Comeback der Kammer-Macht [Politik Backstage]
Vom türkisen Messias a. D. wurden sie kurzgehalten. Sein Nachfolger, KARL NEHAMMER, setzt auf die lange verschmähten Sozialpartner als Nothelfer beim Corona- und Impf-Desaster.
Bundeskanzler Karl Nehammer streckt die Hände aus. Er weiß - anders als Vorgänger Sebastian Kurz -, dass er ohne Unterstützung der Länder und der Sozialpartner bald Geschichte ist.
Es ist gut ein Jahr her, da wedelte ein gewisser Karl Nehammer in den Weihnachtsfeiertagen 2020 über Kärntner Skipisten. Mediale Spuren hinterließ der Innenministers dabei trotz eines dräuenden neuen Lockdowns keine. Kurz vor dem diesjährigen Jahreswechsel kehrt der Niederösterreicher einmal mehr in der "Gamskogelhütte" am Kärntner Katschberg ein. Eine traute Männerpartie, dicht an dicht um einen runden Holztisch gedrängt, prostet einander mit einem kleinen Bier zu.
Nehammer lächelt für ein Erinnerungsfoto leutselig in die Kamera. Gleiche Gegend, gleiche Jahreszeit, gleiches Urlaubsvergnügen - und dennoch alles anders. Der Schnappschuss wird gleich mehrfach zum Bumerang für den neuen ÖVP-Kanzler.
Nehammer lässt zehn Tage danach wissen, er sei positiv getestet worden, beteuert aber, sich erst jüngst angesteckt zu haben. Der PR-Gau ist freilich nicht mehr einzufangen: Das lockere Urlaubsbild schlägt sich mit jenen Auftritten, bei denen ein gestrenger Nehammer hinter einer Plexiglaswand im Kanzleramt nun selbst eine Maskenpflicht im Freien verordnet. In neuem Licht erscheint auch ein Propaganda-Tweet, den er just in den Tagen der geselligen Skihütten-Runden absetzen lässt: Wegen der besonders ansteckenden Omikron- Variante verzichte der Kanzler auf seine Teilnahme am Neujahrskonzert.
ÖVP-Etappenhengst
plötzlich Kanzler
Regierungsintern wird dem Ex-Berufssoldaten und langjährigen Parteiangestellten in der schwarzen Etappe bislang ein sehr ziviler Umgang nachgesagt. Plötzlich Kanzler - und ein politisch durchschnittlich agierender Innenminister macht nach dem ersten wohlwollendem Antrittsapplaus vor allem mit kleinen und größeren Pannen von sich reden. Selbst ein an sich kluger und gut gemeinter Befreiungsschlag ging bisher nur nach hinten los.
Karl Nehammer hatte in seinen ersten zwei Ministerjahren mit Rudolf Anschober und Sebastian Kurz zwei Spitzenpolitiker an der heimtückischen Corona-Front scheitern sehen. Als Innenminister hatte er rechtzeitig gewittert, dass das Virus auch politisch lebensbedrohlich ist, und sich nach einem quälenden Jahr mit Dauerauftritten im "Virologischen Quartett" von der Corona-Bühne schleichend zurückgezogen.
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Anfang Dezember zum Regierungschef gekürt, gab Nehammer intern als erste Parole aus: Experten an die vorderste Corona-Front. Sie sollen die heißen Corona-Kastanien für die Politik aus dem Feuer holen. Der neue Kanzler setzt in Sachen Pandemie ab sofort auf Gecko - die Gesamtstaatliche COVID-Krisenkoordination, angeführt von der obersten Pandemie-Beamtin, Katharina Reich, und dem Vize-Generalstabschef im Verteidigungsministerium, Rudolf Striedinger.
Verkommt Gecko
zum PR-Gag?
Internationale Vorbilder sprechen für mehr Glaubwürdigkeit und Leadership via Experten. Damit glänzten bislang weder der Generalmajor noch die Spitzenbeamtin. Rudolf Striedinger machte allein mit skurrilen Auftritten im Tarnanzug von sich reden. Katharina Reich suggerierte mit ungeschickten Interview-Antworten, die Regierung setze wie Großbritannien auf Durchseuchung und kapituliere so praktisch vor Omikron. Verkommt Nehammers Schnellschuss Gecko so schon binnen Kurzem zum PR-Gag? Die Erfinder des neuen Lieblingstierchens am Ballhausplatz versprechen Besserung. Professionellere Kommunikation und mehr Transparenz sollen Gecko retten. Denn auch in der sehr heterogenen Expertengruppe brodelt es schon nach drei Sitzungen gewaltig.
Ausgerechnet ein zweites Projekt, das Nehammer gleichzeitig mit Gecko ins Laufen bringen wollte, droht, noch am Startfeld zu platzen. Die Erfindung eines Experten-Hitzeschild für die Politik wurde bis zuletzt kaltschnäuzig geleugnet und dann vom Kanzler in einem improvisierten Mediengespräch verkündet. Vor lauter Tarnen und Täuschen wies die Gecko-Liste auch eine Woche danach noch zwei große blinde Flecken auf. Nehammer hatte sich nachdrücklich die Sozialpartner als Gecko-Mitglieder gewünscht. Das beißt sich prima vista zwar mit dem Wunschbild des unabhängigen Expertengremiums.
Nehammer spekulierte freilich nicht zu Unrecht damit, dass die akademisch dominierte Runde eine Erdung mit persönlichen Schwergewichten braucht, die politisch verankert sind, aber vor allem pragmatisch denken.
Wirtschaftkammer
schlägt Missbrauchsalarm
Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer hatten freilich Bedenken, sie könnten als Minenhund für die Politik missbraucht werden. In der Teilnehmerliste blieben so einzig zwei Felder länger namenlos: "Vertreter Arbeitnehmer XX","Vertreter Arbeitgeber XX". Erst auf nachhaltiges Drängen Nehammers delegierte Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer seinen wichtigsten Manager, Generalsekretär Karlheinz Kopf, in die Gecko-Runde. Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl zog auf gleicher Ebene mit ihrer rechten Hand, Kammeramtsdirektor Christoph Klein, nach. Schon die erste Gecko-Sitzung inklusive Sozialpartner drohte, zugleich die letzte zu sein.
WKO-General Kopf machte unmittelbar danach seinem Ärger ungewohnt heftig Luft. In einer Aussendung dementierte der Wirtschaftsvertreter lautstark einen APA-Bericht, der unter Berufung auf Ondits aus Nehammers Expertentruppe ("erfuhr aus Gecko- Kreisen") vermeldete: Auch die Sozialpartner hätten in der jüngsten Gecko-Runde der Vorverlegung der Sperrstunde von 22 auf 23 Uhr zugestimmt.
Wegen der breit unverständlichen Entscheidung, ausgerechnet zu Silvester zwei Stunden vorm Jahreswechsel dichtmachen zu müssen, war bei Gastrounternehmen und Gästen Feuer am Dach. Entsprechend alarmiert reagierte auch Wirtschaftskammer-Mann Kopf: "Eine solche Einschätzung wurde nicht besprochen, sie hätte auch niemals mit meiner Stimme beschlossen werden können. Offenbar wird hier gezielt Desinformation betrieben." Geharnischter Schlusssatz: "Unter solchen Umständen ist die weitere Mitwirkung in dieser Kommission ernsthaft zu überlegen."
Der Zorn dürfte inzwischen wieder verraucht sein. Vor allem zur Erleichterung des neuen Hausherren am Ballhausplatz. Denn die Renaissance der Sozialpartner ist ein zentraler Baustein der Strategie, wie Karl Nehammer seine Rolle als Kanzler anlegen will.
Sebastian Kurz verließ sich lange allein darauf, die Republik mit seiner kleinen handverlesenen Truppe vom Kanzleramt aus zu steuern. Ein krachend gescheitertes Experiment, auf das sich der brave türkise Mitspieler von gestern erst gar nicht einlassen will. Karl Nehammer weiß: Ohne Unterstützung durch die Länderfürsten und die Sozialpartner ist auch er als Regierungschef bald Geschichte. Die schwarzen Länderchefs haben schon nach dem Sturz von Sebastian Kurz Morgenluft gewittert und können in der ÖVP nun wie in alten Zeiten, aber ohne Unterwerfungsgesten, wieder den Ton angeben.
Auch die Sozialpartner registrieren mit Genugtuung, wieder gebraucht zu werden. Sie signalisieren zudem durch gut abgestimmten Gleichschritt in heiklen Schlüsselfragen, dass es ihnen ernst ist, wieder mehr mitzumischen. Zur Teilnahme an Gecko ließen sie sich so erst länger bitten.
Auch in Sachen der politisch besonders heiklen Impfpflicht gehen sie demonstrativ einen neuen Weg: Sie stellen ihrer Stellungnahme fürs Parlament eine ausführliche, sieben Punkte umfassende, gleichlautende Präambel voran. Der von Arbeiter-und Wirtschaftskammer gleichlautend formulierte dreiseitige Text liest sich wie eine Nachhilfestunde für Kurz' Corona-Management, das glaubte, ohne die Arbeitnehmer-und Arbeitgebervertreter auszukommen zu können.
Tenor: Bevor die Impfpflicht tatsächlich realisiert wird, müssen alle gelinderen Mittel ausgeschöpft sein. Arbeiterund Wirtschaftskammer plädieren unisono für alle nur möglichen Anreize zur Erhöhung der Impfquote auf freiwilliger Basis - von Impfprämien bis hin zu Gutscheinen. Die Wirtschaftskammer geht nur in einem Punkt ausdrücklich noch weiter. Harald Mahrer & Co empfehlen dezidiert "eine Verschiebung des Inkrafttretens der Impfpflicht".
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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