FORMAT-Serie zur EU-Parlamentswahl
Teil Eins: Der Weg aus der Wirtschaftskrise

Die Serie zur Europawahl: Was die EU jetzt zu bewältigen hat, wie viel Macht das EU-Parlament dabei hat und welche Positionen die Parteien vertreten. Teil eins: Der Weg aus der Wirtschaftskrise.

Als sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Jahr 2000 trafen, um die Wirtschaftspolitik für die kommenden Jahre festzulegen, sprühten sie vor Optimismus und Tatendrang. 2010, so dachten sie wohl, werde ein Jahr des Wohlstandes und Wachstums, und Europa solle sich dann an der globalen Spitze sonnen. Recht unbescheiden war dementsprechend das Ziel, das die damals beschlossene Lissabon-Strategie festsetzte: Die EU sollte bis 2010 nicht weniger als „der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensgestützte Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Nun, 2009, kann man in Brüssel über dieses Ziel nur bitter lachen: In den Boomzeiten hinkte Europa hinter Asien und den USA her, und die Krise trifft die EU noch härter als andere. Die Wirtschaftspolitik muss neu geschrieben werden.
Wie diese neue Politik aussehen wird, das entscheidet sich auch am 7. Juni. An diesem Tag werden die Stimmen der Wahl zum Europäischen Parlament ausgezählt. 375 Millionen Bürger aus 27 Mitgliedsstaaten sind zu den Urnen gerufen, um 736 Abgeordnete in Direktwahl für fünf Jahre zu wählen. Wie das Parlament danach aussieht, wird die Wirtschaftspolitik der EU auf Jahrzehnte prägen: Denn das neue Parlament muss – im Mitentscheidungsverfahren mit der Kommission und dem Rat – Weichen stellen.

Gewaltige Herausforderungen
Die Herausforderungen sind so groß wie nie zuvor:
Rezession: Das Jahr 2009 wird für die gesamte EU einen scharfen Rückgang bringen. Ob die Erholung 2010 eintritt, hängt maßgeblich davon ab, wie koordiniert Europa vorgehen kann.
Schulden: Die Konjunkturpakete von insgesamt 1,5 Prozent des BIP sind nach Ansicht der USA zwar zu wenig – doch sie belasten die Budgets der Mitgliedsstaaten schwer: Die OECD sagt ­Österreich ein Defizit von 7,7 Prozent für 2010 voraus. (Der Gesamtbericht erscheint am 6. Mai.) Irland rechnet schon heuer mit 10 Prozent Defizit, Großbritannien mit über neun – weit mehr, als die EU in normalen Zeiten zulassen würde.
Osteuropa: Die Krise im Osten der EU und den angrenzenden Staaten ist noch nicht ausgestanden: Wenn ein Investoren-Run einsetzt, droht dort eine neue Asienkrise – mitten in Europa. Zu verhindern ist das nur durch koordiniertes Vorgehen der EU und viel Geld.
Banken: Der Abschreibungsbedarf der Banken liegt lauf IWF noch im Bereich von Hunderten Milliarden – was die Staaten direkt treffen kann: Sie haben ­Garantien übernommen.

Sprengstoff am Arbeitsmarkt
Der wahre Sprengstoff liegt aber im Sozialen. Die EU-Kommission schätzt, dass 2009 rund 4,5 Millionen Menschen in der Union ­ihren Job verlieren. Die Arbeitslosen­quote wird auf mehr als zehn Prozent steigen. In Spanien liegt sie schon heute beim ­Rekordwert von 17,4 Prozent. „In manchen Ländern ist die Lage sehr gespannt. Man kann soziale Unruhen nicht ausschließen“, sagte Kommissar Vladimir Spidla im Vorfeld des Beschäftigungsgipfels, der am 7. Mai in Prag stattfindet. Kein Wunder also, dass die Bevölkerung vor der EU-Wahl vor allem an wirtschaftlichen Themen interessiert ist: Laut Eurobarometer liegen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum mit über 50 Prozent und die Kaufkraft mit 40 Prozent an der Spitze, für Kriminalität interessieren sich hingegen nicht einmal 30 Prozent.

Parlament spielt Schlüsselrolle
Wirtschaft und Soziales stehen daher auch bei allen österreichischen Parteien ganz oben auf der Liste der Wahlkampfthemen. Das EU-Parlament spielt in der Wirtschaftspolitik eine Schlüsselrolle. Zwar verteilt es selbst kein Geld, und auch die Kommission hat zu wenig Mittel für eine echte Konjunkturbelebung übrig: Gerade einmal fünf Milliarden schwer ist das Konjunkturpaket, das nächste Woche von Brüssel aus vor allem in erneuerbare ­Energien gehen soll. Doch das Parlament macht die Gesetze, nach denen sich die Mitgliedsstaaten richten müssen, wenn sie ihr eigenes Geld in die Wirtschaft pumpen: 80 Prozent der Gesetze, die in Österreich beschlossen werden, kommen aus Brüssel; bei mehr als drei Viertel der Agenden hat das Parlament volles Mitbestimmungsrecht. Und für die kommende Legislaturperiode ist die Agenda prall gefüllt: Was die EU-Staaten kurzfristig an Koordinierung in den Bankenrettungen und Konjunkturpaketen vereinbart haben, muss nun in Gesetze gegossen werden. Wer sich im kommenden Parlament durchsetzt, kann also auf Jahrzehnte hinaus die Wirtschafts- und Sozialpolitik prägen.

Finanzmarktregeln
Die Hausaufgaben sind zum Teil schon erledigt: Dieser Tage hat das EU-Parlament Regeln für europäische Ratingagenturen beschlossen und die Aufsicht für den Versicherungssektor neu geordnet. Im Mai wird über die Bankenrichtlinie abgestimmt. Nach der Wahl stehen neue ­Regeln für Managergehälter und -boni, die Regulierung von Hedgefonds und die ­Einrichtung einer europäischen Finanzmarktaufsicht auf dem Plan. Berichterstatter des Parlaments ist übrigens Othmar Karas, stellvertretender EVP-Vorsitzender, der ­vehement für „mehr Europa“ kämpft. Doch die Regulierung des Finanzmarktes ist nur ein kleiner Teil der Krisenbewältigung: In der nächsten Legislaturperiode geht es vor allem darum, die Wirtschaftspolitik neu aufzustellen. Wie das Post-Lissabon aussehen soll, wird derzeit gerade in der EU-Kommission beraten – doch das neue Parlament wird ein gewichtiges Wort mitreden.

Ökologisierung der Wirtschaft
In Österreich sind sich drei Parteien – SPÖ, ÖVP und Grüne – einig, dass die Zukunft in der Ökologisierung der Wirtschaft liegt: Die Umstellung auf erneuerbare Energien soll regionale Wertschöpfung, Unabhängigkeit und Arbeitsplätze bringen. Am konkretesten sind die Grünen, die fünf Millionen grüne Jobs schaffen wollen (siehe Spitzenkandidaten zur EU-Parlamentswahl ) . Auch hier hat das EU-Parlament einen ersten Schritt schon gesetzt: Letzte Woche wurden Richtlinien für Energie sparendes Bauen und Sanieren beschlossen. BZÖ und FPÖ wollen hingegen lieber weniger EU: Schutzzölle, Vereinbarungen gegen die Auslagerung von Werken und weniger Nettozahlerbeiträge sollen die Nationalstaaten für Konjunkturmaßnahmen freispielen.

Die soziale Frage
Noch viel schwieriger als eine Ökologisierung der Wirtschaft ist die soziale Frage: Denn so sehr die Krise Arbeitslosigkeit, Armut und Alterssicherung in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt hat – europäische Themen sind das noch nicht. Derzeit bestehen die Mitgliedsstaaten noch darauf, die ­Sozialagenden in der Hand zu behalten. Das scheint bei freiem Waren-, Dienst­leistungs-, Personen- und Kapitalverkehr zwar absurd; doch jene Staaten mit ­höherem Sozialbudget befürchten eine ­Nivellierung nach unten. „Das werden wir auf keinen Fall zulassen“, meint auch Hannes Swoboda von der SPÖ, Fraktionsvorsitzender der SPE im Europaparlament, der an sich für eine Harmonisierung von Arbeitszeitregeln, Pensionsvorsorge und Arbeitslosengeld eintritt. Angesichts von drohenden weiteren sechs Millionen Arbeitslosen, die Pessimisten für 2010 voraussagen, hat das Parlament hier eine große Aufgabe vor sich. Kürzlich ist es daran gescheitert: Die geplante Arbeitszeitrichtlinie, welche die ­maximalen Wochenarbeitszeiten festlegen sollte, platzte. Manchen Staaten waren die vereinbarten Arbeitszeiten einfach zu lang.

Von Martina Madner und Corinna Milborn

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