Fachkräfte: Bürokratie in Rot-Weiß-Rot verhindert Zuzug
Österreich will hoch qualifizierte Fachkräfte ins Land holen. Doch die Rot-Weiß-Rot-Karte droht an überbordender Bürokratie und einer uneinigen Regierung zu scheitern.

Wenn der Amtsschimmel galoppiert, führt der Weg von Deutschland nach Österreich schon mal über Indien. Das musste der portugiesische Chemiker Nuno Maulide lernen, als er mit seiner internationalen Forschergruppe Ende 2013 vom renommierten deutschen Max-Planck-Institut an die Universität Wien wechselte. "Wir haben gedacht, der Umzug über diese eine Grenze wird einfach", sagt Maulide. "Da haben wir uns getäuscht."
In seinem Team arbeiten auch Forscher aus sogenannten Drittstaaten, also Ländern, die nicht der EU angehören. Solche Spezialisten sind in Wissenschaft und Wirtschaft sehr erwünscht, bei den heimischen Einwanderungsbehörden dürfte diese Tatsache aber noch nicht ganz angekommen sein. Deren Anforderungen an die von der Universität Wien "eingekauften" Forscher waren um einiges aufwendiger als die ihrer deutschen Kollegen. Einer der Wissenschaftler musste für zusätzliche Dokumente sogar in seine Heimat Indien zurückfliegen.
Österreich behauptet, die besten Köpfe ins Land locken zu wollen, macht ihnen die Einwanderung aber nach wie vor schwer. Die 2011 eingeführte Rot-Weiß-Rot-Karte sollte eigentlich dieses Problem entschärfen. Die Sache funktioniert aber nicht so recht.
Für den Wirtschafts-und Forschungsstandort wird das zunehmend zum Problem. Denn im Wettbewerb um diese "besten Köpfe" hat es Österreich sowieso nicht leicht. Das Land stehe wirtschaftlich im Schatten Deutschlands und der Schweiz, sagt Cristina Eckhardt, die mit ihrer Relocation-Agentur Step Vienna für große Unternehmen die Einwanderung von Schlüsselkräften abwickelt. "Wir müssen die Leute richtiggehend locken . Für Topkräfte sind wir höchstens ein Zwischenschritt in der Karriere." Dazu kommt, dass durch die bekannt hohen Lohnnebenkosten hiesige Gehälter international oft kaum konkurrenzfähig sind. Bei gleichem Aufwand für den Arbeitgeber kommt netto weniger heraus als in den meisten anderen Ländern.
Von Singapur nach Gratkorn
Der in Singapur lebende indonesische Programmierer Gungun Gumilar, 30, bewarb sich online für eine Stelle des Technologieunternehmen NXP in Gratkorn. Sein Verfahren wurde vom Unternehmen durchgeführt, um seine Familie musste er sich selbst kümmern. Mit Unterstützung des "Club International" in Graz gelang ihm das auch. Es dauerte allerdings sechs Monate, bis die Familie wieder in Österreich vereint war. Bild: © Format / Wolfgang Wolak
Zumindest die rechtlichen Aspekte der Zuwanderung von Hochqualifizierten sollten durch die Rot-Weiß-Rot-Karte friktionsfrei ablaufen. Soweit der Plan. Doch das ambitionierte Projekt leidet auch nach drei Jahren noch unter gehörigen Anlaufschwierigkeiten. Der zählbare Erfolg ist überschaubar (siehe Grafik Seite 17). Laut politischer Zielvorgabe sollen 8.000 Karten jährlich vergeben werden. In den ersten drei Jahren liegt der Durchschnitt unter 2.000, Tendenz: kaum steigend. Da half auch die Einführung einer "Mangelberufsliste" nichts, mit der die Anforderungen für bestimmte, von Unternehmen besonders nachgefragte Berufe verringert wurden.Der Unterschied zum großen Nachbarn zeigt sich besonders deutlich bei der Verfahrensdauer. "Als ich von China nach Deutschland ausgewandert bin, hatte ich innerhalb von zwei Wochen mein Visum", erzählt Langui Xie, der seit zwei Jahren mit Maulide forscht. Die Rot-Weiß-Rot-Karte hielt er hingegen erst nach neun Wochen in Händen. Noch schlimmer erwischte es einen seiner Kollegen. Dessen Akt war bei einem der Sachbearbeiter "liegengeblieben", so die Erklärung der Behörden, und erst eine Intervention der Universität brachte das Verfahren wieder in Gang, das dadurch insgesamt dreieinhalb Monate dauerte.
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Stillstand.
Trotz Einführung der Mangelberufsliste und kleiner bürokratischer Reformen steigt Zuzug von Topkräften kaum.
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Dass es sich dabei um keine Einzelfälle handelt, zeigt eine Studie der Wirtschaftsberater von Deloitte. Für diese wurden die Systeme für qualifizierte Zuwanderung in den EU-Ländern verglichen. Bei der Verfahrensdauer inklusive Vorbereitungszeit landete Österreich mit 24 Wochen weit abgeschlagen auf dem letzten Platz (Deutschland: sechs Wochen). Und auch sonst schneidet die Rot-Weiß-Rot-Karte nicht gut ab. Bei den Mindesteinkommen haben nur die Niederlande und Irland höhere Werte festgesetzt. Anders als etwa in Schweden und Finnland ist hierzulande auch keine Antragsstellung übers Internet möglich.
Trotzdem sind sich die Experten einig: Das neue System ist wenigstens eine Verbesserung zu den früheren Quoten. "Die Grundidee ist gut", sagt Heinz Faßmann, Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Integrationsbeirats. "Die Umsetzung in der Praxis weist Schwächen auf."
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Umstrittener Fachkräftemangel
Für die Wirtschaftskammer ist die Sache klar: Österreich mangelt es an Fachkräften und das kostet. 200 Millionen Euro an zusätzlicher Wertschöpfung könnten alleine in der Steiermark lukriert werden, wenn die Laufzeit von Stellenangeboten um zwei Monate verringert wird. Also wenn Unternehmen schneller qualifizierte Mitarbeiter finden. Darum wurde auf Druck der Wirtschaft auch die "Mangelberufsliste" eingeführt, mit der Schweißer, Dreher oder Dachdecker ins Land geholt werden sollen. Bis jetzt kommen aber eher IT-Techniker und Krankenpfleger. Das Sozialministerium sieht trotzdem keinen Grund zur Sorge: Die nötigen Fachkräfte würden sowieso bereits aus den EU-Staaten kommen.
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Viele der Probleme wären einfach zu lösen. Oft werden die Verfahren durch wenig durchdachte rechtliche Vorgaben unnötig in die Länge gezogen. Ein paar Beispiele: Einwanderungswillige Fachkräfte müssen in Österreich eine Geburtsurkunde vorlegen. Die sind in manchen Gegenden, etwa in Asien, aber eher unüblich und oft nur mit hohem Aufwand zu besorgen. Viele Länder verzichten deshalb gleich ganz auf dieses Dokument. Österreich verlangt eine doppelt beglaubigte Übersetzung.
Weiters müssen Antragsteller einen aufrechten Mietvertrag in Österreich vorweisen. "Da beißt sich die Katze wirklich in den Schwanz", sagt Maulide, der nach seinen vier Jahren in Deutschland gut Deutsch spricht. "Man weiß noch gar nicht, ob man hier arbeiten darf, und braucht schon eine Wohnung." Auch organisatorisch sei das aus der Distanz eine Herausforderung: "Bei meinen Mitarbeitern hat es manchmal erst geklappt, wenn ich persönlich als Herr Professor von der Uni Wien angerufen habe."
Schließlich dürfen Anträge nur persönlich eingereicht werden, entweder in Österreich mit einem Touristenvisum oder in der Botschaft im jeweiligen Heimatland. Touristenvisa sind zeitlich begrenzt, und die Behörden brauchen oft länger, als die Antragssteller hier sein dürfen. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten. Die Akten der Botschaften werden nur mit der Diplomatenpost übermittelt, was den Behördenweg um vier bis sechs Wochen verlängern kann.
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SCHLUSSLICHT.
Der Anteil der hochqualifizierten Immigranten ist hierzulande im internationalen Vergleich niedrig. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sollte das ändern, der Erfolg hält sich aber in Grenzen.
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Zumindest auf gesetzlicher Ebene dürften die Chancen auf Besserung gering sein. Die Materie ist kompliziert, gleich vier Ministerien müssen eingebunden werden. Das Innenministerium und seine Einwanderungsbeamten regeln die aufenthaltsrechtlichen, das Sozialministerium und der Arbeitsmarktservice die arbeitsrechtlichen Aspekte. Und dann sind da noch das Wirtschaftsministerium und die von Sebastian Kurz geleitete Integrationssektion.
Außenminister Kurz fordert bereits seit zwei Jahren eine "Weiterentwicklung" der Rot-Weiß-Rot-Karte. Die wurde auch im Koalitionspakt festgeschrieben. Passiert ist wenig. Dahinter steckt ein ideologischer Streit zwischen den Regierungsparteien. Die ÖVP wird von den Wirtschaftsvertretern in den Kampf gegen den Facharbeitermangel getrieben, die SPÖ verteidigt im Auftrag der Gewerkschaften den Arbeitsmarkt vor ausländischen Arbeitskräften.
Trotzdem: Auch wenn sich die gesetzlichen Vorgaben nicht ändern, gäbe es Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Denn wie glatt die Verfahren laufen, hängt auch von ihrer Durchführung ab, sagt Eckhardt. "Die unterschiedlichen Auslegungen in den Bundesländern zeigen, dass Vereinfachungen auch im geltenden Recht möglich sind." Am schwierigsten ist die Lage in der Bundeshauptstadt. Deshalb greifen Wiener Unternehmen bereits zur Selbsthilfe und siedeln ausländische Schlüsselkräfte in Niederösterreich an. So können sie auch deren Verfahren dort abwickeln.
Die betroffenen Behörden weisen jede Schuld von sich und schieben den Schwarzen Peter zurück zum Gesetzgeber. "Wir vollziehen Bundesgesetze und haben keinerlei Spielraum für individuelle Interpretation", heißt es aus der für Einwanderungsfragen zuständigen Wiener MA 35. Immerhin: Sowohl Magistrat als auch das ebenfalls beteiligte Wiener AMS haben in "jüngster Vergangenheit ihre Prozesse optimiert".
Um die Rot-Weiß-Rot-Karte wirklich in Gang zu bringen und im Wettbewerb um die besten Köpfe international bestehen zu können, wird das aber nicht ausreichen. Dazu braucht es wohl eine geeinte Regierung und einen gezähmten Amtsschimmel. Denn: "Die Schwächen der Rot-Weiß-Rot-Karte betreffen sowohl gesetzliche Vorgaben als auch die Administration", sagt Integrationsexperte Heinz Faßmann. Schöne Aussichten also.