Interview: Paul Krugman über die Krise, Amerikas Hilflosigkeit und Europas Patzen
Der Nobelpreisträger sieht schwarz: Die Weltwirtschaft ist außer Kontrolle geraten. Doch den USA fehlt der Mut, und Europa patzt. Ein Interview über die Wirtschaftskrise.
Format:
Herr Krugman, erinnern Sie sich noch an den 15. September des vergangenen Jahres?
Krugman:
Ja, natürlich. Es war ein Montag, der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers.
Format:
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon hörten?
Krugman:
Ich war vollkommen schockiert. Ich hatte mir einfach nicht vorstellen können, dass die amerikanische Regierung diese Bank pleitegehen lassen würde. Die Risiken schienen mir unerträglich hoch. Man spielte russisches Roulette. Dieser Tag war so etwas wie ein kritischer Moment der Geschichte.
Kreditblase globaler als gedacht
Format:
Hat denn der Nobelpreisträger Krugman eine Erklärung dafür, wie die Welt ins Desaster schlittern konnte trotz aller Warnungen?
Krugman:
Nun, ich wusste zwar, dass wir in Amerika gewaltige Probleme haben, etwa auf dem Immobilienmarkt mit seinen Billionenverlusten. Doch dann wurde klar, dass es sich um eine globale Kreditblase handelte, von den USA bis nach Europa. Hinzu kam: Das globale Finanzsystem war sehr viel brüchiger, als es sich selbst ein notorischer Pessimist wie ich vorstellen konnte. Dazu gehörte vor allem das Schattenbankensystem, all die bankähnlichen Institutionen, die außerhalb jeder Regulierung agieren konnten. Bis zum Ausbruch der Krise scheint tatsächlich kaum jemand erkannt zu haben, wie wichtig dieses System geworden war. Dann brach die Hölle los.
Format:
In Ihren Büchern haben Sie mehrfach über die Finanzkrisen der 80er- und 90er-Jahre geschrieben. Jede eine Warnung für sich.
Krugman:
Vieles war wie ein Prolog zu dem, was jetzt passiert. Welche Folgen eine falsche Geldpolitik hat, zeigte schon die japanische Krise in den 90er-Jahren. Dort war man 1998 bei einer Staatsschuld angekommen, die höher als das Bruttoinlandsprodukt war. Und die aktuellen Erschütterungen in Osteuropa ähneln den damaligen Finanzkrisen in Asien und Lateinamerika so sehr, dass es schon beinahe gespenstisch ist. Lettland scheint das neue Argentinien zu sein, die Ukraine wie Indonesien. Die USA spielen dabei eine Rolle, die sonst eigentlich nur Staaten der Dritten Welt zugedacht war.
"Wall Street-Bankern zu viel Achtung gezollt"
Format:
Warum wurde aus den Krisen nicht mehr gelernt?
Krugman:
Vielleicht, weil man diese Krisen immer nur als Probleme einzelner Länder sah. Eine erstaunliche Blindheit, fast erschreckend.
Format:
Ein Mann wie Alan Greenspan, Jahrzehnte mächtiger Chef der US-Notenbank, konnte nicht sehen, was passieren würde?
Krugman:
Es ging doch gut, scheinbar. Und es gab ja auch Menschen, die in dieser Zeit sehr, sehr viel Geld verdienten. 20 Millionen Dollar im Jahr das war doch nichts Besonderes. Wir neigen wohl dazu, Menschen zu idealisieren, die eine Menge Geld machen. Wir wollen glauben, dass sie allein schon deswegen alles unter Kontrolle haben. Dabei hat ein Großteil von ihnen, wie sich zeigt, einfach nur Geld gestohlen. Bis zu 400 Milliarden Dollar im Jahr gingen im Finanzsektor für Verschwendung, Missbrauch, Betrug drauf. Insgesamt zollte man den Bankern der Wall Street viel zu viel Achtung.
Immoaufwertung war eine Illusion
Format:
Wenigstens das hat sich grundlegend geändert.
Krugman:
Ein Mann wie Greenspan ist jetzt untendurch. Andere müssen mit dem von ihm angerichteten Chaos fertig werden. Aber der neue US-Finanzminister Timothy Geithner glaubt immer noch, dass der Staat kein guter Banker sei und die Wall Street eigentlich einen guten Job mache. Dabei haben wir uns ja möglicherweise nur Illusionen gemacht. Heute besitzt eine amerikanische Durchschnittsfamilie weniger als noch vor acht Jahren. Doch viele glaubten, sie seien reicher geworden. Denn eine Weile stieg der Wert der Häuser schneller als die Schulden, die man machte. Beinahe wie bei einem Schneeballsystem wie eine Illusion.
Format:
Sie gelten als extrem missmutig.
Krugman:
nur wenn ich Grund dazu habe.
"Der klügste Präsident, den wir je hatten"
Format:
Haben Sie sich gefreut, als Barack Obama gewann?
Krugman:
Und wie. Barack Obama ist wohl der klügste Präsident, den wir je hatten. Und sein Haushaltsentwurf macht mich regelrecht glücklich. Weil er damit die USA auf einen grundlegend neuen Kurs bringt. Endlich gibt es Geld für eine Reform des Gesundheitssystems. Die geplante Einführung eines Emissionshandels zeigt, dass die USA den Kampf gegen den Klimawandel ernst meinen. Obamas Plan zur Rettung der Banken aber stimmt mich schon wieder missmutig.
Format:
Unter anderem sind umfangreiche Finanzhilfen des Staates geplant. Dazu soll eine Bad Bank den Banken ihre faulen Kredite abkaufen. Was ist daran verkehrt?
Krugman:
Das ist leider nicht viel besser als das, was schon von Präsident Bush zu hören war. Die Banken sind wie Zombies. Sie existieren, aber sie können keine Kredite mehr vergeben. Also muss der Staat einspringen. Und wenn er schon so viel Geld hineinpumpt, dann sollte der Staat auch entschlossen die Kontrolle übernehmen. Aber das will man im Finanzministerium offenbar nicht. Leider.
Steuerzahler trägt die Risiken
Format:
Sie fordern eine Verstaatlichung der Banken?
Krugman:
Nicht aus Prinzip und nicht für immer. Doch andernfalls trägt der Steuerzahler wieder einmal die Risiken, und die Privatwirtschaft hat den Nutzen. Das wäre Sozialismus für die Reichen und Kapitalismus für die Armen.
Format:
Was fordern Sie von Barack Obama?
Krugman:
Einen neuen New Deal.
Format:
Also ein staatliches Konjunkturprogramm wie in den 30er-Jahren. Aber hat nicht Obama gerade genau das auf den Weg gebracht ein Konjunkturpaket über 800 Milliarden Dollar?
Krugman:
Dieses Programm ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es reicht nicht. Es wird den Absturz verlangsamen, aber nicht stoppen. Ich rechne und rechne, aber immer wieder komme ich zum gleichen Schluss: Obamas Konjunkturpaket ist gefährlich klein. Er müsste viel mutiger sein.
"Kann Lage nicht schwarz genug malen"
Format:
Wer soll solche Beträge bezahlen?
Krugman:
Bitte verstehen Sie doch: Die Gefahr ist außerordentlich hoch, dass die Wirtschaft jetzt in eine deflationäre Abwärtsspirale gerät. Man kann die Lage eigentlich nicht schwarz genug malen. Zum ersten Mal seit zwei Generationen gibt es Defizite auf der Nachfrageseite der Wirtschaft. Wir konsumieren zu wenig, um die verfügbare Produktionskapazität auszunutzen. Dieser Umstand ist in weiten Teilen der Welt zur Wohlstandsbremse Nummer eins geworden.
Format:
Haben Sie denn ein Rezept für die Rettung?
Krugman:
Es ist so, wie der Ökonom John Maynard Keynes gesagt hat: Wir haben Probleme mit der Zündung. Das heißt, der Wirtschaftsmotor funktioniert, aber er braucht Starthilfe. Und zwar rasch. Die ganze Welt braucht eine Rettungsaktion. Umfassende, koordinierte Konjunkturprogramme, Rettung der Banken. Vielleicht sogar auch eine maßvolle Inflation. Denn die ist nicht unbedingt gefährliches Teufelszeug. Ein erwarteter Preisanstieg könnte die Menschen davon abhalten, ihr Geld zu horten.
"Machtlosigkeit der Politik ist besorgniserregend"
Format:
Was sollte Europa tun?
Krugman:
Europa patzt. Ich sehe kein Anzeichen für ein gemeinsames Handeln, vor allem in der Finanzpolitik. Das ist eine gewaltige Enttäuschung und ein großes Problem.
Format:
Gibt Ihnen wenigstens die bevorstehende G-20-Konferenz zur Regulierung der Weltwirtschaft etwas Hoffnung?
Krugman:
Schön wäre es. Ich wäre wirklich gern ein bisschen fröhlicher. Aber ich muss Sie und mich enttäuschen. Wirklich besorgniserregend ist die Machtlosigkeit der Politik. Die Politiker werden uns einmal mehr beruhigen wollen. Wir werden hören, man habe alles unter Kontrolle. Aber es geht hier nicht um eine Weltwirtschaft, die ein Problem hat und neuer Regeln bedarf. Die Weltwirtschaft ist außer Kontrolle geraten. Und zwar in einem Maß, das sich vielleicht immer noch unserer Vorstellungskraft entzieht.
Das Interview führte Stern-Redakteurin Katja Gloger
Zur Person
Paul Krugman, 56, gilt als einer der besten Ökonomen der Welt und als notorisch schlecht gelaunt. Der US-Professor lehrt an der Princeton University Wirtschaft und Internationale Politik. 2008 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis für seine Theorien über den Außenhandel und die Globalisierung. Seine wöchentliche Kolumne in der New York Times zählt zu den meistbeachteten in den USA und machte ihn über Fachkreise hinaus bekannt. Er schrieb auch zahlreiche Bücher, wie etwa Der große Ausverkauf (2004) und Die große Rezession. Was zu tun ist, damit die Weltwirtschaft nicht kippt (2001).
Das neue Buch von Paul Krugman:
Die neue Weltwirtschaftskrise, Campus Verlag, 2009.