Keine Chance kann auch eine Chance sein
Pragmatiker, Großkoalitionär, mit allen Sozialpartnerwassern gewaschener Verhandler: Was ist von Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Chef zu erwarten?

Im Abgang waren die 2011er- und 2014er-Jahrgänge der Schwarzen stark, richtig beerig. Die Inszenierung der letzten Auftritte von Josef Pröll und Michael Spindelegger als Vizekanzler, Finanzminister und ÖVP-Chef glichen sich aufs Haar. Eilig einberufene Pressekonferenz frühmorgens, wenige Vertraute eingeweiht, kurzes Statement, kaum Wehleidigkeiten, Eingestehen des eigenen Scheiterns. Und tschüss. Parteiobmann Nummer XIV und XV gehen in die Geschichtsbücher ein, der nächste, bitte.
Business as usual. Mit Ausnahme von Wolfgang Schüssel wurde in den letzten 25 Jahren jeder abgemurkst. Ehe wir uns Numero XVI widmen, ein Blick auf die komplizierte Verfasstheit der Bürgerlichen. So lange an der nichts geändert wird, muss jede Nummer eins scheitern. Neun Landesfürsten und sechs Bündeobleute zeigen dem VP-Chef täglich, wo der Bartl den Most holt. Die 15 Capos finanzieren auch noch die Bundes-ÖVP, die schon wieder neun Millionen Euro Schulden hat. Mehr an Abhängigkeit geht nicht.
Dazu als ewige Nummer zwei in der Koalition mit der SPÖ gefangen. Die intern kaum noch einer will. Als Vizekanzler/Minister kommt noch die EU-Ebene hinzu, die Kraft, Nerven kostet und oft Entscheidungen bringt, die den Fürsten daheim gar nicht schmecken.
Es ist ein System des Wahnsinns, eine unerbittliche Maschine, die dich zermalmt, bringt es ein gefallener Obmann auf den Punkt. Josef Pröll und Michael Spindelegger sind aus unterschiedlichen Gründen zerrieben worden.
Der erste, weil er Reformen wollte, die vor allem den teuren, längst überkommenen föderalen Strukturen Österreichs den Garaus hätten machen sollen. Er hat die beharrenden Kräfte unterschätzt.
Der zweite, immer nur Übergangslösung, ist an handwerklichen Schnitzern, nicht eingelösten Versprechen bei der Regierungsbildung Ende 2013 und Überforderung im Finanzministerium gescheitert. Immerhin: Spindelegger hat dies selbst erkannt.
So unterschiedlich begabt Pröll und Spindelegger als Politiker auch waren, die Höllenmaschine Partei hat beide rasch wieder ausgespuckt.
Jetzt also Reinhold Mitterlehner, 58. Pragmatiker, Großkoalitionär, mit allen Sozialpartnerwassern gewaschener Verhandler. Der im Herbst 2013 noch um sein Ministeramt zitterte, weil ÖAAB-Mann Spindelegger den Konkurrenten aus dem Wirtschaftsbund aus dem Weg haben wollte.
Auf den Schild gehoben von jenen Leuten, über die Spindelegger in der Früh sagt, er habe Loyalität vermisst. Und die am Abend dann, ohne rot zu werden, betonen, die Partei stehe jetzt geschlossen und geeint hinter Mitterlehner. Wahre Werte einer christlich-sozialen Partei eben. Vor Freude hat keiner das Gebiss in die Luft geworfen, sagt ein Fürst denn auch über die Kür Mitterlehners. Geht es also schon wieder los, ehe es so richtig begonnen hat?
Für eines hat Mitterlehner im Vorstand jedenfalls gesorgt: Für klare Verhältnisse mit macht- und selbstbewusstem Auftreten, wie Teilnehmer berichten. Er müsse das Amt nicht machen, sagte der Oberösterreicher, wissend, dass es zu ihm keine Alternative gibt. Wenn er dieses Amt aber angehe, dann heute, gleich, ganz, keinesfalls als Interimsobmann. Seine Entschlossenheit hat die ÖVP vor größerem Chaos bewahrt. Und mit der schnellen Lösung können sich die Schwarzen nun in Ruhe ansehen, ob Werner Faymann den Parteitag überlebt.
Was aber bekommen die ÖVP und Österreich nun mit dem neuen Chef, oberflächlich oft als farbloser Kämmerer bezeichnet? Zum einen mit Sicherheit den besten Kenner der Realverfassung. Keine Materie, die er nicht schon verhandelt hätte. Stets am Machbaren, nicht am Utopischen orientiert. Parteiübergreifend wird seine Handschlagqualität geschätzt, mit Zwilling Rudolf Hundstorfer hat er in der Regierung am meisten weitergebracht.
Zum anderen wird die ÖVP unter Mitterlehner gesellschaftspolitisch liberaler, moderner. Ideologische Kreuzzüge, etwa für die Erhaltung des Gymnasiums, sind von ihm nicht zu erwarten. Für das wirtschaftspolitische Klima im Land ist er ein Segen. Konzerne, Banker, Unternehmer haben wieder eine Ansprechperson. Pläne, um die verfahrenen Fronten in der Steuereform aufzulösen, hat er in der Schublade.
Was von ihm nicht zu erwarten ist, sind angesagte Revolutionen in Partei und Staat. In der derzeitigen Lage ein stabilisierender Vorteil. Er ist eher von der Sorte zäher Veränderer. So könnte sich schrittweise aus keiner Chance für die ÖVP eine kleine Chance entwickeln. Immerhin hat Mitterlehner im Laufe seines politischen Lebens sieben Obmänner an sich vorbeiziehen sehen und deren Kardinalfehler genau analysiert.
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