Camouflage
Werner Kogler ist uneitel genug, um weiter gut damit leben zu können, dass die Grünen mit Anschober einen neuen Star haben.
Der verbindliche Gesundheitsminister soll nun in Wien Stimmen abseits der Kernklientel bringen. Wer ihn attackiert, riskiert breiten Widerstand. Wenn Werner Kogler den Türkisen Botschaften wie diese signalisiert, dann immer im Ton eines Vermittlers.
Der grüne Parteichef spielt hinter den Kulissen eine weitaus größere Rolle, als sichtbar ist -als Motor und Moderator. Kogler ließ Kurz zuletzt auch wiederholt wissen, der türkise Finanzminister müsse die Ökos auch beim kommenden Budget breit leben lassen. Die Grünen wollen zuvorderst mit dem Start einer ökosozialen Steuerreform politisch Muskeln zeigen können. Auch Symbolfragen wie diese spielen eine Rolle: Gernot Blümel wollte die rund 200 Millionen Euro für die kommende EU-Plastikabgabe schlicht aus dem laufenden Budget bedecken.
Die Grünen beharren auf einem Plastikpfand als politisch sichtbares Lenkungsinstrument. Türkise stöhnen so gelegentlich ob "grüner Prinzipienreiterei". Einige erinnern sich auch wehmütig an die pflegeleichteren blauen Minister abseits von Herbert Kickl zurück. Angesichts rasant steigender Umfragewerte jenseits der 40 Prozent hatten manche Türkise gar vom Befreiungsschlag einer absoluten Mehrheit geträumt.
Spätestens seitdem eine zweite Corona-Welle droht, wissen Kurz & Co mehr denn je um eine nüchterne Tatsache: nach "Licht am Ende des Tunnels" in Sachen Corona ist vor dem Tunnel einer schweren Wirtschaftskrise.
Da gibt es kein Verständnis für wahltaktische Spiele wie "Es reicht". Zumal danach alles offen wäre: Mit den Blauen kann Kurz nicht mehr, mit den Roten will er nach wie vor nicht regieren. Auf Sicht bleiben Türkis und Grün so politisch aneinandergefesselt. Dieses Faktum gilt es, wo immer es geht, zu camouflieren.
Dass Kurz bereits Ende August Großveranstaltungen beschränken wollte, ist so keine nachträgliche Mär. Anschober und Kogler (der sich Sport und Kultur im Wort fühlte) hielten damals noch erfolgreich dagegen. So kam es zum Kompromiss, private Treffen auf 25 Personen zu beschränken. Damals versuchte Kurz, bundesweite Maßnahmen wie diese und die kommende Ampel im kleinen Kreis noch als das Beste aus beiden Welten zu verkaufen - samt dem blauäugigen Ersuchen an Journalisten, "nicht alles so schwarz-weiß zu sehen und darzustellen".
Ein paar negative Kommentare und Umfragewerte später sucht Kurz seine Haut mit Verweis auf den Zauderer Anschober zu retten. Das beherrscht im türkis-grünen Kabinett nach wie vor keiner besser als der Kanzler.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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