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ÖVP-Turbo für die Blauen [Politik Backstage]

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ÖVP-Turbo für die Blauen [Politik Backstage]
DIE TROUBLESHOOTERIN. Verfassungsminister Karloine Edtstadler muss gegen ihren Willen die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen präsentieren - Kanzler Karl Nehammer will sich keinen peinlichen Frage stellen.©APA/Franz Neumayr
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Beim propagierten Canossagang in Sachen Corona zog der Kanzler noch die Notbremse, um DIE BLAUEN nicht neu zu befeuern. Die FPÖ will nun die ORF-Haushaltsabgabe für eine breite Anti-Regierungs-Kampagne nutzen. ÖVP-Strategen hatten vergeblich vor einem "aufgelegten Elfmeter für Herbert Kickl" gewarnt.

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Zehn Tage nach der niederösterreichischen Landtagswahl verkündete Karl Nehammer für die ÖVP aus unheiterem Himmel: "Corona war eine Art Trauma, das wir nun gemeinsam aufarbeiten sollten." Die Pandemie habe "tiefe Gräben hinterlassen und die Menschen in Österreich schwer belastet".

"Wir wollen die Hand ausstrecken auch zu all jenen, die sich durch die Pandemie und ihre Folgen nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen gefühlt haben", sprach Nehammer. Auslöser des "Mea Culpa" des obersten Christdemokraten war nicht plötzliche reuige Einsicht, sondern das gewaltige Trauma eines Machtverlusts.

Canossagang als Panikreaktion

Eine interne Blitzanalyse des Absturzes der blau-gelben ÖVP von der absoluten Herrschaft auf unter 40 Prozent hatte ergeben: Die Landeshauptfrau-Partei habe die meisten Stimmen in jenen Gemeinden und Bezirken verloren, wo die Corona-Impfquoten besonders niedrig und der Maßnahmenfrust besonders hoch waren.

Seither gingen vier Monate ins Land, in denen der angekündigte Canossagang weiter auf sich warten ließ. Erst vergangenen Donnerstag gab die Regierung den Startschuss zur Corona-Aufarbeitung. Was heiß aufgekocht worden war, wurde lau und beiläufig serviert. Der entsprechende Ministerratsbeschluss trägt den nicht gerade elektrisierenden Titel: "Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken: Einrichtung eines Aufarbeitungsprozesses".

So prickelnd wie das Motto liest sich der gesamte eineinhalbseitige Vortrag an den Ministerrat - eine Co-Produktion von Kanzler, Vizekanzler, Gesundheits- und Bildungsminister. Keine dramatisierende Rede mehr von "Trauma" oder "Versöhnung". Statt dem vom Kanzler einst propagierten Dialog zwischen Bürgern und Politikern soll nun die Akademie der Wissenschaften "eine sozialwissenschaftliche Analyse" erarbeiten.

Bei der Präsentation der einst groß angekündigten Trauma-Bewältigung fehlte ausgerechnet dessen Erfinder, Karl Nehammer. Ursprünglich war gedacht, die Präsentation des Wissenschafts-Vorhaben auf VP-Seite dem ressortzuständigem Bildungs- und Wissenschaftsminister Martin Polaschek zu überlassen. Aus Erfahrung mit dessen überschaubaren politischem Geschick musste am Ende Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler für die ÖVP an die heikle Präsentationsfront des windelweich gewaschenen Kanzlerplans.

Edtstadler führte anfangs intern jede Menge Gründe ins Treffen, warum sie damit wenig am Hut habe. Die Kanzleramtsministerin beugte sich schließlich dem dringenden Wunsch des Kanzlers, diesem peinliche Fragen nach den Gründen für den kleinlauten Rückzieher nach einer derart pompösen Ankündigung zu ersparen.

"Die Karo musste wieder einmal als Krisenfeuerwehr ausrücken", sagt ein langjähriger Vertrauter:"Sie ist am Ende immer loyal genug, eine Mission Impossible, die andere erfunden hatten, zu übernehmen." Karl Nehammer hatte gleich aus mehreren Gründen kalte Füße bekommen. Ursprünglich hatte er das Projekt "Österreich auf der Corona-Couch" in die Welt gesetzt, um nach der Wähler-Ohrfeige in Niederösterreich in Salzburg rechtzeitig abzufedern.

Da Nehammer gerne emotionsgetrieben agiert, wuchs erst bei Nachdenken die Erkenntnis, dass die öffentliche Wiederbelebung des Streits um die Corona-Maßnahmen vornehmlich auf das Konto der Blauen einzahlen könnte. Eine Argumentation, die vor allem die Grünen wiederholt in die regierungsinternen Debatten eingebracht hatten.

Auch am Ballhausplatz machte sich so zunehmend die Erkenntnis breit: "Diesen Geist krieg man so einfach nicht mehr in die Flasche." Im Gegenteil, die Corona-Gegner könnten sich durch neue und erhöhte Aufmerksamkeit endgültig im Recht fühlen. "Ein Speibsackerl kann durchaus Sinn machen", resümiert ein Spitzen-Grüner, "dafür braucht es aber keinen groß inszenierten Politiker-Bürger-Dialog, der zu einer neuen Emotionalisierung beiträgt. Das sollte auch der Akademie der Wissenschaft in den geplanten Fokusgruppen gelingen."

ÖVP wollte mit "ORF-Rabatt" bei blauen Wählern punkten

Wie auch immer: Der Regierung droht vonseiten der Kickl-Truppe inzwischen längst an einer neuen Front heftiger Gegenwind. Die neue ORF-Haushaltsabgabe ist nicht nur Stoff für eine Kampagne vieler Zeitungsverlage, sondern auch für jene Partei, die sich seit Jahren als ORF-Opfer inszeniert.

Nach dem Aus der GIS für die Besitzer von Fernseh- und Rundfunkgeräten muss ab kommendem Jahr jeder österreichische Haushalt und auch jedes Unternehmen unabhängig von seiner Mediennutzung jährlich eine Abgabe für den ORF berappen.

In der ÖVP gab es von Anfang an Stimmen von erfahrenen Strategen, die dringend davor gewarnt haben, das Thema ORF-Gebühr mit der wochenlangen Forderung von ÖVP-Medienministerin Susanne Raab nach einem "ORF-Rabatt" emotionell zusätzlich aufzuladen.

Die Truppe um Karl Nehammer glaubte freilich, damit einmal mehr auf einem blauen Themenfeld zu punkten: Nach Schengen-Veto und Grünen-Schelte sollte nun auch ORF-Bashing die Volkspartei aus dem Umfragetief ziehen. Ein langjähriger ÖVP-Stratege hält das für eine sehr kurzsichtige Strategie. In Wahrheit habe die ÖVP damit einmal mehr den Blauen das Feld aufbereitet.

Erfahrene ÖVP-Strategen warnten

Der in mehreren Wahlkämpfen erfolgreiche ÖVP-Mann hält es generell für einen schweren Fehler, nicht auf die weitaus lautlosere und für den Steuerzahler prima vista schmerzfreie Budgetfinanzierung des ORF zu setzen.

ÖVP-intern hatte sich dagegen auch Finanzminister Magnus Brunner gestemmt: In der von der EU verlangten mehrjährigen Budgetpfad-Rechnung hätten die notwendigen ORF-Gelder in Milliardenhöhe aufgeschlagen und die Performance bei den Maastricht-Defizit-Obergrenzen massiv verschlechtert.

Weil ein vorausschauendes Machtwort des Kanzlers ausblieb, ist die ÖVP dabei, in eine neue FPÖ-Falle zu laufen. Medienministerin Susanne Raab und die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger haben mit der neuen ORF-Haushaltsabgabe der FPÖ einen Elfmeter ohne Tormann aufgelegt.

FPÖ liebäugelt mit Anti-ORF-Volksbegehren

Während Türkis-Grün die ORF-Haushaltsabgabe bis zum Sommer legistisch in trockene Tücher bringen will, bereitet die FPÖ bereits eine breite Kampagne dagegen vor.

"Wir werden die Bevölkerung auf diesen Wahnsinn sehr breit und deutlich aufmerksam machen. Dass jeder jetzt die ORF-Haushaltsabgabe zahlen muss, ist so, als müsste sich jeder die Autobahnvignette kaufen, selbst wenn er kein Auto oder nur ein Moped hat und damit auf der Autobahn gar nicht fahren kann und will", sagt ein Spitzen-Blauer. "Jedes kleine Friseurgeschäft muss außerdem doppelt oder mehrfach zahlen, weil Betriebe auch die ORF-Haushaltsabgabe zahlen müssen."

Noch ist offen, ob die FPÖ eine bereits gestartete Unterschriftenaktion für eine parlamentarische Petition neu befeuert oder ein eigenes Volksbegehren startet. Der Arbeitstitel der nächsten blauen Antiregierungskampagne auf dem Schlachtfeld des Küniglbergs steht schon fest: "Nein zur ORF-Zwangssteuer - ja zu Objektivität und Sparsamkeit!"

Dieser Beitrag ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 12. Mai 2023 entnommen.

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