Diese Grüne lässt Türkise Rot sehen [Politik Backstage von Josef Votzi]
Der mächtigen Autobranche dreht sie die Investprämie ab, ihr radikales Ökostromgesetz schnürt sie lautlos. Die Zeiten, in denen Leonore Gewessler pandemiebedingt ohne große Aufregung grüne Weichen stellen konnte, sind vorbei. Bei einem Nein zum Lobautunnel droht die ultimative Kraftprobe.
Umwelt-, Klimaschutz- und Infrastrukturministerin Leonore Gewessler
Es ist der letzte Tag der Zeugen-Befragungen im Ibiza-U-Ausschuss. Für Sebastian Kurz läuft alles nach Plan. Es ist ihm zwar lästig, ein zweites Mal vier Stunden lang Rede und Antwort stehen zu müssen. Aber die türkise Ausschuss-Regie sorgt dafür, den Auftritt so hindernisfrei wie möglich über die Bühne zu bringen. Den Ton gibt heute nicht der grobschlächtige Haudrauf Andreas Hanger, sondern der wendige, gelernte Anwalt Klaus Fürlinger an.
Jede Auskunftsperson hat dem Ausschuss maximal vier Stunden zur Befragung zur Verfügung zu stehen. Im Normalfall sollen damit alle Fraktionen mehrmals Gelegenheit haben, Fragen zu stellen. Die Geschäftsordnung sieht vor: In der ersten Fragerunde stehen jeder der fünf Ausschussfraktionen sechs Minuten Fragezeit zu. In den anschließenden Fragerunde immer weniger.
Bei Sebastian Kurz' Auftritt Anfang Juli ist alles anders. Die ÖVP-Mandatare greifen zu einem simplen Trick, um das Ausschuss-Geschehen zu dominieren. Sie stellen nur kurze und allgemeine Fragen. Kurz antwortet weitschweifend und lange. Die Auskunftsperson ist in ihrer Antwortzeit durch nichts beschränkt, außer dass nach netto vier Antwort-Stunden definitiv Schluss ist. Kurze ÖVP-Abgeordneten-Frage, lange ÖVP-Kanzler-Antwort - dieses türkise Heimspiel kann dank sparsamer Nutzung des türkisen Frageminuten-Kontingents oft und ausgiebig wiederholt werden.
Gewesslers Straßenbau-Stopp
erwischt Kurz am falschen Fuß
Der Kanzler, der sich vor Beginn des U-Ausschuss einmal mehr über das gehässige Klima im Parlament beschwert, hat also allen Grund entspannt zu sein. In einer Pause lotet er so locker plaudernd die Stimmung unter Ausschuss-Beobachtern aus. Just in diesem Moment poppt auf einem Journalisten-Handys die Push-Meldung auf: "Leonore Gewessler stoppt Bau der Lobau-Autobahn". Was ist für Journalisten naheliegender, als den anwesenden Kanzler auf die Meldung hinzuweisen und zu fragen, ob er davon schon gewusst habe.
Sebastian Kurz tut so, als er habe das Verlangen überhört, setzt sein Pokerface auf und entschwindet kommentarlos wieder in den Sitzungssaal.
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Leonore Gewessler hat Sebastian Kurz nicht nur an diesem Tag die gute Laune verdorben. Die grüne Umweltministerin steht schon länger unter scharfer türkiser Beobachtung. Das nicht nur wegen ihrer grünen Agenda als Straßenbau- und Bahn-Ministerin. Als in einer Nacht- und Nebelaktion gut integrierte Teenager trotz Protesten ihrer Mitschüler nach Georgien abgeschoben werden, nutzt sie einen Auftritt zu einem Öko-Thema nach dem Ministerrat für ein sehr persönliches Statement. Mit tränenerstickter Stimme bedauert sie die Abschiebung der Jugendlichen und wünscht sich dringend eine humanere Lösung solcher Fälle.
Aus der ÖVP-Ecke wird noch Tage danach der Hinweis verbreitet: Man möge das Statement der Ministerin per Video genauer unter die Lupe nehmen. Das sei eine bewusst inszenierte Stellungnahme gewesen. Für Grüne, die Gewessler persönlich lange kennen, eine hinterlistige Unterstellung.
Kampagnen-Profi
und stille Brüterin
Der Spin hat freilich einen wahren Kern: Der grüne Vizekanzler, aber auch die grüne Justizministerin lässt vor allem TV- und Radiojournalisten oft ratlos zurück, wo sie den griffigen Originalton-Sager aus dem eben vernommenen weitschweifigen Statement hernehmen sollen.
Leonore Gewessler hat als grüne Aktivistin und zuletzt auch Chefin der Umweltschutz-Organisation Global 2000 Kommunizieren gelernt. Für sein Anliegen öffentlich zu werben ist unumgänglich, um als Politiker erfolgreich zu sein. Zum Durchsetzen dieser Anliegen braucht es allerdings Mehrheiten.
Gewessler ringt mit der ÖVP etwa seit Monaten um Reduktion des Verkaufs von Plastikflaschen. Die ÖVP-Wirtschaftskammer und viele der großen Handelsketten setzen auf freiwilliges Recycling. Sowohl aus Unternehmer- als auch Funktionärskreisen gibt es daher bitterböse Kommentare über die "Stur- und Starrheit" der ehemaligen Öko-Aktivistin.
Die Umweltministerin wiederum verweist gebetsmühlenartig auf die noch unerfüllten Vorgaben der Recyclingquoten der EU und drohende Strafzahlungen.
Hinter den Kulissen sucht sie starre Fronten wie diese durch Bündnispartner von der anderen Seite aufzubrechen. Mit der Diskonterkette Lidl präsentierte sie im Jänner erstmals einen Pfandautomaten für Plastikflaschen. Ein Durchbruch an der politischen Front zur Einführung eines Pfandsystems ist aber auch Monate danach noch nicht abzusehen.
Grüne Markierungen im
Windschatten der Pandemie
Die ÖVP-Wirtschaftsvertreter haben offenbar noch massiven Protest zu verdauen, weil sich die grüne Ministerin anderswo ohne großes Aufsehen durchgesetzt hatte. Die Anhebung der Nova wurde überraschend widerstandslos als Beitrag zur Verteuerung des Feindbilds SUV verkauft.
In einem Aufwaschen wurde eine Gruppe in die Nova miteinbezogen, die bis dahin ungeschoren blieb. Seit 1. Juli sind auch alle "Leichten Nutzfahrzeuge" NoVA-pflichtig. Die NoVA beträgt für diese im Durchschnitt rund stolze 3.000 Euro. Die zusätzliche Besteuerung trifft vor allem zehntausende kleine und mittlere Handwerks-Betriebe.
Allein im Vorjahr wurden rund 36.500 dieser Klein-Lkws neu zugelassen. Das Unverständnis und der Protest der meist betroffenen Kleinunternehmer macht den Kammervertretern und dem türkisen Teil der Regierung bis heute zu schaffen. Als Zeichen des guten grünen Willens wurde das geplante Budget-Volumen von 46 Millionen Euro für die Förderung des Umstiegs auf E-Mobilität heuer im Juni nochmals um 55 Millionen aufgestockt. Damit sind ab sofort auch Klein-Lkws mit E-Motoren förderbar.
Kurz an der
Autofront ausgebremst
Öffentlich war in all diesen Causen von Gewessler bis vor kurzem freilich wenig zu vernehmen. Da Corona kurz nach Start von Türkis-Grün alles in seinen Bann zog, agierte die Umweltministerin weitgehend unter dem Radarschirm der öffentlichen Wahrnehmung. Politisch hinterließ die Umweltminister im Windschatten der Pandemie in ihren ersten eineinhalb Amtsjahren aber mehr Spuren als vielen in der ÖVP lieb ist.
Intern machte sich die studierte Politologin zum Leidwesen des Koalitionspartners auch in Sachen Pandemie-Politik ausgiebig bemerkbar. Gewessler grätschte bei allen geplanten Corona-Hilfspaketen dazwischen und mahnte eine Öko-Komponente ein. Im Finanzministerium knirschten Kabinett und Beamte gelegentlich darob mit den Zähnen. Ein Spitzentürkiser merkt rückblickend sarkastisch an: "Sie hat gemeinsam mit Kogler soviel Geld für diverse Öko-Fonds herausgeschlagen, dass sie auch selber schon den Überblick verloren haben dürfte, mit wie vielen Millionen sie jetzt was alles fördern darf."
Auch bei einem der größten und von der Wirtschaft besonders gerne genutzten Förderpakete gegen die Corona-Krise mischte sie gegen heftige Widerstände erfolgreich mit. Gewessler setzte im Vorjahr durch, dass die Investitionsprämie weder für die Anschaffung von Ölheizungen noch für den Kauf von Autos mit Verbrennungsmotoren gilt. Da sollen auch Interventionen der Autolobby bei Kanzler Kurz am Ende des Tages nichts geholfen haben.
Auf ihre Fahnen heften sich die Grünen intern und extern, dass im Gegenzug Investitionen in Ökologisierung, Digitalisierung und Gesundheit nicht - wie in allen anderen Fällen - mit sieben sondern mit 14 Prozent Steuerersparnis staatlich belohnt werden.
FAZ streut Rosen:
"Eine Ministerin mischt Österreich auf"
Das jüngst im Parlament mit Ausnahme der FPÖ einstimmig beschlossene Förderungspaket zum Umstieg auf Ökostrom (jährliches Fördervolumen: eine Milliarde) bescherte Leonore Gewessler beinahe uneingeschränkt Lorbeeren.
Selbst die nicht als grünes Propagandaorgan verdächtige "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) widmete dem Gesetz und seiner Geburtshelferin eine wohlwollende Eloge ihres Wirtschafts-Korrespondenten: "Eine Ministerin mischt Österreich auf: Die grüne Spitzenfrau Leonore Gewessler handelt als Klimapolitikerin aus Überzeugung. Dafür geht sie keinem Streit aus dem Weg", so die FAZ: "Hartnäckig verhandelte sie das Ökostromfördergesetz gegen Widerstände der Wirtschaft."
Vielspuriger Konflikt
um Autobahnen
Vollkommen offen ist allerdings der Ausgang des vielspurigen Konflikts, den die Umweltministerin kürzlich mit der Neubewertung von längst als fix gesetzten Autobahnen und Straßenprojekten eröffnet hat. Diejenigen, die Gewesslers Vorgehen die gewohnte politische Logik abgewinnen wollen, sagen: Die Bremse bei Straßenprojekten sei ihr Faustpfand, um das grüne Prestige-Projekt des 1-2-3-Tickets wie versprochen noch heuer in allen Bundesländern durchzusetzen.
In der Öko-Szene werden Gewessler so trotz Kritik in Detailfragen generell Rosen gestreut: "Endlich ist da jemand, der sich in Unweltfragen auskennt und die ihren Job macht. Wer, wenn nicht die Umweltministerin soll auch Straßenbauprojekte wie den Lobautunnel auf ihre Klimaverträglichkeit prüfen lassen", so eine Schlüsselfigur der heimischen Öko-Aktivisten-Szene: "Sie ist erfahren genug, die richtige Balance zwischen grünen Zielen und pragmatischer Politik zu finden. Sie weiß auch, dass man mit Firmen kooperieren muss, um besser und schneller zu Erfolgen zu kommen."
Ein türkises Gegenüber in Regierung glaubt allerdings, dass sich Gewessler mit der Drohung eines Nein etwa zum Lobautunnel übernommen haben: "Das war nicht sehr gescheit von ihr."
Ihre unbestreitbare Crux: Hinter dem Projekt stehen von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig bis Finanzminister Gernot Blümel nicht nur schwergewichtige Player in Wien und im Bund. Das Beharren auf einem Nein hätte auch das Zeug zu einem nachhaltigen türkis-grünen Koalitionskrach.
Eine Woche nach der Schockmeldung "Gewessler stoppt Lobau-Autobahn" am Rande Ibiza-Ausschusses hat sich auch Sebastian Kurz aufgrund des massiven Drucks der schwarzen Länderchefs öffentlich gegen seine Umweltministerin positioniert. Der türkise Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager macht dieser Tage gar gegen eine "Klimadiktatur" aus grünen Regierungsreihen mobil.
Wie auch immer der von Gewessler eröffnete neue grüne Straßenkampf ausgeht, soviel steht schon heute fest: Die Monate der Komfortzone, in denen Gewessler pandemiebedingt hinter den Kulissen ohne große Aufregung grüne Weichen stellen konnte, sind ab sofort endgültig vorbei.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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