Von null auf zwei in einem Interview - eine sehr erstaunliche Leistung. Die Auflösung der etwas kryptischen Formel: Vergangenen Sonntag gab der global agierende Medienmanager Gerhard Zeiler, vor 20 Jahren auch ORF-Generaldirektor, dem "Kurier“ ein Interview. Darin sagte der Sozialdemokrat, er stehe für den Job des Kanzlers zur Verfügung, sollte er gefragt werden. Eine glasklare Ansage.
Außerdem meinte Zeiler, er halte ÖBB-Chef Christian Kern für "politiktauglicher als einige Politiker, die derzeit in Funktionen sind“. Auch das glasklar.
Getreue des noch amtierenden Bundeskanzlers, Werner Faymann, hatten ja öffentlich in Frage gestellt, ob es Kern könnte, er also "politiktauglich“ wäre. Der Warnschuss gegen den potenziellen Konkurrenten ging bekanntlich nach hinten los. Seither wird mal mehr, mal weniger intensiv Faymanns Ablöse diskutiert.
Jedenfalls: Jetzt hat die SPÖ offiziell zwei respektable Kandidaten für das Kanzleramt - mehr, als der personell ausgedünnten Partei je zugetraut wurden.
Aber es wäre nicht Österreich, würde nicht ausschließlich über Zeilers Motive für den Vorstoß diskutiert. Hierzulande ist es höchst ungewöhnlich, dass sich einer selbst ins Spiel bringt. Wer das bisher getan hat, war immer gleich mausetot.
Wechselweise wird Zeiler unterstellt, von unstillbarem Heimweh erfasst oder einfach nur öffentlichkeitsgeil zu sein. Das mit dem Heimweh mag stimmen, zahlt der gebürtige Ottakringer doch nach wie vor brav die Mitgliedsbeiträge seiner SP-Sektion in Wien 16. Und zwei Jahrzehnte im Flieger, nur am Wochenende in Österreich, können auch nerven.
Worüber freilich nicht diskutiert wird, ist Zeilers nicht neue, aber treffende Analyse über den Zustand des Landes und der noch abgesandelteren SPÖ, die ohne Führung gerade in Einzelinteressen zerbröselt.
Immerhin pendelt der Präsident von Turner Broadcasting International (130 TV-Kanäle inklusive CNN in 200 Ländern, 3.800 Mitarbeiter, zwei Milliarden Dollar Umsatz) ständig zwischen den Kontinenten. Erlebt, wie sich die Wirtschaftskraft nach Asien und Südamerika verlagert. Ein gewisser Überblick wird ihm also nicht abzusprechen sein.
Und warum soll so ein High Performer nicht Bewegung reinbringen können in Partei, Land? Pragmatismus, modernes Wirtschafts-Know-how den ausgetrockneten Roten zuführen, das Um und Auf für erfolgreiches Regieren? Und gleichzeitig als immer noch geerdeter Mann einen Masterplan schmieden können, um den sozialen Zusammenhalt zu sichern? Auch der geht auf der Insel der Ex-Seligen gerade flöten. Mit altlinker Sozialrhetorik wird das nicht gelingen. Überall, wo Zeiler war, hatte er Erfolg, immer mit einer fest umrissenen Agenda, genau das, was Österreich so dringend brauchte.
Im ORF hat er mittels Quoten die Leistungsgesellschaft eingeführt, RTL zum größten Sender Deutschlands gepusht, als CEO der RTL-Group Rekordgewinne erwirtschaftet.
Eigentlich müssten die Zeilerschen Avancen mit Ernsthaftigkeit debattiert werden. Doch er wird als "Sinowatz-Sekretär“ verunglimpft, erntet Zynismus: "Ein schönes Zeichen unserer Zeit, wenn ein ehrgeiziger 60-Jähriger neue Herausforderungen sucht“ ("Kronen Zeitung“). Nun steckt hinter dem "Kurier“-Interview kein Masterplan und auch keine innerparteiliche Machtgruppe. Außer den Vranitzkyianern, die schon lange inhaltliche Verengung und Provinzialisierung ihrer Partei beklagen, hat Zeiler wenig Unterstützer. Der neue Shootingstar der SPÖ, der Traiskirchner Bürgermeister, kennt ihn nicht einmal.
Jetzt wird mit einem Interview selbst in dieser fragilen Situation, in der sich die SPÖ gerade befindet, kein Kanzler gestürzt, schon gar nicht von einem, der dem Apparat so fern steht wie Zeiler. Aber das Komplott gegen den Kanzler steht ja erst am Anfang.
Und eines steht auch fest: Die SPÖ als Gesamtes steuert im Herbst auf ihre wahrscheinlich größte Krise seit 50 Jahren zu: In Oberösterreich wird sie zur dritten Kraft degradiert. Diese Negativspirale wird für Wien zwei Wochen später dramatische Auswirkungen haben. Die FPÖ, noch vor wenigen Monaten undenkbar, rückt näher und näher an Michael Häupls SPÖ heran. Ungeschönten, internen Umfragen zufolge hält HC Strache in Wien bei 28 Prozent, Häupl bei 33 - ein echtes Chaosszenario für danach.
Dazu kommt, dass der Bürgermeister ja nicht nur gegen die Blauen wahlkämpfen muss, sondern diskret auch gegen eigene. Wiens Flächenbezirke stehen auf der Seite des Liesingers Faymann. Kein noch so guter Wahlkampf aber wird Häupl wieder Richtung 40 Prozent bringen. Die einzige positive Schubkraft könnte wahrscheinlich nur ein frischer Kanzler im Bund Anfang September bringen.
Zu diesem Kraftakt ist Michael Häupl in der derzeitigen Verfassung alleine nicht mehr in der Lage. Er würde dafür die Gewerkschaft brauchen. Fällt das rote Wien oder wird es unregierbar, ist die Sozialdemokratie aber im ganzen Land für Jahre am Ende. Kanzlersturz oder eigener Sturz - man wird bald sehen, wie sich Häupl entscheidet.
Artikel aus FORMAT Nr. 26/2015
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