EU-Budget: Europas Ein-Prozent-Streit
Wichtiger als der Kampf um die Ein-Prozent-Obergrenze beim EU-Budget ist, ob das investierte Geld wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Mehrwert schafft. Und dafür müssten neue Ziele definiert werden, schreibt der Ökonom Karl Aiginger in seinem Gastkommentar.
Karl Aiginger
Das Europäische Budget liegt bei nur einem Prozent der Wirtschaftsleistung, während die Summe der nationalen Budgets mehr als 40 Prozent ausmacht. Dieser Vergleich relativiert die Differenzen zwischen den Zielvorgaben. Sie liegen zwischen einem Prozent - von den Nettozahlern wie Österreich und Deutschland als Obergrenze bezeichnet - und dem Traumziel der "Nettoempfänger" wie Griechenland, Polen, Ungarn von 1,3 Prozent. Ein Vorschlag der letzten EU-Kommission lag bei 1,11 Prozent, das Parlament unterstützt die 1,3 Prozent. In absoluten Zahlen geht es für Österreich um die Frage, ob es vier oder 5,2 Milliarden Euro pro Jahr "nach Brüssel schickt".
Viel wichtiger ist jedoch, wofür das Geld verwendet wird, wie die Mittel eingehoben werden, ob das investierte Geld wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Mehrwert schafft. Und viertens, ob neue Belastungen dazukommen oder diese lediglich alte ersetzen.
Thema Nummer eins: Die Geldverwendung
Die Geldverwendung ist das Ergebnis von Macht und Lobbyismus, und nicht von Überlegungen, was gemeinsam verbessert werden kann. Etwa wie man Handelsverträge und Globalisierung ökologischer gestalten und Ungleichheit und Arbeitslosigkeit reduzieren kann
- Der größte Teil der EU-Ausgaben fließt in die Landwirtschaft. Dieser Anteil soll nach dem aktuellen Vorschlag der Kommission von 40 Prozent auf 32 Prozent reduziert werden. Aber die Mittel für die weitgehend flächengebundene erste Säule wird anteilsmäßig weniger gekürzt werden als die an Qualität gebundene Förderung des ländlichen Raumes. Die zweite kofinanzierte Säule soll um fast ein Drittel reduziert werden - auf ein Fünftel der flächengebundenen Förderung.
- Die zweitgrößte Ausgabenposition ist der Kohäsionsfonds. Mit ihrer Kürzung von 34 Prozent auf 30 Prozent läge sie dann gleichauf mit der Agrarförderung. Hier werden Mittel gekürzt, die in der Vergangenheit viel gebracht haben, Erasmus, Aufholprozess des Burgenlandes, Transformation der Oststaaten und Begrenzung der Ambitionen Russlands am Westbalkan.
- Anteilsmäßig steigend ist die Wachstumsförderung, zukünftig "Binnenmarkt Innovation und Digitales" genannt. Ihr Budgetanteil soll von 13,1 Prozent auf 14,6 Prozent steigen. Die Ausgaben für Migration und Grenzmanagement werden verdoppelt, jene für "Nachbarschaft und die Welt" steigen um ein Drittel. Die Europäische öffentliche Verwaltung benötigt mit 6,7 Prozent einen leicht steigenden Budgetanteil.
- Kaum Geld gibt es für neue Töpfe, daher, wurde versucht, Klimaziele bei anderen Kategorien als thematische Priorität "unterzubringen". Dafür sollen die Mittel von 20 Prozent auf ebenfalls bescheidene 25 Prozent erhöht werden. Schon bisher wurde der Wert nur erreicht, wenn auch viele Agrarförderungen als klimarelevant gewertet wurden.
Thema Nummer zwei: Die Geldaufbringung
Bei der Geldaufbringung gibt es drei unterschiedliche Wege: entweder liefern Länder mehr von "ihren" Steuern nach Brüssel ab. Dazu zählt der Betrag, der an die Mehrwertsteuer gebunden ist, und jener, der nach der Wirtschaftsleistung eingehoben wird. Oder die Eigeneinnahmen werden erhöht, das waren bisher Zölle.
Neue Quellen wären Finanztransaktionen, CO2 Emissionen, Kerosinverbrauch und Plastik. Die EU sollte Schlupflöcher bei der Körperschaftssteuer schließen, Subventionen für fossile Energie bestrafen. Die zweite und dritte Quelle für "Eigenmittel" haben positiven Effekt für Mitglieder und europäische Ziele.
Thema Nummer drei: Die Nettokosten
Die budgetären Nettokosten sind nicht der richtige Maßstab für den Mehrwert, den ein Land erwirbt. Österreich konnte durch den EU-Beitritt an die Spitze aufsteigen, weil die Ostöffnung neue Märkte brachte, Ostländer konnten rasch Marktwirtschaften werden. Die richtige Wertung für EU-Beiträge wäre der erzielte Wohlfahrtsgewinn, der kann auch für Nettozahler positiv sein. Wird auf nationaler Ebene gespart, kann der Gewinn für alle Mitglieder positiv sein, nicht nur für Länder, die aus den Töpfen mehr zurückbekommen.
Thema Nummer vier: Die Abgabenquote
Da Europa die höchste Abgabenquote (Mitglieder plus EU) aller Marktwirtschaften hat, sollten sinnvolle europäische Projekte durchgeführt werden, gleichzeitig aber die nationalen Abgabenquoten gesenkt werden.
Die EU-Politik muss Effizienzreserven, Doppelkompetenzen, falsche Subventionen im Rahmen des "Europäischen Semesters" aufdecken. Mit dem Ziel, für jeden Euro, den Europa braucht, zwei Euro auf nationaler Ebene einzusparen.
Green Deal und Soziales Europa
Die Europäische Investitionsbank (EIB) kann Kosten durch außerbudgetäre Finanzierung senken. Grüne Fonds und "Safe Assets" ermöglichen China und Pensionsfonds, mehr zu investieren, die konsequente Abrechnung von Verträgen in Euro ("Entthronung des Dollar") verbilligt die Finanzierung noch einmal.
Außerdem sollte Europa, bevor es Militärausgaben ausweitet, die 27 nach innen gerichteten Verteidigungssysteme reformieren und in Nachbarregionen investieren. Auf den zweiten Sitz seines Parlaments und die Übersetzung jedes Dokuments in zwanzig Sprachen könnte die EU verzichten.
Zusammenfassend kann auch ein niedriges Budget ein mächtiges Instrument werden. Dafür müssen Ziele definiert werden. "Green Deal" und "Soziales Europa" müssen sich aber in Ausgaben- und Einnahmenstruktur niederschlagen.
Das für 2021-27 geplante Budget erfüllt diese Anforderung nicht. Ein Vorschlag wäre, die Agrarausgaben statt auf 30 Prozent gleich auf 20 Prozent zu reduzieren und dafür die zweite Säule größer zu machen als die erste. Die Strukturgelder sollten stärker an Beseitigung von Ungleichheiten und Klimaschäden und den Rechtsstaat gekoppelt, die Mitarbeit an europäischen Migrationszielen belohnt werden. Da Länder hier Widerstand leisten, soll sich die lokale Ebene bewerben können. Exporte mit subventionierter Energie und Waffenlieferungen sind zu beenden. Die EU deckt Ineffizienzen und Sparpotenziale auf. Dann kann jedes Land prüfen, ob nicht europäische Projekte einen höheren Mehrwert haben als nationale.
Der Autor
Karl Aiginger war von 2005 bis 2016 Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, aktuell ist er Gastprofessor an der WU Wien und arbeitet beim Diskussionsforum "Querdenkerplattform".