Die Diesel-Abzocke
Die ungewöhnlich hohen Notierungen für Diesel und Heizöl in Europa lassen die Gewinne für die Raffinerien kräftig ansteigen. Sie tun das allerdings auf Kosten der ohnehin angespannten Verbraucherbudgets und erhöhen überdies die Kosten vieler Industriebetriebe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Beispiel Großbritannien: Autofahrer werden im laufenden Jahr voraussichtlich im Jahresdurchschnitt die bislang höchsten Dieselpreise bezahlen, wie die Branchenvereinigung Retail Motor Industry Federation Ltd. berechnet hat. In Deutschland müssen im vierten Jahr in Folge höhere Heizölkosten entrichtet werden. Die Verknappung von Dieselkraftstoff wird voraussichtlich im laufenden Monat ihren Höhepunkt erreichen, bevor eine erhöhte Produktionsquote bei den Raffinerien das Angebot wieder erhöhen wird. Das zumindest erwartet eine Mehrheit von acht durch Bloomberg befragte Händler und Branchenanalysten. Fünf von ihnen rechnen bis Ende November mit wieder fallenden Preisen; drei hingegen erwarten weiter anziehende Notierungen.
Steigende Treibstoffkosten belasten die Bilanzen in der Industrie und bedrohen nach Einschätzung von Branchenexperte Wolfgang Severing vom Bundesamt für Güterverkehr mittlerweile sogar die Existenz von Speditionsunternehmen in Deutschland. Auf der anderen Seite verschaffen sie den Ölkonzernen satte Gewinne. So berichtete der in Europa führende Raffineriebetreiber Total SA für das dritte Quartal einen Gewinnsprung von 20 Prozent, der unter anderem von den besseren Margen im Geschäft mit Erdölprodukten angetrieben wurde.
Hohe Kosten für Heizöl belasten die Budgets der Verbraucher in diesem Winter in ganz Europa, sagt Analyst Alexander Koch von der UniCredit Group in München. Fahrer von Dieselfahrzeugen drohen in diesem Winter die bislang höchsten Tankrechnungen, und das obwohl der in Dollar ermittelte Preis für Rohöl der in Europa üblichen Sorte Brent um rund 27 Prozent unterhalb des Rekordniveaus von 2008 bei aktuell etwa 107 Dollar liegt. Während der Dieselpreis in Deutschland derzeit rund 1,52 Euro je Liter erreicht, zahlen britische Autofahrer für den Liter Diesel umgerechnet sogar 1,78 Euro.
Eine Reihe von Raffinerieschließungen in Europa und im Osten der USA haben die Destillatereserven - die vornehmlich aus Dieselkraftstoff und Heizöl bestehen - deutlich fallen lassen. Seit Jahresbeginn 2011 sind in Europa mindestens sechs Anlagen geschlossen worden. Der Supersturm Sandy hat an der US-Ostküste in den letzten Tagen für weitere Schließungen gesorgt. Die Destillatereserven in den USA sind damit saisonal sogar auf dem niedrigsten Stand für diese Jahreszeit seit 2004 gefallen, wie aus Daten des Washingtoner Energieministeriums hervorgeht.
In Europa sind die Reserven laut Daten des niederländischen Branchendienstleisters PJK International BV in Lagern rund um das Drehkreuz Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen unterhalb des Fünfjahresdurchschnitts. In den USA hat ein vermehrter Bedarf aus Südamerika die Lager zunehmend geleert und die Raffinerien könnten Probleme bekommen die Lager vor dem Wintereinbruch in der nördlichen Hemisphäre wieder aufzufüllen, wie Experten der BNP Paribas SA einschätzten.
Der Unterschied in diesem Jahr zu den vorhergehenden besteht darin, dass die Bestände vor dem Winter auf Mehrjahrestiefs gefallen sind und damit weniger Zeit zum Aufbau der Lager besteht, sagte Rohstoffstratege Harry Tchilinguirian von der BNP in London.
Schwellenländer schlucken Diesel
Die Nachfrage für Dieselkraftstoff wächst überdies in Schwellenländern, deren Wirtschaft einen erhöhten Transportbedarf aufweist und damit mehr Lkw-Diesel verbraucht. Das sagte kürzlich der Rohstoffanalyst Jason Lejonvarn von Hermes Investment Management Ltd. auf einer Energiekonferenz im schweizerischen Genf.
Die Raffineriemargen werden voraussichtlich auch das kommende Jahr über die Bilanzen von Unternehmen wie Total oder auch der spanischen Repsol SA unterstützen, wie Analyst Oswald Clint von Sanford C. Bernstein and Co. in London laut einer aktuellen Studie einschätzt. Die Fundamentaldaten am Dieselmarkt sind tatsächlich ein Lichtblick in einem schwachen Ölmarktumfeld in Europa.