Scheidleder: "Ich mache ­alles mit, wenn ich eine Idee des Regisseurs dahinter sehe."

Hermann Scheidleder ist ein Theaterurgestein, spielt im Burgtheater gegen jede Konvention und ohne Rücksicht auf Verluste, wie derzeit in Schlingensiefs „Mea Culpa“. Porträt eines Ausnahmespielers.

Für Filmaufnahmen mit Christoph Schlingensief legt er sich schon mal um Mitternacht in einem Wald in ein Bad aus Schlamm und Blättern, nackt im Winter! Bei René-Polesch-Inszenierungen bringt er Philosophie auf die Bühne, analysiert, wie jüngst in „Fantasma“, das Wesen der Liebe, in Stefan Kimmigs siebenstündigem Shakespeare-Projekt „Die Rosenkriege“ tritt er als Chronist gleich 45-mal auf. Und bei Carmen Brucics Projekt „Symmetrien des Abschieds“ darf Hermann Scheidleder ab 27. 3. auch sein gesangliches Talent unter Beweis stellen, als personifiziertes Wunschkonzert.

Fixstern am Burgtheater
Im Dezember wird der gebürtige Ober­österreicher 60. Seit 16 Jahren ist er fixes ­Ensemblemitglied des Burgtheaters, als solches nicht mehr wegzudenken. Ein Mann für alle Grenzfälle, ein Allrounder, der jede noch so kleine oder absurde Rolle zu einem Glanzlicht des Abends modelliert. Ein Mann wie gemacht für die Arbeitsweise des Gesamtwerkers Christoph Schlingensief. Scheidl­eder hat demgemäß auch in allen seinen bisherigen Wien-Produktionen mitgewirkt, war in „Aera 7“ wie im „Bambiland“ zu sehen, hat Hermann Göring wie Hermann Nitsch für Schlingensief gespielt und ist natürlich auch zentrale Figur im aktuellen Projekt „Mea Culpa“, einer Art Ready-made-Oper, in der es zwischen Voodoo, Wagner, Jelinek und Nietzsche um Krankheit, Schuld und Erlösung geht. Glücklicherweise bleibt der Schauspieler Wien auch unter dem neuen Burgchef Matthias Hartmann erhalten, in dessen Eröffnungsproduktion „Faust“ er eine Hexe spielen wird. Damit schließt sich für den Künstler ein Kreis.

Vom Allerweltsschönling zum echten Typen
„Du bist eine Landpomeranze, Scheidl­eder“, hatte ihn einst sein theaterbegeisterter Pater im Benediktiner-Internat in Kremsmünster von der Schulaufführung ausgeschlossen. Dann gab es doch noch eine Hexe im „Faust“ zu spielen. Und Hermann Scheidleder spielte sie derart gut und exaltiert, dass ihm der Pater nahelegte, auf den Beruf des Priesters zu verzichten und Schauspieler zu werden. Es folgten eine klassische Ausbildung am Mozarteum und der Weg durch die Provinz mit Engagements von Bremerhaven bis Regensburg, wo der junge und „damals noch ganz schlanke Allerweltsschönling“ als Liebhaber eingesetzt war. Ein richtiger Typ sei er erst mit 40 geworden, erzählt Scheidleder, als er mit dem Rauchen aufgehört hat und dicker wurde. Bereits 1974 spielte er das erste Mal an der Burg, unter Giorgio Strehler in „Trilogie der Sommerfrische“, und war entsetzt über Stimmung, Tristesse und Überheblichkeit am Haus wie in Wien generell. Er blieb in Deutschland, wollte nie wieder zurück.

Rückkehr nach Wien
Mitte der 80er-Jahre kehrte er dennoch wieder, spielte am Volkstheater und an der Josefstadt. Paulus Manker gelang es dann, den Extremspieler wieder an die Burg in seine „Liliom“-Inszenierung zu holen. Mit den Worten „Sie schauen zwar aus wie ein Lodenschauspieler, aber Sie sind keiner, ich erkenne das“ band Direktor Peymann den Allrounder fest ans Haus. Und Scheidl­eder blieb und spielte sich das Herz aus dem Leib. In Zusammenarbeit mit Regie­größen jenseits der konventionellen Theatertechniken – von Castorf bis Pollesch – lief er zur Kür auf. „Wie groß oder klein eine Rolle ist, ist mir dabei völlig wurscht“, betont er. „Ich möchte einfach immer etwas Neues erfahren. Ich liebe Schlingensief“, freut er sich etwa über die erneute Zusammenarbeit mit dem langjährigen Weggefährten. „So wie eine Mutter, die zehn Kinder hat, drei besonders liebt, habe ich halt auch meine Vorlieben. Die Arbeit mit Christoph ist immer anders. Man weiß oft gar nicht, wie sich eine Rolle entwickelt, aber ich mache alles mit, wenn ich das Wollen des Regisseurs erkenne.“

"Mit Bravour scheitern"
Da nimmt man in Kauf, dass Texte noch über Nacht umgeändert werden, auf der Probe wieder neu entstehen und selbst nach der Premiere noch verändert werden. „Improvisieren muss man halt können“, merkt der ausgebildete Theatersportler dazu lachend an. Eine Arbeitstechnik, die nicht jedem gegeben ist. Scheidleder beherrscht sie. Das Motto lautet: „Lerne zu versagen und mit Bravour zu scheitern.“ Das ist leichter gesagt als umgesetzt. „Aber man darf nicht immer nur auf Pointen spielen. Das ist langweiliges Kasperltheater!“ Vorbereiten kann man sich auf solche Arbeitsweisen nicht. Höchstens mental. „Ich halte mich in Form, trinke und rauche nicht und schlafe, wo geht“, outet sich Scheidleder als Verfechter des Powernappings. „Für mich ist das aktuelle Projekt in all seinen rituellen Formen eine Art Gottesdienst. Auch wenn ich schon lange aus der Kirche ausgetreten bin.“

Schlingensiefs Schuldabarbeitung
In einem sensationellen Team, angefangen bei der Fassbinder-Ikone Irm Hermann über Margit Carstensen und Fritzi Haberland bis zu Joachim Meyerhoff, der das erste Mal mit Schlingensief arbeitet und in die Rolle des Alter Egos schlüpft, arbeitet sich der an Lungenkrebs erkrankte Regisseur an seiner Krankheit ab. „Ich bin die Krankheit, ich bin die Medizin“ hat er dem Projekt „Mea Culpa“ vorangestellt. Krebs und die Beschäftigung mit dem Tod sind ebenso zentrale Themen wie die Frage: Warum passiert gerade mir das? Auch das Geschäft mit Ayurveda-Kuren und Wellness-Wahnsinn wird in dem aufwendigen Projekt thematisiert. Schlingensief selbst arbeitet mit enormer Energie, mit Unbarmherzigkeit und Humor. „Mit ihm zu spielen“, so Scheidleder, „ist reine Lust, er ist ein begnadeter Homo ludens.“

Szegediner Gulasch gegen Lampenfieber
Anders als bei vorangegangenen Produktionen ist Schlingensief nicht mehr permanent selbst auf der Bühne, vielmehr wirft er Sätze ein, auf die die Akteure reagieren. „Die Antworten muss man dann wirklich empfinden – nicht bloß spielen“, erläutert Scheidleder das System. Lampenfieber habe er kaum, schon gar nicht vor solchen Abenden. „Das würde mich lähmen. Im Zweifelsfall hilft ein gutes Essen.“ Noch Mi­nuten vor der Premiere der „Rosenkriege“ hat er sich etwa, zum Erstaunen von Burgchef Klaus Bachler, in der Kantine ein Szegediner Gulasch schmecken lassen. „Damit ist der Magen, der sonst Probleme machen könnte, beschäftigt“, erklärt das Scheidleder ganz pragmatisch. Und fügt ein weiteres Erfolgsrezept zum Überleben im alltäglichen Theaterwahnsinn hinzu: „Man darf nicht schnell alles persönlich nehmen.“

„Mea Culpa“:  Christoph Schlingensief hat den Ausnahmezustand seiner Krebserkrankung zu einem Ausnahmezustand für das Burgtheater gewandelt und zeigt eine dreiaktige, dreistündige Stationenoper über eine Gruppe schuldlos schuldig gewordener Menschen auf ihrem Weg zur Heilung.
Premiere: Fr., 20. 3., 19, Burgtheater

Von Michaela Knapp

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