Tobias Meyer: "Es kommt nur auf das richtige Angebot an, die Nachfrage existiert"

Während die Szene zur Art Miami­ pilgert, kommt Tobias Meyer, Sotheby’s-Chef für zeitgenössische Kunst, für einen Vortrag nach Wien. Format bat den Starauktionator vorab zum Interview über den Markt & seine Gesetze.

„Ich bin einmal pro Jahr in Wien, ein Jahresevent!“, freut sich Tobias Meyer auf seine Stippvisite Anfang Dezember. „Ich treffe mich mit Freunden und halte einfach Verbindung zur Stadt.“ Immerhin ist er in der Astgasse im 14. Bezirk ins Gymnasium gegangen, wie der gebürtige Frankfurter, der mit seinen Eltern im Alter von 14 Jahren nach Wien übersiedelte, im Interview betont. Mit sechs Jahren haben ihn seine Eltern schon zu den ersten Kunstmessen mitgenommen, haben sich bei ihm die ersten Warhol- und Wesselmann-Arbeiten eingeprägt. „Ich habe schon sehr früh sehr stark auf visuelle Reize reagiert. Ich bin ein Augenmensch“, analysiert er das heute. Sein früh ausgeprägtes Interesse für die Kunst, das ihn als Jugendlichen noch zum Außenseiter stempelte, hat ihn später zum Marktexperten und weltweiten Leiter der Abteilung für zeitgenössische Kunst von Sotheby’s gemacht. Der smarte 46-Jährige mit der coolen Performance am Auktionspult wird als „Alchemist“ und „Verkäufer des Jahrhunderts“ gefeiert. Auf ihm lasten die Erwartungen und Befürchtungen der gesamten Kunstwelt. Er hat die Marktpreise von Andy Warhol bis Jeff Koons in neue Sphären getrieben. Wenn Tobias Meyer nun Anfang Dezember nach Wien kommt, hält er auch einen seiner raren Vorträge über das Business mit der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts (Albertina, 4. 12., 18 Uhr). Im Fokus stehen dabei die Bewegungen des Marktes seit 1998 aus der Innensicht, wie und warum etwa bestimmte Preise zustande kommen. Beginnend mit Warhols „Orange Marilyn“, die Meyer 1998 für 17,3 Millionen Dollar verkauft hat.

"Das ist die Ehrlichkeit des Marktes"
FORMAT: Sie erläutern in Ihrem Vortrag die Mechanik des Auktionsmarktes in den letzten elf Jahren, analysieren, welche Werke am internationalen Kunstmarkt Erfolg haben und welche nicht. Was hat Erfolg?
Meyer: Im Auktionsgeschäft haben die Erfolg, die sich gut reproduzieren lassen, denn der erste Kontakt, den ein Käufer einer Auktion hat, ist die Reproduktion, im Katalog oder im Internet. Dazu müssen natürlich künstlerische Qualität, Bedeutung, Zustand und Provenienz des Werkes stimmen.
FORMAT: Beim Einbruch des Finanzmarktes galt auch der Kunstmarkt als überhitzt. Ist die Kunstblase geplatzt?
Meyer: Nein, aber der Markt hat sich reguliert. Unsere letzte Auktion vom 11. 11. ist ja der beste Beweis, wie ein Markt verfährt. Ein Markt basiert natürlich immer auf Liquidität. Wenn kein Geld da ist, haben Sie auch keinen Markt. Ein Markt basiert aber auch darauf, dass die Leute das, was man anbietet, für begehrlich halten. Diesen Kunstwunsch der Käuferschicht kann man vielleicht einmal für ein Jahr still halten, aber er kommt wieder. Ein richtiger Sammler – also jemand, der wie ich mit Kunst leben muss – kauft weiter. Der Kunstkauf bei einer Auktion ist zudem ein sehr ehrlicher, weil der Meistbietende gewinnt.
FORMAT: Also wenn jemand eine Million zahlt, ist das Bild eine Million wert?
Meyer: Das ist die Ehrlichkeit des Marktes. Der Hammerpreis ist der Marktpreis des Bildes.

"2007 hatten wir den 'JPEG Market'"
FORMAT: Was hat sich durch die Finanzkrise verschoben? Auktionshäuser haben Kosten und Personal reduziert und die hohen Garantien zurückgeschraubt. Ist der Verkäufermarkt ist zum Käufermarkt geworden?
Meyer: Der Umsatz ist natürlich ein ganz anderer als vor zwei Jahren. 2007 hatten wir das, was ich den JPEG Market, bei dem man sich bereits via Internetbild für den Kauf entscheidet, nenne. Jeder hatte viel Geld und machte viel Geld. Die Leute haben gar nicht so genau nachgedacht, ob sie etwas für eine Million Dollar kaufen oder nicht. Die Kunden, die nun zu unserer letzten Auktion kamen, haben die Bilder genau inspiziert. Die Preise lagen, abgesehen von Warhols „Dollar Bills“, das 43.762.500 Dollar brachte, in der Regel nur bei acht oder zehn Millionen. Den Preis über 40 Millionen gab es in dieser Saison also nur einmal. Das ist die Rekalibrierung des Marktes: dass ein 30-Millionen-Bild heute nur noch zehn wert ist, weil die Überliquidität der Märkte nicht vorhanden ist. Aber der Sammler, der zehn Millionen ausgeben möchte, der ist da. Und das ist auch eine gute Basis für ein Kunstgeschäft. Die Spekulanten sind draußen, die wirklichen Sammler sind da.
FORMAT: Womit bestücken Sie den Markt?
Meyer: Ganz traditionell: Sammler sterben oder lassen sich scheiden. Heute muss man sich aber um die Kunst bemühen, die man verkaufen will. Das ist ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Denn es ist nicht der beste Zeitpunkt, um zu verkaufen, andererseits haben Bilder um eine Million Dollar Rufpreis nun mehr Aufmerksamkeit, als sie es vor zwei Jahren hatten. Wir haben eine neue Preispolitik für neue Käuferschichten. Wir haben es nun mit einem sehr qualitätsbewussten Markt zu tun. In der Krise gibt es immer die Flucht in die Qualität.

"Man kann den Markt nicht lange manipulieren"
FORMAT: Geht diese Suche nach den Masterpieces, also den sicheren Werten, nicht auch zu Lasten jüngerer Künstler und progressiverer Positionen?
Meyer: Natürlich. Junge Kunst, die sich noch nicht so bewährt hat, wird in diesen unsicheren Zeiten kritischer beobachtet. Die Leute kaufen lieber einen Warhol als einen jungen Künstler. Man weiß ja bei einem, der erst 35 Jahre ist, nicht, ob er nicht seine Karriere in den Sand setzt. Da will momentan niemand ein Risiko eingehen. Zum großen Künstlersein gehört ja nicht nur großes Talent, sondern auch unglaubliche Disziplin.
FORMAT: Und die passende Galerie, die die Preispolitik nicht unwesentlich mitbestimmt. Es gibt ja innerhalb des Marktes immer wieder Vorwürfe gegen Preisabsprachen, oder Stabilisierungen, wie man das etwa dem Warhol-Sammler Mugrabi nachsagt.
Meyer: Es wird immer Händler geben, mit denen wir arbeiten. Sie sind nun mal eine Basis unseres Geschäfts. Aber man kann den Markt nicht manipulieren. Das ist ein Mythos. Zumindest nicht auf lange Zeit, wenn der Künstler nicht gut genug ist. Die Wahrheit des Marktes ist immer das Genie des großen Künstlers.
FORMAT: Wer sind denn nach den Russen und den Sammlern aus dem Nahen Osten die neuen Käufer?
Meyer: Die sind alle noch da. Bei der letzten Impressionismus-Auktion gab es zudem starke Bieter aus China. Die werden noch stärker auftreten.

"Habe kein Gespür für Kunst, die heute gemacht wird"
FORMAT: Sie sind selber obsessiver Sammler. Wie hält man den Business-Man vom Sammlerherz getrennt?
Meyer: Ehrlich gesagt, die Dinge, die mir wirklich gefallen, kann ich mir gar nicht leisten. Ich hätte wahnsinnig gern selber die „Dollar Bills“ gehabt. Das ist ein tolles Bild, dem ich seit 1992 hinterhergestiegen bin. Auch Warhols „Orange Marilyn“ hätte ich gern, und bei dem Rothko aus der Rockefeller-Sammlung bin ich in Tränen ausgebrochen. Aber ich habe mit meinem Partner Mark Fletcher (New Yorker Kunstberater; Anm. d. Red.) eine schöne Privatsammlung. Er hat ein gutes Auge, kommt immer wieder mit neuen Bildern nachhause. Ich hingegen habe definitiv nicht das Gespür für die Kunst, die heute gemacht wird.
FORMAT: Woran scheitert das?
Meyer: Daran, dass ich vieles oft erst aus historischer Distanz Jahre später erkenne. Mark hat zum Beispiel 2001 eine Skulptur von Takashi Murakami nachhause gebracht „Lonesome Cowboy“, für 17.000 Dollar. Ich habe die Arbeit als oberflächlich und witzlos empfunden, und wir haben sie zurückgegeben. 2008 habe ich dann diese Skulptur für die Galeristin um 15 Millionen Dollar versteigert.
FORMAT: Was haben Sie nun in Ihrer Sammlung?
Meyer: Warhol, Currin und Urs Fischer. Den habe ich auch erst langsam entdeckt.

"Bei 43 Mio Dollar liegt die neue Benchmark"
FORMAT: Kunst hat sich mittlerweile zum Lifestyletool entwickelt, das Prestige und sozialen Status gibt, die Art Miami ist Schauplatz der Stars aus Hip-Hop und Filmbiz. Eine positive Entwicklung?
Meyer: Ich habe dazu meine eigene Theorie: Gott sei Dank habe ich in Wien studiert; auch wenn das kunsthistorische Institut in den 70ern verstaubt war, war es eine tolle Ausbildungsstätte! Zeitgenössische Kunst und Geld haben sich bis 1863 gut verstanden. Ob die Medici oder die Päpste, es wurde immer viel Geld für Kunst ausgegeben. Nach Manets Bild „Olympia“, das im „Pariser Salon“ einen der größten Skandale der Kunstgeschichte auslöste, wurden das reiche Bürgertum und die Künstler zu Feinden. Auch Duchamp zeigte der Bourgeoisie den Finger, ebenso wie Beuys. So gab es Kunst für eine sehr kleine Schicht von Leuten. Das hält auch den Preis klein. Mit dem Beginn meiner Karriere Ende der 90er-Jahre verlor das Bürgertum wieder seine Angst vor der zeitgenössischen Kunst.
FORMAT: Viele kaufen Kunst nur noch nach Listen und Hipness-Faktor. Schmerzt das den Experten?
Meyer: Wenn ich das negativ sehen würde, wäre ich im falschen Beruf. Ich darf kein Moralisierer sein. Ich muss die Kunst bewerten und nicht die Leute, die sie kaufen. Ich konnte aber noch nie jemandem ein Bild einreden, der es nicht auch selber mochte. Ich spreche von teuren Bildern, also nicht von 20.000 Dollar, sondern von 43 Millionen. Da liegt derzeit die neue Benchmark.

"Ich muss wissen, wer auf was bieten wird"
FORMAT: Sie sagten einmal: „Eine gute Auktion funktioniert wie eine Oper.“ Wie bereiten Sie sich auf Ihre Performance vor?
Meyer: Ich konzentriere mich schon zwei Wochen davor völlig darauf und weiß, wer was kaufen wird.
FORMAT: Das wissen Sie schon vorher?
Meyer: Das muss ich wissen. Das ist mein Job. Ich muss wissen, wer auf was bieten wird. Als ich in die Auktion mit dem Warhol ging, hatte ich schon ein sehr hohes Angebot in der Tasche. Ich arbeite dabei eng mit meinem globalen Team zusammen, wo wir genau besprechen, was die Bieter wollen. Am Tag der Auktion gehe ich zu Mittag aus dem Büro, laufe im Gym drei Meilen auf dem Laufband, esse meine Chicken Soup und lege mich dann noch eine Stunde ins Bett. Um 16 Uhr checke ich mit meinem Büro, ob es noch irgendwo Löcher in der Auktion gibt, in diesem Fall rufe ich noch Kunden an. Um halb sieben bringt mir meine Sekretärin einen Triple-Latte, und dann gehe ich in den Auktionssaal. Man muss so einen Event managen! Das ist auch eine physische Herausforderung.
FORMAT: Sie wurden von „Art Review“ unter die 100 einflussreichsten Menschen in der Branche gerankt – macht das Druck?
Meyer: Der Leistungsdruck ist sehr hoch, das ist nervenzermürbend, aber auch aufregend. Aber ich habe das Glück, dass ich abseits des Pults relativ kühl agiere.

"Es kommt nur auf das Angebot an"
FORMAT: Gibt es noch Herausforderungen?
Meyer: Die Kunst ist für mich nie langweilig. Ich habe meinen Traumjob!
FORMAT: Wie lauten die Zukunftsprognosen des Experten? Wird der Markt zu neuen Hyperpreisen zurückpendeln?
Meyer: Wie lange es dauert, weiß ich nicht, das hängt von den Weltmärkten ab, aber es geht definitiv wieder nach oben. Es kommt nur auf das Angebot an, die Nachfrage existiert.
FORMAT: Bedauern Sie es, heuer während der Art Miami in Wien zu sein?
Meyer: Ich bin ein sehr privater Mensch. Ich habe meinen öffentlichen Auftritt bei der Auktion. Die Partystimmung bei Kunstmessen interessiert mich nicht. Mich interessiert große Kunst. Und der jage ich hinterher. Dazu brauche ich nicht in Miami stehen.
FORMAT: Sie bekennen sich öffentlich zu Ihrer Homosexualität, haben als Statement für Fotos der „New York Times“ mit Ihrem Lebenspartner sogar Hand gehalten …
Meyer: Ich habe mich immer präsentiert als der, der ich bin. Ich will in meinem Leben ehrlich leben. Ich habe auch die Albertina gebeten, mein Honorar der österreichischen Aidshilfe zu spenden. Die öffentliche Darstellung einer Minorität und ihrer Lebensberechtigung ist für mich eine wichtige Geschichte, damit die nächste Generation nicht die Probleme hat, die noch die Generation vor mir hatte.

Interview: Michaela Knapp

Im Bild: Meyer vor einem seiner Lieblingsbilder, Andy Warhols „Dollar Bills“, das er im November für über 43 Mio. verkaufte.

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