Peter Morgan im Kino: Wenn Bösewichte plötzlich ganz menschlich erscheinen

Unter seiner Feder werden Böse ganz menschlich und Drehbücher zu Gold. Peter Morgan, Shootingstar, Neo-Wiener und Autor des fünffach Oscar-nominierten Politduells „Frost/Nixon“, im Porträt.

Peter Morgan schläft schlecht. Seit er für „Frost/Nixon“ das Drehbuch verfasst hat, macht er sich Sorgen. „Nicht weil ich Richard Nixon rehabilitiert ­haben könnte – sondern David Frost.“ Das ist natürlich ein Scherz, den der britische ­Autor im Interview einstreut. Denn, wie Morgan Minuten zuvor geklärt hatte: ­„Beide sind Verbrecher.“ Aber auch das war schon ein Scherz. Richard Nixon war 1973 wegen des Watergate-Einbruchs seiner ­Mitarbeiter als einziger Präsident der US-Geschichte zurückgetreten.

600.000 Dollar-Interview
David Frost, ein britischer Society-Reporter, hatte ihm drei Jahre später als Einziger ein Interview – und eine Entschuldigung – abgerungen. Für 600.000 Dollar. „Sein Verbrechen“, wie Morgan meint: „Frost war nicht an Politik interessiert, er wollte sich mit diesem ­Interview nur schmücken.“ Morgan verwandelte es zu einem Kassenschlager. ­Zuerst für den Broadway als Theaterstück, dann als Drehbuch für Hollywood-Rou­tinier Ron Howard. Das Kalkül ging auf, der Blockbuster-Regisseur („Da Vinci Code“) peitschte das intime, an Schauwerten gemessen ziemlich ärmliche Zu­sammentreffen zweier seltsamer Vögel zu einem Boxkampf von enormer – auch visueller – Dichte. Fünf Oscar-Nominierungen sind die Folge. Shootingstar Peter Morgan gilt seither als ganz Großer unter den ­Autoren.

Gewiefter Stratege  
2006 hat er mit seinem Drehbuch über Ugandas wahnwitzigen Diktator Idi Amin Forest Whitaker zum Oscar verholfen (in „The Last King of Scotland“), 2007 Helen Mirren für „The Queen“. Nun könnte er erstmals selbst im Kodak Theatre am Hollywood Boulevard die goldene Statuette entgegennehmen. Doch das bestreitet der smarte 43-Jährige vehement. Das Ghetto-Drama „Slumdog Millionaire“ des jungen Briten Danny ­Boyle werde der große Gewinner, „this is not about a movie, it has become a movement“. Leise Kritik am Kalkül des Films schwingt mit. Tatsächlich ist der aus London stammende Peter Morgan selbst ein gewiefter Stratege. Sein kometenhafter Aufstieg als gefragter Drehbuchautor hat nicht allein mit geschliffenen Dialogen, sondern auch mit viel Gespür zu tun. Für die „richtige“ Methode, für Zeit und Raum.

Mensch hinter dem Fiesling
Wie kein anderer hat er es verstanden, Porträts zeitgenössischer Polit-Protagonisten in scheinbar brisante Dramaturgien einzuwickeln. Er zwingt die politische Prominenz aber, anders als zu er­warten, nicht auf den Prüfstand ihrer ­Taten. Ja, Morgan interessiert sich nicht einmal für die politische Figur selbst, sondern lässt lieber durch Fantasie und Fiktion das private Bild aus einer spröden, medialen Realität erwachsen. Mit der Queen hat er niemals gesprochen, und Dialoge aus dem Schlafzimmer von Tony Blair ­lassen sich sowieso schlecht recherchieren. Die Methode Morgan ist es, den Menschen hinter dem „Meanie“, also dem Fies­ling, zu beleuchten. Dazu stellte er dem „Schlächter von Uganda“ einen fiktiven weißen Arzt an die Seite, der Queen den Premierminister Tony Blair (schon hier: Michael Sheen), und Nixon wird von Frost ergänzt. Die eigentliche Hauptfigur entschärft Morgan: Idi Amin ein gefährliches Riesenbaby, die Queen gefangen in ihrem ­repräsentativen Korsett, während der smarte britische Premier für „nicht erfüllte Erwartungen“ (Morgan) eine deftige Abrechnung erhält.

Eingespieltes Duo
Aber auch die Figur Nixons erscheint, beeindruckend und grummelig verkörpert von 70er-Jahre-Dracula-Darsteller Frank Langella, weit weniger böse als David Frost naiv und dumm. Beide spielten übrigens gemeinsam schon am Broadway diese Rollen, eine Intensität, die sich auf die Leinwand überträgt. Das zur Schau getragene Desinteresse für Fakten mag zeithistorisch gesehen problematisch sein. Für das zeitgenössische Publikum bedeutet es vor allem fein nuancierte Unterhaltung jenseits überraschungsarmer Polit-Abrechnungen von Oliver Stone oder etwa auch der hochgelobten Satire „Il divo“, in der Italiens berüchtigter Premierminister Giulio Andreotti sicherheitshalber als harmloser Wicht durch schrille Szenerien geschoben wird. Morgan interessiert sich für die Spannungsräume, die zwischen und auch in seinen Figuren selbst entstehen. Den nächtlichen Anruf Nixons bei Frost, bei dem er dem Gegner in seiner Vitriol-Alkohol-Stimmung entscheidende Stichworte für das nächste TV-Duell liefert, hat sich Morgan selbst ausgedacht. Und dafür selbst von Frost, der den Film „erst mochte, als er erfolgreich war“, Lob bekommen.

Drehbuch für Eastwood
Die Nische, die Morgan mit seinen genüsslich in die Fiktion gesteigerten Porträts besetzt hat, hat sich mittlerweile also zum Selbstläufer entwickelt. Einen dritten Teil über Tony Blair – erneut mit Michael Sheen – will Morgan trotz bisheriger Skepsis gegen­über Autorenfilmen nun erstmals auch selbst drehen. Das Porträt des „Leeds United“-Trainers, der nur 44 Tage lang dieses Amt innehatte, wird als „Damned United“ – auch hier mit Michael Sheen in der Hauptrolle – noch dieses Jahr in die Kinos kommen. Und eben hat Steven Spielberg als Chef der DreamWorks-Studios eine andere Hollywood-Größe für die Verfilmung eines Stoffs von Peter Morgan gewonnen. Clint Eastwood soll im Sommer mit dem Dreh des Mysterythrillers „Hereafter“ beginnen.

Übersiedlung nach Wien
Erklären kann sich der Autor als Star die große Nachfrage natürlich nicht. Braucht er auch nicht, der Erfolg gibt ihm ohnehin Recht. Bald auch von Wien aus. Verheiratet mit Lila, einer Tochter von Karl Schwarzenberg, hat er es schon einmal hier probiert: „Ich habe es in Wien aber nicht ausgehalten“, lacht der Mann. Im September wird er mit Familie dennoch nach Wien übersiedeln, er könne nur noch hier arbeiten. Schon wieder ein Scherz.

Von Gunnar Landsgesell

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