Ex-Familienministerin Karmasin zu 15 Monaten bedingt verurteilt
Die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) war wegen schweren Betrugs sowie Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen angeklagt. Es ist der erste Prozess einer Vertrauten des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), allerdings in einer Nebencausa. Trotzdem gilt das Verfahren auch als Gradmesser für die Arbeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), der Anklagebehörde.
Hochspannung am Wiener Landesgericht für Strafsachen, wo am Dienstag der Prozess gegen Ex-Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) und einen mitangeklagten Abteilungsleiter im Sportministerium wegen schweren Betrugs sowie Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen erstinstanzlich abgeschlossen worden ist.
Und es kam zu einem Schuldspruch: Ex-Ministerin Karmasin wurde zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, die der bisher Unbescholtenen bedingt nachgesehen wurde. Sie wurde wegen wettbwerbsbeschränkdenr Absprachen schuldig gesprochen. Vom vom schweren Betrug wurde Karmasin hingegen freigesprochen.
Den Angeklagten drohten im Fall von Schuldsprüchen bis zu drei Jahre Haft, wobei Karmasin die in der U-Haft verbrachte Zeit auf die Strafe anzurechnen wäre. Die Meinungsforscherin und Ex-Politikerin war am 2. März 2022 fest- und zwei Tage später wegen Tatbegehungsgefahr in U-Haft genommen worden. Erst am 28. März gab das Oberlandesgericht (OLG) Wien einer Haftbeschwerde ihrer Anwälte Norbert Wess und Philipp Wolm Folge - Karmasin war somit immerhin 26 Tage in einer Zelle der Justizanstalt Josefstadt gesessen.
Sophie Karmasin hatte in ihrem Schlusswort noch ein Mal betont, sie habe sich strafrechtlich nichts zu Schulden kommen lassen. Hinsichtlich des Vorwurfs, nach ihrer Tätigkeit als Ministerin betrügerisch Bezüge weiter bezogen zu haben, habe sie "unbedacht, unvorsichtig, vielleicht naiv" gehandelt: "Ich hatte aber nicht die Absicht, die Republik zu schädigen." Sie habe sich in einer "Ausnahmesituation" befunden und angesichts ihrer unklaren beruflichen Zukunft um Bezugsfortzahlung angesucht. Zu den inkriminierten Studien für das Sportministerium bemerkte Karmasin, sie habe sich dafür vom Ministerium "einspannen" lassen. "Bei mir stellt sich nicht die Frage, was war meine Leistung. Bei mir stellt sich die Frage, wo ist der Schaden", sinnierte die Meinungsforscherin, um sogleich festzuhalten: "Es gibt keinen Schaden."
Karmasin beklagte sich, dass sie in während ihrer U-Haft "nicht besonders gut" behandelt worden sei. So habe man in ihrer Zelle "vier Mal in der Nacht das Licht aufgedreht". An ihrer ehemaligen Mitarbeiterin und Vertrauten Sabine Beinschab, die in der Vorwoche gegen sie ausgesagt hatte, ließ die Ex-Ministerin kein gutes Haar. Diese sei "eine toughe Geschäftsfrau und sicher kein Opfer" und nutze ihren Status als Kronzeugin aus. Seinerzeit habe sie bei bzw. mit ihr, Karmasin, gut verdient und sich von ihren Einkünften ein Haus in Kärnten gekauft.
Die Ex-Ministerin soll sich nach ihrem Ausscheiden aus der Politik widerrechtlich Bezugsfortzahlungen erschlichen haben, indem sie Bediensteten des Bundeskanzleramts verschwieg, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit nach ihrer Amtszeit als Familienministerin nahtlos fortsetzte. Von der Anklage umfasst sind 78.589,95 Euro.
Der zweite Anklagekomplex betrifft drei Studien für das Sportministerium, für die Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den Zuschlag erhielt, indem sie laut Anklage zwei Mitbewerberinnen - darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab - dazu brachte, "von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde" (Anklageschrift).
Karmasin hat sich in dem Verfahren, in dem es noch nicht um die ÖVP-Umfragen-Affäre geht, "nicht schuldig" bekannt. Allerdings wurde sie im gegenständlichen Verfahren in der Vorwoche von ihrer ehemaligen Mitarbeiterin, der nunmehrigen Kronzeugin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Sabine Beinschab massiv und auch in Richtung des ÖVP-Komplexes belastet, der noch Gegenstand von Ermittlungen ist, von denen unter anderem Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen engste berufliche Mitarbeiter und die ÖVP mitumfasst sind. Karmasin habe ihr den Kontakt zum damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, vermittelt, schilderte Beinschab. In weiterer Folge sei das so genannte Beinschab-Tool entwickelt worden: "Bei Sophie Karmasin war auch der Gedanke dabei, da kann ich etwas mitverdienen."
Inhaltlich habe Karmasin an den Studien fürs Finanzministerium zwar nicht mitgewirkt, sie habe aber von sich aus 20 Prozent Umsatzbeteiligung für Kontakt-Vermittlung und Beratung verlangt, berichtete Beinschab: "Sie hat gesagt, sie will inkludiert sein in diesem Paket." Diese 20 Prozent auf den Umsatz aller für das Finanzministerium erstellten Studien seien die Gegenleistung dafür gewesen, dass Karmasin den Kontakt zu Thomas Schmid, aber auch zu den Fellner-Brüdern hergestellt hatte. Den Inhalt der Studien, die sie im Auftrag von Schmid für das Finanzministerium erstellt habe, habe sie im Vorhinein absprechen müssen. "Fragen bitte mit Frischi abklären", liest sich dazu eine Chatnachricht von Karmasin an Beinschab. Gemeint ist damit der ehemalige Pressesprecher von Ex-Kanzler Kurz, Johannes Frischmann.
Rückblickend betrachtet hatte Beinschab in ihrer Zeugenbefragung abschließend festgehalten: "Es wäre das Beste für Sophie gewesen, sie wäre im Unternehmen geblieben und wir hätten weiter legale Marktforschung betreiben können. Für sie war es wahrscheinlich ein Fehler in die Politik zu gehen. Für mich war es ein Fehler, dass ich mich auf manche Dinge eingelassen habe."
"Spürbare teilbedingte Freiheitsstrafe" gefordert
Zuvor hatten die beiden Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in ihren Schlussvorträgen eine "spürbare teilbedingte Freiheitsstrafe" für Sophie Karmasin verlangt. Diese sei aufgrund ihrer Funktion einer einst ranghohen Politikerin "im oberen Strafdrittel" anzusiedeln. Im Fall einer anklagekonformen Verurteilung drohten der Meinungsforscherin bis zu drei Jahre Haft.
"Die Beweismittel zeigen ein eindeutiges Bild und lassen keinen Spielraum für Zweifel", fasste Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic das Beweisverfahren zusammen. Und in Richtung der Angeklagten stellte er klar: "Sie hat konsequent gegen das Gesetz verstoßen." Sophie Karmasin habe "schon lange vor Beendigung ihrer Ministerschaft" Verdienstmöglichkeiten geplant und unmittelbar nach ihrer politische Karriere nahtlos entgeltliche berufliche Tätigkeiten aufgenommen. Dessen ungeachtet habe sie bis zum 23. Mai 2018 auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Bezüge als Ex-Ministerin bezogen. "Sie hat sich die ganze Zeit über das Tätigkeitsverbot hinweggesetzt und den Sachbearbeiter im Bundeskanzleramt schlicht und einfach angelogen", sagte Adamovic.
Der Oberstaatsanwalt warf der Ex-Politikerin weiters vor, diese habe "einen ordentlichen Aufwand betrieben, um ihre Zuverdienste zu verschleiern". Karmasin habe Honorare und Provisionen bezogen und diese über die Firma ihres Mannes verdeckt abgerechnet. Adamovic sprach von Scheinrechnungen und betonte, Karmasin habe ihre Einkünfte weder dem Parlament noch dem Rechnungshof gemeldet. Ihre Tathandlungen habe die Ex-Ministerin "erst beendet, als sie öffentliche Aufdeckung befürchten musste". Von Reue bzw. tätiger Reue könne bei Karmasin im Sinne des Gesetzes keine Rede sein, bemerkte der Vertreter der WKStA.
Adamovics Kollege Roland Koch billigte Karmasin hinsichtlich des Betrugsfaktum vollständige Schadensgutmachung zu. Diese habe ihre zu Unrecht bezogenen Bezüge zur Gänze zurückbezahlt. "Aber der Schaden für das Ansehen der Demokratie und des Rechtsstaates bleibt", beklagte Koch. Vor allem aber würden die Erschwerungsgründe die Milderungsgründe - Karmasin ist bisher gerichtlich unbescholten - "überdeutlich" überwiegen. Koch erwähnte in diesem Kontext den langen Tatzeitraum von 2018 bis 2021 und Karmasins führende Tatbeteiligung. Diese habe etwa Sabine Beinschab "zu Tathandlungen verführt".
Oberstaatsanwalt Koch hob die Stellung Karmasins hervor, die jahrelang eines der höchsten Ämter der Republik bekleidet habe. Sie habe "schwere Schuld" auf sich geladen. Der Bevölkerung müsse gezeigt werden, dass auch für eine ehemalige Ministerin "schwere Straftaten schwere Folgen haben. Denn ansonsten denkt sich die Bevölkerung, was sie sich eh schon denkt: denen da oben passiert nix."
=> Fortsetzung folgt