Interview zur (Aus-)Bildung: Wofür ist die
Schule eigentlich zuständig?
FORMAT:
Verlangt die Wirtschaft heute zu viel von jungen Menschen? Suchen Sie tatsächlich Uni-Absolventen in Mindeststudienzeit mit Praxis und Auslandserfahrung?
Ulrike Baumgartner-Gabitzer:
Heute wird zielgerichteter gesucht. Insbesondere von Universitätsabsolventen wird mehr Flexibilität und Offenheit für Internationalität als früher verlangt. Man muss soziale Basiskompetenzen mitbringen, fachlich aber nicht unbedingt alles gleich können. Die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und das Lernenkönnen zählen mehr. Das ist aber auch in Ordnung, sofern man das den Jugendlichen klar kommuniziert.
FORMAT:
Kommt das in der Schule an?
Igor
Mitschka:
Nein, auf das soziale Lernen wird in unseren Schulen kaum Rücksicht genommen. Ich würde ein eigenes Unterrichtsfach einführen, in dem es darum geht, wie man Konflikte löst und in Gesprächen respektvoll seine Interessen formuliert.
Baumgartner-Gabitzer:
Ist dafür wirklich nur die Schule zuständig? Soziale Grundstrukturen, wie beispielsweise Konfliktlösung und Umgangsformen lernt man doch auch von Vorbildern in der Familie oder im Freundeskreis. Ich bin wirklich überrascht, dass Sie ein neues Unterrichtsfach fordern.
Mitschka:
Man darf nicht vergessen, dass wir mehr als die Hälfte unserer Zeit in der Schule sitzen, deshalb kann man die Schule nicht auf den reinen Wissenserwerb reduzieren. Es ist außerdem wichtig zu lernen, kritisch zu denken, zu hinterfragen und seine Meinung zu vertreten.
FORMAT:
Ist die Wirtschaft offen für kritisch denkende Mitarbeiter?
Baumgartner-Gabitzer:
Ein kreativer, mitdenkender Mitarbeiter, der selbstbewusst seine Kritik in angemessener Form äußern kann, ist das Beste, was sich ein Unternehmen wünschen kann. Es muss aber natürlich auch Hierarchien geben, denn nach Diskussionen müssen auch Entscheidungen getroffen werden.
Mitschka:
Ich halte das für einen großen Fehler, wenn nur in höheren Etagen kritisches Mitdenken erwünscht ist, der Großteil der Mitarbeiter aber davon ausgeschlossen ist.
Baumgartner-Gabitzer:
Da haben Sie mich missverstanden. Es gibt Tätigkeiten, die müssen durchgeführt werden, darüber kann nicht diskutiert werden, wie beispielsweise, wenn ein Elektriker elektrische Leitungen verlegt und diese funktionieren müssen.
FORMAT:
Zum lebenslangen Lernen. Wer soll Weiterbildungen bezahlen, die Unternehmen, die Mitarbeiter oder der Staat?
Mitschka:
Weiterbildung, egal ob an Volkshochschulen oder an den Universitäten, sollte kostenlos sein.
Baumgartner-Gabitzer:
Das sehe ich anders, denn Weiterbildung eröffnet neue Möglichkeiten, und man verdient danach auch mehr. Warum sollte der Einzelne profitieren, aber alle mitzahlen? Bildung muss als Wert verstanden werden.
Mitschka:
Gebühren können aber auch ein Hindernis sein, sich weiterzubilden, auch sozial Schwache sollten die Möglichkeit dazu haben.
Baumgartner-Gabitzer:
Die Stipendien wurden ausgeweitet. Das ist sozial viel treffsicherer.
FORMAT:
Brauchen wir eine Gesamtschule?
Mitschka:
Ja, denn die Trennung erfolgt zu früh. Bei Neunjährigen können Begabungen und Interessen noch nicht eindeutig festgestellt werden.
Baumgartner-Gabitzer:
Nein, unser bestehendes Schulsystem ist sehr gut. Ziel sollte aber die frühzeitige Förderung der individuellen Begabungen sein. Die liefert die Basis für eine gute Ausbildung.
Interview: Martina Madner