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Präsident Wladimir Putin hat den Mangel an Arbeitskräften als großes wirtschaftliches Problem benannt und die Steigerung der Arbeitsproduktivität als eines seiner nationalen Entwicklungsziele festgelegt. Zudem werden Frauen dazu angehalten, mehr Kinder zu bekommen.
In Swerdlowsk, einer Region an der Ostseite des Uralgebirges mit vielen Rüstungsunternehmen, gab es Anfang Oktober 54.912 offene Stellen. Dem stehen 8.762 Arbeitslose gegenüber, so das regionale Arbeitsministerium. In Zentralrussland mit seinen etwa 40 Millionen Einwohnern kommen neun offene Stellen auf eine arbeitslose Person, sagt der Sonderbeauftragte des Präsidenten für das Gebiet, Igor Schtschegolew.
Die Vermittlungsagentur Superjob meldet, dass die Stellenangebote in Russland binnen zwei Jahren um das 1,7-Fache gestiegen sind - in der Industrie sogar um das 2,5-Fache. Der Zentralbank zufolge leiden 73 Prozent der heimischen Unternehmen unter Personalmangel. "Der Personalmangel hat sich zu einem Phänomen entwickelt, das praktisch alle Teile des Wirtschaftssystems erfasst", sagt Rostislaw Kapeljuschnikow, stellvertretender Direktor des Arbeitsforschungszentrums an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau.
Die Nachrichtenagentur Reuters befragte mehr als ein Dutzend Unternehmen, Arbeitnehmer, Vermittler und Ökonomen aus Branchen wie Bau, Landwirtschaft und IT. Die Chancen, dass sich die Lage bald bessert, stehen ihnen zufolge schlecht. Ein Problem ist die Bezahlung. In Swerdlowsk erhalten diejenigen, die sich für den Kampf in der Ukraine verpflichten, einen einmaligen Bonus. Dieser beträgt 2,1 Millionen Rubel (18.000 Euro). Das entspricht fast dem 25-Fachen des durchschnittlichen Monatslohns in Russland. Der Vertreter einer örtlichen Vermittlungsagentur betont, seine Kunden hätten Arbeiter an die Front verloren: "Sie sagen: Früher hatte ich 100 Leute, aber jetzt gibt es keine Männer mehr." Der Personalmangel ist in der Fertigung, Logistik und IT spürbar, sagen Vermittler. Am stärksten ausgeprägt ist er aber in der Baubranche. Das treibe die Preise in die Höhe und beeinträchtige Fristen und Qualität, sagen Experten.
Direktor Sergei Pachomow vom Bauplaner Golos Group sagt, sein Unternehmen müsse entscheiden, ob es neue Projekte überhaupt noch annehmen könne. "Nicht weil kein Geld da ist, sondern weil Leute fehlen, die auf die Baustelle kommen, um zu arbeiten", sagt er und prognostiziert zugleich, dass das Problem in den nächsten fünf Jahren eher größer werden dürfte.
Ökonomen zufolge dürften die Personalprobleme auf die Konjunktur durchschlagen. Das Wirtschaftsministerium erwartet, dass sich das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von geschätzten 3,9 Prozent in diesem Jahr auf 2,5 Prozent im nächsten Jahr verlangsamen wird. Behördenangaben zufolge benötigt die Wirtschaft bis 2030 zusätzlich 2,4 Millionen Menschen in den Bereichen Fertigung, Transport, Gesundheitswesen, soziale Dienste, wissenschaftliche Forschung und IT. "Wir wissen noch nicht, woher wir sie nehmen sollen", sagt Vize-Regierungschef Dmitri Tschernyschenko. "Wir glauben jetzt alle, dass uns künstliche Intelligenz retten wird, denn was sonst?"
IRPIN - UKRAINE: FOTO: APA/APA/AFP/GENYA SAVILOV
To go with AFP story by Maryke VERMAAK with Lea DAUPLE and Andriy KALCHENKO.