Rücktritt: Michael Spindelegger legt alle Ämter zurück
Michael Spindelegger ist als Vizekanzler, Finanzminister und ÖVP-Obmann zurückgetreten. In seiner Erklärung hat er sowohl den Koalitionspartner als auch die eigene Partei scharf kritisiert. Der ÖVP-Bundesparteivorstand tagt um 19:00 Uhr, um die Nachfolge zu diskutieren.

Michael Spindelegger tritt zurück. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz kündigte Spindelegger Dienstagfrüh an, dass er seine Funktionen als Vizekanzler, Finanzminister und ÖVP-Obmann zurücklegt. So überraschend der Zeitpunkt für den Rücktritt Spindeleggers ist - die Tatsache, überrascht politische Beobachter nicht wirklich. Spindelegger schien sich in seiner Rolle mit der Dreifach-Belastung als Finanzminister, Vizekanzler und Parteichef nicht mehr wohl zu fühlen. "Ich arbeite mit meinem Team wie in einem Bergwerk, Tag und Nacht, aber ohne Schichtwechsel, das ist der Jammer dabei", erklärte er vor kurzem. ( Siehe das Interview: "Wir sind noch in der Krise" vom 30. Juni )
Spindelegger begründete seinen Rücktritt zunächst mit der aktuellen Steuerreformdebatte. Hier habe er Loyalität und Paktfähigkeit vermisst. "Loyalität und Paktfähigkeit fordere ich von allen ein, auch vom Regierungspartner. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo ich mir schuldig bin, diesen Schritt zu setzen", begründete Spindelegger seinen Rücktritt. Die Entlastung der Steuerzahler sei nötig, aber "zum richtigen Zeitpunkt", so der Finanzminister mit Verweis auf den nach wie vor hohen Staatsschuldenstand.
Parteiinterne Kritik als Auslöser für den Rücktritt
Die parteiinterne Kritik an Spindelegger war in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. Mehrere schwarze Landeshauptleute hatten den Kurs der Bundespartei kritisiert und mehr Tempo bei der Steuerreform gefordert.
Die unterschiedlichen Standpunkte zur Steuerreform mit dem Koalitionspartner hätte er noch durchgestanden, erklärte Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP), aber auch aus der eigenen Partei würden nun jene die Oberhand gewinnen, die "auf den Populismuszug" aufspringen.
Was ist bloß im Finanzministerium los?
Die Frage, was bloß im Finanzressort los ist , stellte format.at bereits vor einigen Wochen, am 9. August. In dem Artikel wurde der Konflikt in der Personalunion von Parteichef und Finanzminister beschrieben. "Das führt dazu, dass der Apparat zwangsläufig parteipolitischer agiert und heute nicht mehr wie früher drübersteht", erklärte der frühere Finanzminister Ferdinand Lacina.
Unter Spindelegger musste das Finanzressort mehr noch als unter den Vorgängern Wilhelm Molterer, Josef Pröll und Maria Fekter beim parteipolitischen Hickhack mitspielen, was ihm als einer Art "Über-Ministerium" nicht ansteht.
Die Sesselsäger
Zwei Monate davor, am 6. Juni beschrieb format.at bereits in dem Artikel "Michael Spindelegger und die Sesselsäger" die parteiinternen Attacken am Chef. "Michael Spindelegger hat bald nur noch einen Vertrauten: sich selbst. Die Partei fällt ihm in den Rücken oder schweigt gewichtig", erkannte Autor Stefan Knoll damals. Es sind immer dieselben Leute, die man nicht in den Griff kriegt, ärgerte sich ein Vertrauter Spindeleggers: Die SPÖ ist zentralistischer organisiert. Bei uns muss man nicht lange warten, bis der Wallner (der Vorarlberger Landeschef) wieder was fordert.
"Als Sieger sieht den VP-Chef schon lange niemand mehr", wurde in dem Artikel attestiert. In Sachen Steuerreform dominiert das Blockierer-Image. "SPÖ und große Teile der ÖVP wollen Steuern ab kommendem Jahr senken, Spindelegger beharrt auf 2016." Auch die Obmann-Debatte geisterte schon im Juni wieder durch die ÖVP-Reihen. Ein Verwalter könnte es werden, einer, der die Partei geeint bis zur nächsten Nationalratswahl führt, so die Gerüchteküche, ehe Jungstar Sebastian Kurz als Spitzenkandidat knapp vor dem nächsten Urnengang in den Ring steigen soll.
Bundeskanzler Werner Faymann wurde vom Rücktritt Spindeleggers ebenso überrascht wie die Öffentlichkeit. Seine Sprecherin erklärte, dass Faymann ebenfalls erst Dienstagfrüh von Vizekanzler Michael Spindelegger informiert wurde. Faymann soll im Pressefoyer nach dem Ministerrat zu Spindeleggers Rücktritt Stellung nehmen. An diesem Ministerrat wird Spindelegger bereits nicht mehr teilnehmen.
Der mächtige niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll, der Spindelegger immer wieder entgegen hielt, sagte in einer ersten Stellungnahme: "Die Entscheidung kommt nicht überraschend. Ich verstehe und respektiere sie." Zwischen den Zeilen kann man in Prölls Statement herauslesen, dass dieser mit dem Schritt seines Parteichefs durchaus leben kann. Wie ein Nachruf klingen dann auch Prölls Worte: "Spindelegger hat sich mit ganzer Kraft und Persönlichkeit für Österreich eingebracht und in einem schwierigen finanziellen Umfeld die Republik auf Kurs gehalten. Die Volkspartei Niederösterreich dankt ihm für seine ehrliche Arbeit."
ÖVP-Bundesparteivorstand tagt um 19:00 Uhr
Für Dienstagabend, 19:00 Uhr wurde der Bundesparteivorstand der ÖVP einberufen. Dabei soll die Nachfolge Spindeleggers diskutiert werden. Als potenzieller und aussichtsreicher Kandidat als Finanzminister wird Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner gehandelt.
Auf wen die Entscheidung für die Nachfolge von Finanzminister Michael Spindelegger auch fällt - die Aufgabe bleibt schwierig, meint auch Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek im Gespräch mit der Presse-Agentur APA: "Für den Nachfolger ändert sich nicht viel. Es muss die Steuerbelastung insgesamt sinken, denn wir sind ein Hochsteuerland". Eine Steuer- und Abgabenquote von 45,3 Prozent passe nicht zu einer zukunftsweisenden hoch entwickelten Volkswirtschaft, die sie sich erfolgreich dem internationalen Wettbewerb stellen muss. Der Banker attestiert Österreich aber weniger ein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. "Wichtig ist, dass bei der Senkung der Steuerbelastung der Faktor Arbeit entlastet wird", meint er.