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Die UNO-Beobachtermission UNIFIL, an der auch Österreich beteiligt ist, setzte ihre Patrouillen im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon vorübergehend aus. Das Risiko aufgrund des gegenseitigen Beschusses zwischen Israels Armee und der Hisbollah-Miliz mache es zurzeit nötig, dass die Blauhelmsoldaten in ihren Stützpunkten bleiben, sagte ein UNO-Sprecher in New York. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) zeigte sich besorgt. Den österreichischen Soldaten gehe es aber "gut", erklärte Tanner am Dienstag in einer Stellungnahme gegenüber der APA. "In einer derartigen Situation ist es wichtig, dass unsere Blauhelmsoldaten in ihren Stützpunkten bleiben." Bei Alarm würden die vorgesehenen Schutzräume bezogen. Die Kräfte seien darauf eingestellt. "Angesichts der immer wieder aufkeimenden Unruhen im Libanon, ist es für unsere Truppe tatsächlich nichts Neues."
Die US-Regierung will sich nach den Worten ihres Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan für eine Deeskalation der Lage an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon einsetzen. Gleichzeitig sei sie fest entschlossen, weiter auf eine Feuerpause im Gazastreifen und eine Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der palästinensischen Hamas zu drängen. Präsident Joe Biden habe keinesfalls aufgegeben, sagte Sullivan in Washington. Auch der Kreml warnte vor dem Risiko einer "kompletten Destabilisierung" der gesamten Region. Es handle sich "natürlich" um ein "potenziell sehr gefährliches Ereignis", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag vor Journalisten in Moskau.
Ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshochkommissariats sagte am Dienstag vor Journalisten in Genf, es gebe bereits Zehntausende Vertriebene. Es sei davon auszugehen, dass es noch mehr würden. "Die Lage ist äußerst alarmierend", erklärte Matthew Saltmarsh. Vor den Bombardierungen hätten in den südlichen Regierungsbezirken etwa 87.000 Flüchtlinge gelebt.
UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk ruft nach Angaben seiner Sprecherin alle Staaten zur Deeskalation auf. Die eingesetzten Methoden und Mittel der Kriegsführung seien "Anlass zu ernster Sorge, ob sie mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang stehen", erklärte Türks Sprecherin auf einer Pressekonferenz in Genf. Abdinasir Abubakar, ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO, schilderte auf derselben Veranstaltung, dass einige Krankenhäuser im Libanon angesichts Tausender Verletzter überfordert seien. Es lägen Hinweise vor, dass es auch Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und Krankenwagen gegeben habe. Vier Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen seien am Montag getötet worden.
Am Montag hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben mehr als 1.600 Ziele angegriffen, um militärische Ziele der vom Iran unterstützten Schiitenmiliz zu zerstören. Dabei sei eine "große Zahl" an Hisbollah-Mitgliedern getötet worden, erklärte die Armee. Nach Angaben der libanesischen Regierung wurden bei den israelischen Angriffen am Montag mindestens 492 Menschen getötet. Am Dienstag sprach Gesundheitsminister Firass Abiad von nunmehr 558 Toten. Darunter seien 50 Kinder und 94 Frauen. 1.835 Menschen seien verletzt worden.
Israels Militär-Generalstabschef Herzi Halevi kündigte indes weitere Angriffe auf die Hisbollah an. Der Miliz dürfe keine Pause gegönnt werden. "Die Situation erfordert anhaltendes, intensives Handeln in allen Bereichen." Später teilte das Militär mit, Ziele in Beirut angegriffen zu haben. Der Luftangriff habe einem Kommandanten der Hisbollah gegolten, verlautet aus Sicherheitskreisen im Libanon.
Die israelische Armee hatte zuvor am Dienstag mitgeteilt, dass mehr als 50 Geschosse vom Libanon aus auf den Norden Israels abgefeuert worden seien. Einige der Geschosse seien von der Raketenabwehr abgefangen worden und der Rest sei in offenen Gebieten eingeschlagen. Israelische Artillerie und Panzer hätten auch weitere "terroristische Ziele" nahe der grenznahen Ortschaften Ayta al-Shab und Ramyah getroffen, zwei Hisbollah-Hochburgen im Südlibanon.
Die von Israels Erzfeind Iran unterstützte Hisbollah erklärte, sie habe seit der Früh mindestens sechsmal in Israel mit Raketen des Typs Fadi-1 und Fadi-2 angegriffen. Unter anderem habe die Hisbollah den israelischen Militärflughafen Megiddo westlich von Afoula angegriffen und erneut auch den Militärstützpunkt Ramat David nahe der Küstenstadt Haifa. Ob es Opfer oder Schäden gab, war zunächst nicht bekannt.
Die Hisbollah warnte die Bevölkerung außerdem vor Barcodes auf Flugblättern, die Israels Militär in der Bekaa-Ebene abwerfe. Diese Strichcodes sollten nicht mit Telefonen gescannt werden, da sie "sehr gefährlich" seien. Sämtliche Informationen auf den Geräten könnten abgezogen werden. Vom israelischen Militär liegt zunächst keine Stellungnahme vor.
Der Konflikt hatte sich zuletzt nach Explosionen von hunderten Pagern und Walkie-Talkies der Miliz am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche und nach der Tötung einiger ihrer ranghöchsten Kommandanten deutlich zugespitzt. Die Hisbollah macht Israel für die Explosionen verantwortlich und drohte mit einer "neuen Phase der Abrechnung".
Israel äußerte sich zwar nicht zur Urheberschaft der Explosionen, durch die 39 Menschen starben und Tausende weitere verletzt wurden, bekannte sich aber zur Tötung der Hisbollah-Kommandanten Ibrahim Aqil und Ahmed Mahmoud Wahbi. Laut der Hisbollah wurden bei dem Angriff insgesamt 16 ihrer Kommandeure getötet. Nach israelischen Angaben planten diese einen Angriff auf Israel ähnlich dem der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres.
Seit dem beispiellosen Angriff der Terrororganisation Hamas vor fast einem Jahr und dem dadurch ausgelösten Krieg im Gazastreifen haben sich die regionalen Spannungen verschärft, etwa durch Aggressionen vom Iran ausgerufenen sogenannten "Achse des Widerstands" gegen Israel. Dazu gehören neben der Hisbollah weitere vom Iran unterstützte Gruppierungen aus dem Nahen Osten wie die Hamas, mehrere schiitische Gruppen im Irak sowie die Houthi-Miliz im Jemen.
Seit dem 8. Oktober steht Israels Norden unter Dauerbeschuss durch die mit der Hamas verbündete Hisbollah. Israel reagiert auf die Angriffe mit Gegenangriffen im Libanon. Mehrere zehntausend Menschen auf beiden Seiten der Grenze sind seitdem zu Binnenflüchtlingen geworden. Israel hat über internationale Vermittler wiederholt den Rückzug der schwerbewaffneten Schiitenmiliz von der libanesisch-israelischen Grenze gefordert, die unter anderem von Deutschland und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. In Österreich sind die Symbole der Hisbollah verboten.
Das kleine Mittelmeerland Libanon hat pro Kopf und im Verhältnis zu seiner Größe nach UNO-Angaben so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land der Welt, darunter mehr als 1,5 Millionen Syrer und 250.000 Palästinenser. Schätzungsweise neun von zehn syrischen Flüchtlingen leben in Armut. Auch wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln, medizinischer Versorgung, Bildung und anderer Grundversorgung. Viele Flüchtlinge haben keinen weiteren Zufluchtsort etwa bei Verwandten oder ein Auto für die Flucht.
A rescuer inspects the debris at the site of an overnight Israeli strike on a pharmacy in the southern Lebanese village of Akbiyeh on September 24, 2024. Israel announced dozens of new air strikes on Hezbollah strongholds in Lebanon on September 24, a day after 492 people, including 35 children, were killed in the deadliest bombardment since a devastating war in 2006. (Photo by Mahmoud ZAYYAT / AFP)