Der lange Schatten der Beamten

Sie kämpfen um Sparpakete, für die Rettung des Triple-A und oft auch gegen die Kabinette ihrer Minister. Österreichs mächtigste Beamte im Spannungsfeld zwischen Politik und Sachzwang.

Schuldenbremse? Nicht zuständig. Sparpakete? Sicher nicht. Nicht mit Fritz Neugebauer, dem Mann aus Beton. Er zog auch bei den jüngsten Gehaltsverhandlungen für die österreichischen Beamten – immerhin stehen rund 487.000 Personen im Sold der öffentlichen Hand – seinen Poker durch. Erst beim vierten Treffen wurde zwischen dem Gewerkschafter und der Regierung ein Kompromiss erzielt: 3,36 Prozent mehr für Beamte mit kleinen Einkommen, plus 2,68 für die Gutverdiener. „Unser langer Atem hat sich ausgezahlt“, meinte Neugebauer danach zufrieden.

Neugebauer ist zwar der oberste Beamtenvertreter. Der wichtigste Staatsdiener ist er aber beileibe nicht. Die wirklich Mächtigen dieses Standes agieren ruhig und gelassen im Hintergrund und sind einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt. Und sie verdienen mit Zulagen rund 10.000 Euro im Monat, 14 mal im Jahr.

Aber ohne diese gut hundert Sektionschefs, Landesamtsdirektoren, Höchstrichter und Amtsvorsitzende, übrigens fast ausschließlich Männer, läuft in Österreich fast gar nichts: Sie helfen, den Euro zu retten, versuchen, die Verwaltung zu sanieren, ärgern sich sogar selbst über bürokratische Auswüchse ihres gewaltigen Apparats. Und fast immer, wenn ein Politiker mit einem neuen Vorschlag hausieren geht, hat einer dieser Beamten im Verborgenen diese Idee erdacht und vorbereitet. Oder wie es Thomas Wieser, Sektionschef für Wirtschafts- und Finanzpolitik im Finanzministerium, listig formuliert: „Man kann keine gute Politik mit einer schlechten Verwaltung machen.“

Spätestens seit in Griechenland und Italien Experten, die sich zum Gutteil aus Elitebeamten rekrutieren, das Ruder übernommen haben, rücken auch hierzulande die obersten Ingenieure im Räderwerk des Staates ins Blickfeld. FORMAT holt nun die mächtigsten Verwalter Österreichs vor den Vorhang. Für das Ranking der 30 wurden Experten befragt und Kriterien wie Budgets, Bedeutung und Durchsetzungsfähigkeit berücksichtigt.

Ungeschminkte Wahrheiten

Angeführt wird Österreichs Beamtenriege schon seit Jahren von Gerhard Steger, 54. Er sitzt im 5. Stock des Finanzministeriums und leitet seit 1997 die Budgetsektion. Weder Rudolf Edlinger, Karl-Heinz Grasser, Wilhelm Molterer, Josef Pröll noch Maria Fekter wollten auf die Sachkompetenz des deklarierten Sozialdemokraten verzichten. Steger spricht Klartext: „Wir können uns Parallelverwaltungen, ineffizienten Föderalismus, überbordende Förderungen und ein viel zu teures Pensionssystem einfach nicht mehr leisten“, so der Hobbymusiker im FORMAT-Gespräch. „Leute wie ich müssen das jetzt ungeschminkt sagen. Eine Person in meiner Funktion, die sich bei der Politik beliebt machen will, ist falsch am Platz.“

Ein Stockwerk unter ihm sitzt Thomas Wieser, 57. Er strahlt im Gegensatz zu seinem hemdsärmeligen Kollegen das intellektuelle Flair eines Oxford-Professors aus. Weniger mächtig ist er deswegen nicht, macht er doch gerade auch auf EU-Ebene Karriere. Steger und Wieser lassen wie viele andere oberste Staatsdiener das herkömmliche Ärmelschoner-Image der Beamten vergessen. Die meisten würden locker auch als Manager oder Firmenchefs eine gute Figur machen. Zum Beispiel Herbert Kasser, Spitzenbeamter im Verkehrsministerium und Nummer 5 im Ranking: Er sieht sein derzeitiges Einsatzgebiet schlicht als „operative Fachabteilung“ des Konzerns Österreich.

Manfred Matzka, 61, Präsidialsektionschef im Bundeskanzleramt, vergleicht das Verhältnis von Politik zu Administration ebenfalls mit jenem zwischen dem Vorstand und der operativen Führungsebene eines Großunternehmens. „Ein guter Konzernvorstand kümmert sich um Führung sowie Strategie und überlässt die Umsetzung der zweiten Ebene und deren Teams. Alle wissen, wie die Orgel spielt“, meint der hierarchisch oberste Beamte Österreichs. „Zwischen Politik und Verwaltung sind diese Rollen leider nicht optimal verteilt. Ressortchefs müssen zwar nicht unbedingt jahrelange Managementerfahrung haben. Aber sie sollen wenigstens vernünftige strategische Ziele kommunizieren. Das ist ausbaufähig.“

Ein anderer Sektionschef geht mit den Politikern noch härter ins Gericht: „Hätte die Politik Entscheidungen nicht immer wieder hinausgeschoben, wäre Österreich jetzt nicht in diesem Schuldendilemma.“

Reformhindernis Beamter?

Auf der anderen Seite jedoch jammern Politiker über die Unbeweglichkeit der Bürokratie. An Generalstabschef Edmund Entacher, dessen effektive Macht mangels militärischen Konflikts eher endlich ist, hat sich Verteidigungsminister Norbert Darabos seine Zähne ausgebissen. Solche Beamte seien für Politiker „fast unüberwindbare Reformhindernisse“, meint der grüne Abgeordnete Peter Pilz. Daher müsse es wie in den USA die Möglichkeit geben, auch Spitzenbeamte aus ihren Funktionen zu entfernen. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst hat hingegen den Triumph von Entacher frenetisch beklatscht. Das interpretiert der Politologe Anton Pelinka in der „Zeit“ so: „Österreich ist ein Beamtenstaat, der sich den Schein einer demokratischen Republik gibt.“

Doch in Wahrheit ist es komplizierter. Spitzen gegen Politiker sind von Spitzenbeamten selten geworden. In den 80er-Jahren haben viele in der britischen TV-Satire „Yes, Minister“, in der Politiker als ahnungslose Puppen am Gängelband einer Beamten-Schattenregierung karikiert wurden, ein großes Quäntchen Wahrheit entdeckt. Heute gelte „das Primat der Politik über das Primat der Beamten“, meint Herbert Anderl, der mächtige Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. „Natürlich arbeiten wir Vorschläge aus und präsentieren sie auch“, sagt Anderl. „Aber der aktuelle Auftrag zum Beispiel zur großen Polizeireform ist direkt von der Ministerin gekommen.“

Kabinette an die Macht

Seit Beginn der 90er-Jahre ist es zu einer strukturellen Machtverschiebung zwischen Politik und Verwaltung gekommen. Das hat zum einen mit einzelnen ausgeprägten Politikerpersönlichkeiten zu tun. So etwa gelingt es derzeit im Wirtschaftsministerium unter Reinhold Mitterlehner nur wenigen Beamten, sich zu profilieren. Vor allem aber liegt es am gestiegenen Einfluss der Kabinette. „In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Landschaft total verändert. In den Ministerien ist heute keiner mehr so wirklich mächtig, weil alles durch die Kabinette gesteuert wird“, meint ein ehemaliger Sektionschef, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Matzka, von 1989 bis 1993 selbst Kabinettschef im Innenministerium, teilt diese Wahrnehmung: „Seit etwa zwei Jahrzehnten werden die Kabinette immer größer, aber hinsichtlich ihrer Fachkenntnis nicht unbedingt besser. Leider erhöht sich auch oft die Distanz zur Verwaltung. Ein Kabinettsstab sollte aber wissen, wie der Apparat tickt. Der Zustand in manchen Ressorts ist nicht optimal.“

Dafür kann eine Mitarbeit in einem Kabinett für eine weitere Beamtenkarriere förderlich sein. Laut einer Anfrage der Grünen haben in den vergangenen fünf Jahren die Ministerinnen und Minister rund dreißig ihrer Referenten in Leitungsfunktionen ihrer Ressorts berufen – davon sieben zu Sektionschefs und 19 zu Abteilungsleitern.

Der Einfluss der Kabinette hat auch dazu geführt, dass sich viele der wirklich mächtigen Beamten inzwischen in ausgelagerten Stellen wie etwa dem Bundesvergabeamt (BVA), in den Bundesländern, der Stadt Wien oder beispielsweise im Verfassungsgerichtshof finden. Vor Entscheidungen der obersten Richter wie Gerhart Holzinger oder BVA-Chef Michael Sachs, der die Rechtmäßigkeit von etwa 170 öffentlichen Aufträgen pro Jahr überwacht, zittern die Politiker regelmäßig. Denn ihre Erkenntnisse müssen umgesetzt werden. Hier zeigt sich ganz klar, wer anschafft. Und dass die Politiker oft nur nach außen hin die Mächtigsten im Staate sind.

– Rainer Himmelfreundpointner, Miriam Koch

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