Wenn es auf der Straße nach frischem Brot duftet, nach Semmeln und Kuchen, und auch noch eine Menschenschlange in Sicht ist, die sich geduldig in der Duftglocke die Beine in den Bauch steht, dann hat wohl eine Bäckerei ihre Finger im Spiel. Es gibt sie nämlich noch - oder besser gesagt: wieder -, die Bäcker, die in ihren Backstuben Teige kneten und reifen lassen und daraus knuspriges Brot machen. "Dafür greifen Konsumenten auch gerne tiefer in die Tasche“, bestätigt Slow-Food-Expertin Barbara van Melle.
Die Journalistin mit feinem Gespür für neue Trends hat gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht. Für "Der Duft von frischem Brot" (Brandstätter Verlag, 29,90 €) besuchte sie die besten österreichischen Meisterbäcker, inklusive Plauderei über Handwerk und Rezepte.
Das Buch trifft sichtlich einen Nerv. Konsumenten haben den Einheitsteig, der heutzutage unter dem Begriff "Backwaren“ subsumiert wird, langsam satt. Denn zu den Erfindungen der Lebensmittelproduktion gehören Fertigmischungen, die es den Bäckern erheblich leichter machen, schnell und mit größerem Sortiment zu produzieren. Zudem werden auch Natursauerteige mitunter durch industriell hergestellte Säuerungsmittel ersetzt. Das Resultat: Vieles schmeckt einfach gleich. Die Handsemmel wird von der Maschine hergestellt, und der Geruch von frischem Gebäck strömt auch aus den Aufbackstationen der Supermärkte, die Schritt für Schritt die Bäcker ersetzten. Was zählt, ist oft nur der Preis. Und für billige Ware nimmt man mitunter in Kauf, dass die backofenfrische Semmel aus dem Supermarkt zu Hause schon steinhart ist.
Kultur aus dem Backofen
Eine Fehlentwicklung? Selbstverständlich. Denn Brot ist Kulturgut. Mit dem Aufkommen der Slow-Food-Bewegung rückt zusehends auch die Qualität des Brotes wieder in den Vordergrund. Zunehmend mehr Menschen möchten wissen, was in ihren Nahrungsmitteln steckt, aber dort eigentlich nicht hineingehört. Das bestätigt auch die Verfechterin der österreichischen Slow-Food-Bewegung, Barbara van Melle: "Der Konsument weiß oftmals nicht, was in Nahrungsmitteln enthalten ist. Auch nicht beim Brot. Dessen Zusatzstoffe sind nicht deklariert und müssen es auch nicht sein.“
Dass gutes Brot, so, wie es traditionell hergestellt wird, wieder im Trend liegt, zeigt die steigende Zahl von Bäckereien, die sich auf Natursauerteig spezialisieren. Kultbäcker Josef Weghaupt, der seit 2011 die Wiener Brotszene mit seinem "Joseph Brot“ aufmischt, sperrte gerade im 19. Bezirk in der Obkirchergasse seine dritte Filiale auf. Dazu kommen Mitbewerber wie der Holzofenbäcker Helmut Gragger, der in Wien als Pionier der alten Brotmachart gilt, oder der Wiener Bäckermeister Arthur Grimm, der mit seinen Backwaren die Spitzengastronomie beliefert.

Menschen mit Geschmack und Sinn für das Echte: Bäcker Ernst Kasses und Journalistin Barbara van Melle.
Brot selbst gemacht
Auch der Duft nach frischen und selbst gemachten Backwaren in den eigenen vier Wänden wird immer beliebter. Im Idealfall macht man das - wie echte Bäcker - ohne Konservierungsstoffe und Säuerungsmittel. Auf die Frage, warum diese selbst in echten Backstuben mitunter Verwendung finden, hat Van Melle eine Antwort: "Das Handwerk ist entglitten. Viele Bäcker haben gar nicht mehr gelernt, Sauerteige zu machen. Wenn man sich das vorstellt, wundert einen vieles nicht. Wenn ich nämlich kein besseres Produkt mache als der Supermarkt, ist es für die Konsumenten nicht nachvollziehbar, warum sie zum Bäcker gehen sollen und dafür auch noch mehr bezahlen.“
Durch ihre Leidenschaft fürs Kochen und Backen weiß Van Melle auch über die wichtigste Komponente beim Brotbacken Bescheid: Zeit. "Einem Teig muss man Zeit geben, ihn über einen langen Zeitraum, auch temperaturmäßig, führen. Das hat ganz viel mit der Entwicklung des Geschmacks, der Haltbarkeit und dem Frischhaltevermögen zu tun. Am besten ist es überhaupt, den Teig über Nacht im Kühlschrank ruhen zu lassen“, weiß sie.
Das hat gute Gründe. Erst in einem langsamen Reifungsprozess entsteht ein hochwertiger Brotteig. Kürzt man dies ab, kann sich nicht genügend Milchsäure bilden und der gute Laib schmeckt nach Essig. Weit mehr als zwölf Stunden sind dabei ein Muss. Die richtige Mischung der Grundzutaten für einen besonders guten Teig, der den Geschmack und die Qualität ergibt, liegt somit in der Verantwortung des Bäckers.
Die Kunst des langsamen Backens
Einer, der in dieser Hinsicht besonders viel Verantwortung übernimmt, ist der Waldviertler Bäcker Erich Kasses. Er gilt als "Slow Baking“-Pionier, und schon seit drei Generationen werden im Familienbetrieb in Thaya Backwaren produziert. Wenn er von Brot spricht, merkt man die Leidenschaft dahinter. Der Bäcker appelliert: "Machen Sie den extra Weg zum Bäcker! Sie tun sich etwas Gutes und können so das Kulturgut Brot für nachkommende Generationen erhalten.“
Erich Kasses ist zudem nicht nur Bäcker, sondern auch Bauer und Müller. Auf seinen Feldern sät er Urgetreidesorten und vermahlt für seine Brote Sibirischen Roggen, Champagnerroggen oder auch alte Winterroggensorten.
Auch die Großstädter haben die Qualität und den guten Geschmack der Kasses-Kreationen zu schätzen gelernt. Meinl am Graben und Merkur Hoher Markt vertreiben exklusiv seine Produkte, die Kasses selbst jede Nacht mit seinen Mitarbeitern in der Backstube herstellt. An Wochenenden werden u. a. auch der Kutschkermarkt oder der Yppenmarkt beliefert. Die Nachfrage ist groß, übrig bleibt nichts.
Die fürs Brot so wichtigen Sauerteige kultiviert Kasses übrigens von Hand im Holzfass: "Der Sauerteig ist das Wichtigste beim Brot und auch für den menschlichen Körper von großer Bedeutung“, erzählt Kasses. "Erst durch die Fermentation des Teiges können die Vitamine und Spurenelemente, die in Brot und Nahrung enthalten sind, vom menschlichen Organismus aufgenommen werden. Teige, die mit Säuerungsmittel hergestellt wurden, können das nicht“, fasst der Bäcker zusammen, worauf es beim Brot tatsächlich ankommt.
Artikel aus FORMAT Nr. 42/2015
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