Otto Schenk: "85, das ist ja nichts!“

Am 12. Juni wird Otto Schenk 85 Jahre alt. Im Interview erklärt der Vollblutkomödiant, warum dieser Tag nur ein Arbeitstermin für ihn und Helmuth Lohner, seinen Old Shatterhand, ist.

Otto Schenk: "85, das ist ja nichts!“
Otto Schenk: "85, das ist ja nichts!“

Otto Schenk begann nach dem Max-Reinhard-Seminar seine Karriere als Schauspieler am Theater in der Josefstadt und am Volkstheater.

FORMAT: Wie geht es Ihnen als Gegner von Ritualen und Jubiläen im Vorfeld des 85. Geburtstags?
Otto Schenk: Das ist ja ein geschwindeltes Jubiläum. 85, das ist ja nichts! Aber in Ermangelung von verbleibenden Jahren wird ein Jubiläum daraus gemacht. Ich verwende den Termin zum Arbeiten.

Demgemäß stehen Sie bei Ihrem Geburtstagsfest am 12. Juni in der Stadthalle auf der Bühne.
Schenk: Ich bin immer gerührt, wenn man mich überschätzt. Man muss in meinem Alter dankbar sein, dass man überhaupt noch mitmachen darf, und zwar nicht nur unter "ferner liefen“. Das würde ich auch nicht tun. Ich würde nicht aus Demut stumme Diener spielen. Ich werde hoffentlich den Moment nicht versäumen, rechtzeitig aufzuhören.

Davon ist wohl keine Rede. Am 26. März haben Sie mit der Komödie "Schon wieder Sonntag“ Premiere.
Schenk: Die spielt zwangsläufig in einem Altersheim. Ich spiele einen Lebenskünstler, der seiner körperlichen Hinfälligkeit mit Witz begegnet und die Krankenschwester niederflirtet. Ein sehr geschickt geschriebenes Stück.

Helmuth Lohner führt Regie. Freut Sie das?
Schenk: Umso mehr, weil der Helmuth immer ein Begleiter meines Lebens war und ist, sowohl künstlerisch als auch freundschaftlich. Da rennt bei der Probe ein mafioser Ton, eine ganze Witzkiste von nur uns verständlichem Humor. Wir sind ein bisschen Winnetou und Old Shatterhand. Unser Paragraf eins lautet: "Wir machen aus dem Scheißdreck ein Geheimnis.“

Wie sehen Sie die Entwicklung Ihrer Branche?
Schenk: Theater und die Schauspielerei sind in einer Krise, seit es Theater gibt. Aber gute Schauspieler können auf der Bühne jede Krise wegspielen. Mir geht es um Wahrhaftigkeit. Diese Wahrhaftigkeit versuche ich dem Publikum glaubhaft zu vermitteln. Trotzdem ist hervorragendes Theater die große Ausnahme. Aber auch das war immer so. Schlechtes Theater war immer peinlich. Gutes Theater war immer die Ausnahme.

Was spricht Sie selbst als Zuschauer an?
Schenk: Ich bin ein sehr schlechtes Publikum. Ich sitz immer in einer Loge, wo ich nichts ausstrahlen kann. Denn ich bin das, was man einen Knofel nennt. Gerade bei einem Lustspiel verbreite ich eine eisige, humorlose Stimmung um mich herum. Mich vermag immer nur der große Schauspieler zu berühren. Natürlich muss etwas Darstellbares geliefert werden. Schlechte Rollen kann man nicht gut spielen.

Von Ihnen stammt der Satz: "Wenn einer um mich herum so ein glückliches G’sicht macht, möchte ich ihm schon eine Watschen geben.“ - Wie ertragen Sie da eine Gesellschaft, in der jeder glücklich sein will?
Schenk: Glücklich sein wollen interessiert mich schon. Das Misslingen auf diesem Weg ist Theater, das mich fasziniert. Ums Eck herum interessiert mich alles. Man braucht aber nicht glauben, dass man mit einem strahlenden Gesicht schon das Glück spielen kann, wenn das Gesicht nicht von innen strahlt und ein Ausdruck nicht aus Gänsehaut besteht. Ausdrücken kann man im Grunde nur einen harten Stuhl. Und auch das gelingt nicht immer.

Sie waren selbst zwischen 1988 und 1997 Direktor des Theaters in der Josefstadt. Hat sich das Jobprofil geändert? Die Budgets sind heute eine Katastrophe.
Schenk: Die waren immer eine Katastrophe. Nur wurden die Geschäfte früher verdeckt abgewickelt. Nun muss man neue Methoden finden, zu verdecken, denn manche Schulden sind doch gar nicht mehr zurückzuzahlen. Wir sind ja diesbezüglich ein Pseudo-Griechenland. Aber wie würde Wien ohne Theater ausschauen? Ohne Philharmoniker, Museen oder Oper - lauter passive Unternehmen.

Die Josefstadt hat dazu ein schönes Plakat affichiert: Kultur kostet Geld, Kulturlosigkeit noch viel mehr.
Schenk: Wenn man es mit den Bankdefiziten und den zu Tode beschimpften Eurofightern gegenrechnet, ist Theater doch sehr billig.

Sie sagen, würde man Sie notschlachten, so würde aus Ihnen nichts anderes als Theaterblut rinnen. Hätten Sie Therapie gebraucht, wenn es das Theater in Ihrem Leben nicht gäbe?
Schenk: Ich merke jetzt als Hochdruckler und gehbehinderter Alter, dass es mir nach einer Vorstellung besser geht und der Blutdruck messbar besser ist, daher kann der Beruf nicht so ungesund sein, wie ich immer befürchtet habe. Das liegt vielleicht auch daran, dass mir Lampenfieber fremd ist. Und mit dem Alter ist mir der Erfolg noch wurstiger geworden. Der Moment des Gelingens ist mir der wichtigste.

"Als Publikum bin ich das, was man einen Knofel nennt, verbreite eine eisige, humorlose Stimmung um mich herum."

Dafür werden Sie vor dem Auftritt hundsmüde?
Schenk: Das ist tatsächlich wie eine Krankheit und wird ärger: Ich schlaf jetzt vor einer Vorstellung fast ein.

Und dann? Geben Sie sich einen Ruck?
Schenk: Ich brauch nicht einmal einen Ruck. Ich brauch nur aufzutreten.

Wie geht es Ihnen im Alter mit dem Textlernen?
Schenk: Ich war einer der großen Frühverkalkten. Das hat bei mir bereits mit sechs Jahren angefangen, wo ich mir schon "Ist die schwarze Köchin da“ nicht merken konnte. Es ist also nicht schlimmer geworden. Ich lerne Text mit einem wunderbaren Freund und versuche jeden Satz so zu sprechen, wie ich ihn haben möchte. Ich lerne nicht, indem ich mir etwas durchlese. Ich will das ganze Geschreibsel nicht im Kopf haben. Ich will nicht wissen, dass auf der nächsten Seite der Hänger kommt, sondern ich will hängen. Mutig, ohne jede Hilfe. - Aber ich hänge nicht.

Haben Sie nie einen Zorn aufs Theater gehabt?
Schenk: Einen ständigen Zorn. Mir ist Theater ständig unangenehm. Ich misstraue dem geraden Weg. Der Mensch geht keine geraden Wege, er sehnt sich nur danach. Das ist das Interessante am Theater. Das fängt schon bei der Stimme an: Die ausgebildete Theaterstimme ist unverwendbar, die genuschelte pseudonatürliche Stimme ist auch unverwendbar. Dazwischen muss man seine Stimme finden und damit etwas anfangen können.

Sie haben mit vielen jungen Leuten am Theater zu tun. Was geben Sie denen weiter?
Schenk: Dass man findet, was man selber ist. Und das verwendet und dem auch nicht misstraut. Man kann auch blöd und hässlich auf der Bühne sein, wenn man das Natürliche etwas lauter kann. Und dass man nicht alles zerredet. Das stundenlange Gerede über die Rolle ist mir ein Graus. Wenn solche Regisseure auf mich losgelassen werden, werde ich so unbegabt wie in meinen ersten Tagen.

Sie sagen über Ihre Frau Renée, mit der Sie seit 1956 verheiratet sind: Sie ist kein Schenk-Fan.
Schenk: Sie will auch gar nie in die Premiere, sondern kommt erst in die zweite Vorstellung, worüber ich sehr glücklich bin, denn sie ist unerbittlich. Ich bin sehr stolz, wenn ich ihr gefalle. Sie knurrt das Lob dann meistens nur so vor sich hin.

Wie entstehen Ihre zahlreichen Bücher? Haben Sie Notizen gemacht oder je Tagebuch geführt?
Schenk: Nichts davon. Meistens sitzt da, wo Sie jetzt sitzen, meine Verlegerin, daneben eine Mitschreiberin. Zuerst erkläre ich, dass mir nichts eingefallen ist. Das dauert eine Viertelstunde. Dann bekomme ich über irgendetwas eine Wut, und dann diktiere ich - und zwar druckbar. Sobald ich mir selber etwas notiere, ist es aus dem Hirn. Wenn ich selber Regie führe, habe ich dazu Assistenten. In Amerika gibt es sogar Partituren samt all den blöden Witzen, die ich gemacht habe.

Gibt es neue Pläne für das Musiktheater?

Schenk: Ich werde keine Oper mehr inszenieren. Ich habe genug anderes zu tun. Momentan bin ich auch ein fanatischer Dirigent. Das habe ich wahrscheinlich von meinem Sohn geerbt. Der ist ein wunderbarer Dirigent. Jetzt ist er zwar Wirt und führt das Schönbrunner Stöckl. Aber er ist auch als Wirt ein Dirigent.

Otto Schenk: "Der Helmuth Lohner und ich sind ein bisschen wie Winnetou und Old Shatterhand."

Sie sind ja selbst ein Mensch des Genusses. Wie kommen Sie mit den neuen Ernährungsrichtlinien und dem Biotrend zurecht?
Schenk: Ich esse gerne Krebsförderndes. Ich habe mich nie um gesundes Essen gekümmert. Aber ich habe jetzt weniger Appetit. Das begrüße ich sehr, weil es erleichtert, das Gewicht zu halten. Ich habe jetzt mehr Lust auf Bücher.

Aktuell sorgt gerade die ORF-Serie "Vorstadtweiber“ für Topquoten. Drei Protagonistinnen sind Josefstadt-Schauspielerinnen. Freut Sie das?
Schenk: Ich bin stolz drauf, dass wir liefern können. Schon der Fritz Kortner hat einmal gesagt: "Auch das Gute hat eine Chance.“ Was nicht heißt, dass das Schlechte keine Chance hat.

Fakt ist, dass es nicht so viele gute Drehbücher gibt.
Schenk: Das ist wahr. Es gab immer schon wenig gute TV-Drehbücher. Aber heute frisst das Fernsehen mit seiner 24-Stunden-Sendezeit auch die mittleren Autorentalente auf, die früher fürs Theater Stücke geschrieben haben. Jetzt schreiben sie einen Krimi und eine Soap nach der anderen. Es stranden auch viele Schauspieler im Fernsehen. Weil das Theater die Schauspieler schrecklich schlecht zahlt. Man wird ja ausgelacht, wenn man seine Gage nennt. Nicht unter der Brücke, aber unter verdienenden Leuten der Wirtschaft. Die halten unser Monatsgehalt für den Wochenlohn. - Ich hätte auch gerne mehr gefilmt, aber aus irgendeinem Grund nehmen sie mich da nicht. Vielleicht, weil ich nicht mehr zu versichern bin …

Gibt es überhaupt noch offene Wünsche?
Schenk: Mir ist das Allerwichtigste, dass meine Frau gesund bleibt …

Über die Sie sagen: Wir sind ein Wesen und wünschen uns einen gemeinsamen tödlichen Autounfall?
Schenk: Fast. Das ist natürlich eine Notlösung.

Zur Person

Otto Schenk, 84. Nach dem Max-Reinhardt-Seminar begann der Wiener seine Karriere als Schauspieler am Theater in der Josefstadt und am Volkstheater.

1957 inszenierte er seine erste Oper und machte sich mit seinen Musiktheaterinszenierungen auch an der New Yorker Met einen Namen. Von 1988 bis 1997 war er Direktor des Theaters in der Josefstadt. Seit 1956 ist er mit seiner ehemaligen Kollegin Renée verheiratet.

Sohn Konstantin, 57, ist Dirigent und Wirt.

Otto Schenk auf der Bühne

Im Kreise seiner Fans feiert er seinen 85. Geburtstag und dirigiert u.a. das Orchester der Ungarischen Kammerphilharmonie.
12. Juni, 20 Uhr

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