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Joseph E. Stiglitz: "Wir sind im Krieg" [INTERVIEW]

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Joseph E. Stiglitz

Joseph E. Stiglitz: "Im besten Fall kommt Europa schnell von seiner Abhängigkeit von russischem Gas weg, die immer idiotisch war."

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Inflation, Abschwung, Abstiegsangst: Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz fordert im trend. Interview dazu auf, den Ernst der Lage zu erkennen und die Inflation mit Investitionen statt mit höheren Zinsen zu bekämpfen.

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Russlands Krieg gegen die Ukraine, immer weiter steigende Energiekosten und die Inflation bringen Europa unter Druck. Wie kommen wir im besten Fall aus dieser Situation heraus?

Joseph E. Stiglitz

Es gibt sehr viel mehr negative Szenarien als positive, und klar ist natürlich, dass alles von Russland abhängt und davon, wie lange Putin diesen Krieg fortsetzen will. Im besten Fall realisiert er, dass er unsinnig ist, und gibt auf. Das wird aber nicht passieren. Wahrscheinlicher ist, dass Putin einsieht, dass die Kosten dieses Kriegs für Russland zu hoch sind, dass es ein völlig unproduktives Schlachten ist und man zu den Grenzen zurückfindet, die vor dem Krieg gegolten haben. Dann wird sich die Lage der Welt wieder beruhigen, aber die Welt wird eine andere sein.

Weil Russland die Welt polarisiert hat?

Joseph E. Stiglitz

Es ist noch gar nicht lange her, dass wir Russland in den G7 willkommen geheißen haben. Selbst wenn es zu einem schnellen Frieden kommen sollte, wird das Land hier nicht mehr dazugehören.

Auch Sie sehen also, dass neue Wirtschafts- und Machtblöcke entstehen?

Joseph E. Stiglitz

Vieles ist noch nicht ganz entschieden. Ob China zum Beispiel wirklich aus geopolitischen Gründen mit Russland eine Koalition der autoritären Staaten bildet, ist noch unsicher. Wie geschlossen die Grenzen sind, mit denen demokratische Staaten konfrontiert sind, ist auch noch nicht ganz entschieden. Aber dass hier zwei Blöcke stehen und wie im Kalten Krieg um die Herzen und Hirne und wirtschaftlichen Interessen der Welt kämpfen werden, zeichnet sich ab.

Im besten Fall kommt Europa schnell von seiner Abhängigkeit von russischem Gas weg, die immer idiotisch war.

Joseph E. StiglitzÖkonom, Politikberater und Professor für Wirtschaftswissenschaft

Der Krieg hat viele überrascht. Überraschen auch seine Folgen?

Joseph E. Stiglitz

Als Russland die Ukraine angriff, hatte ich gehofft, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer klar auf der Seite des Westens stehen werden und darin ganz klar eine Verletzung der internationalen Regeln erkennen, die seit Jahrzehnten gelten. Es war doch völlig undenkbar, dass ein Land die Existenz eines anderen Landes als illegitim bezeichnet.

Viele Entwicklungsländer halten sich aus Weltordnungsfragen nun eher raus?

Joseph E. Stiglitz

Ich dachte, sie stünden auf der Seite des Westens in dieser Weltordnung, aber viele scheinen das nicht zu tun. Das liegt zum einen daran, dass die Folgen für sie heftig sind: Sie sind von den steigenden Preisen für Lebensmitteln und Energie besonders hart getroffen. Zum anderen ist da aber auch ein gewisser Groll gegenüber dem Westen, der sich über Jahre aufgebaut hat. Das jüngste Beispiel dafür sind die Covid-19-Impfstoffe.

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Joseph E. Stiglitz: "In den Entwicklungs- und Schwellenländern hat sich über die Jahre ein gewisser Groll gegen den Westen augfebaut."

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Was haben die Covid-Impfstoffe damit zu tun?

Joseph E. Stiglitz

Während US-Präsident Joe Biden die Lizenzen für Covid-Impfstoffe freigeben wollte, hat Europa das verhindert. Das war eines jener Dinge, die sich in vielen Entwicklungsländern eingebrannt haben: Wir sterben, und ihr besteht auf dem geistigen Eigentum?

So wird das in Europa bisher jedenfalls nicht gesehen. Hier wurden eher die USA kritisiert, die ihre Impfstoffe lieber ungenützt verrotten ließen. Europa unterstützte auch die internationale Impfkampagne von Covax lange, bevor die USA unter Biden einstiegen.

Joseph E. Stiglitz

Die Freigabe der Patente hat trotzdem Europa verhindert, und der Ärger darüber bleibt.

Wenn die Einheit mit der sich die EU gerade gegen Russland stellt bricht, würde Putin gestärkt, der dann vielleicht noch in Georgien und Moldawien einmarschiert.

Joseph E. StiglitzÖkonom, Politikberater und Professor für Wirtschaftswissenschaft

Die Weltordnung ändert sich also gerade, und alle Staaten sind mehr oder weniger mit multiplen Krisen konfrontiert. Wie geht das für Europa dennoch im besten Fall aus?

Joseph E. Stiglitz

Im besten Fall kommt es schnell von seiner Abhängigkeit von russischem Gas weg, die immer idiotisch war, und investiert wie verrückt in erneuerbare Energie, so wie es das längst tun hätte sollen. Dann würde sich die grüne Wende beschleunigen und sehr viel wirtschaftliche Entwicklung, die damit zusammenhängt.

Was geschieht im schlechtesten Fall?

Joseph E. Stiglitz

Da bricht dann die Einheit, mit der sich die EU gerade gegen Russland stellt, weil der Druck aufgrund der steigenden Energiepreise und ihrer Folgen zu groß wird. Dadurch würde Putin gestärkt, der dann vielleicht noch in Georgien und Moldawien einmarschiert und Grenzen der freien Welt noch einmal verschiebt. In einem anderen schlechten Szenario hält die Einigkeit innerhalb der EU, aber sie rutscht aufgrund der hohen Preise in eine Rezession, die die Europäische Zentralbank noch einmal verschlimmert, weil sie die Zinsen zu stark erhöht.

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Joseph E. Stiglitz: "Wir sind im Krieg. Nicht jeder will das wahrhaben, aber wir sind es, und weil wir im Krieg sind, müssen wir andere Maßnahmen treffen als sonst."

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Viele Ökonomen kritisieren die EZB dafür, dass sie die Zinsen viel zu spät und zu schwach erhöht hat, um die Inflation zu bekämpfen.

Joseph E. Stiglitz

Die aktuelle Inflation ergibt sich aber vor allem aus der Knappheit auf der Angebotsseite, sie geht auf die Probleme bei den Lieferketten und die hohen Energiekosten zurück. Man sollte sie nicht als Folge der hohen Nachfrage falsch interpretieren. Wenn die EZB die Zinsen zu stark anhebt, dann wird aus einer Inflation, die man managen könnte, und einem kleinen Abschwung ein ernstes Problem namens Stagflation.

Ist das von all den besprochenen Szenarien für Sie am wahrscheinlichsten?

Joseph E. Stiglitz

Ich fürchte, es ist das realistischste. Ich hoffe wirklich, dass die Einigkeit der EU gegenüber Russland hält und sie auch weiter bereit ist, der Ukraine zu helfen. Dann wird die aktuelle Krise zu einer Frage wirtschaftspolitischer Maßnahmen und der Zinspolitik der EZB.

Wir haben einen Energienotfall, also müssen wir unsere Ressourcen so schnell wie möglich in den Ausbau der Erneuerbaren stecken. Es ist eine Frage der Verteidigung, der Sicherheit.

Joseph E. StiglitzÖkonom, Politikberater und Professor für Wirtschaftswissenschaft

Österreich war bis zum Ausbruch des Kriegs zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig. Was können Staaten in einer solchen Situation tun, um die Inflation zu bekämpfen?

Joseph E. Stiglitz

Nachdem es um ein Angebotsproblem geht, muss man das Angebot schnell erhöhen, also Energiezulieferer diversifizieren und gleichzeitig vor allem wirklich schnell die erneuerbaren Energien ausbauen. Für Europa und auch die USA, für den gesamten Westen gilt: Wir sind im Krieg. Nicht jeder will das wahrhaben, aber wir sind es, und weil wir im Krieg sind, müssen wir andere Maßnahmen treffen als sonst. Wir haben einen Energienotfall, also müssen wir unsere Ressourcen so schnell wie möglich in den Ausbau der Erneuerbaren stecken. Es ist eine Frage der Verteidigung, der Sicherheit.

So schnell geht das allerdings nicht.

Joseph E. Stiglitz

Wir hätten viel früher damit anfangen müssen. Mich hat es auch überrascht, dass die EU es Putin überlässt, ob er das Gas abdreht oder nicht. Diese Abhängigkeit macht sie enorm vulnerabel. Jetzt jedenfalls muss groß investiert werden. Gleichzeitig müssen Regierungen alles tun, um Wucher zu verhindern.

Der Ölmarkt ist von politischen Kräften getrieben. In Europa wird wird von den Konsumenten zu Putin umverteilt.

Joseph E. StiglitzÖkonom, Politikberater und Professor für Wirtschaftswissenschaft

Regierung sollen also zum Beispiel die Übergewinne von Energiekonzernen höher besteuern?

Joseph E. Stiglitz

Es gibt viele Unternehmen, die gerade Rekordgewinne erzielen, es gibt also viele, die von den aktuellen Knappheiten enorm profitieren. Wir sind aber im Krieg, und von diesem Krieg soll niemand profitieren. Temporäre Gewinnobergrenzen oder Steuern auf Übergewinne wären deshalb ein richtiger Ansatz. Damit könnte man dann auch die Sonderzahlungen finanzieren, die an Menschen mit geringem Einkommen, aber auch an die Mittelschicht gehen sollten, die stark unter den gestiegenen Preisen leiden. Wir müssen sie schützen.

Zumindest im letzten Punkt sind sich fast alle Ökonomen und die Politik einig. Bei der Besteuerung von Übergewinnen sieht es allerdings schon anders aus. Einige fürchten Verwerfungen des Marktes.

Joseph E. Stiglitz

Wir müssen verstehen, dass wir uns in einem Krieg befinden. Ich würde mir generell sehr viel mehr Solidarität unter den westlichen Staaten wünschen, denn einige tragen in diesem Krieg viel höhere Kosten als andere. Was die Besteuerung von Übergewinnen betrifft, muss man sowieso sagen, dass etwa der Ölmarkt kein normaler und wettbewerbsgetriebener Markt ist, sondern einer, der von politischen Kräften getrieben ist. Wir werden dringend mehr Interventionen brauchen, um den Preiswucher zu verhindern und somit auch die Umverteilung. In den USA läuft sie von den Konsumenten zu den Energieunternehmen, in Europa ist es sogar noch komplizierter: Hier wird von den Konsumenten zu Putin umverteilt.

Hohe Preise zu bekämpfen, indem man die Zinsen erhöht, dadurch das Wachstum bremst und die Arbeitslosigkeit steigert, scheint mir nicht die beste Lösung zu sein.

Joseph E. StiglitzÖkonom, Politikberater und Professor für Wirtschaftswissenschaft

Anders als Europa sind die USA de facto energieautark, sie können sich theoretisch selbst versorgen. Dennoch steigen auch hier die Energiepreise.

Joseph E. Stiglitz

Ich finde die Initiative der US-Finanziministerin Janet Yellen sehr interessant. Sie schlägt vor, dass westliche Staaten ein Käuferkartell für russisches Öl starten, um dem Angebotskartell etwas entgegenzusetzen und die Preise wieder zu senken. Keine Ahnung , ob und wie das funktioniert, aber die Überlegung ist spannend. Der Öl- und Gasmarkt ist einfach kein normaler Markt.

Die US-Notenbank Fed hat die Zinsen bereits stärker angehoben, die Inflation steigt aber immer noch. Was kann noch helfen?

Joseph E. Stiglitz

Wir müssen verstehen, dass die Inflation, die wir aktuell sehen, nicht so sehr durch starke Nachfrage getrieben ist, sondern vor allem durch knappes Angebot. Hohe Preise zu bekämpfen, indem man die Zinsen erhöht, dadurch das Wachstum bremst und die Arbeitslosigkeit steigert, scheint mir nicht die beste Lösung zu sein. Höhere Zinsen werden sich als kontraproduktiv erweisen, weil sie die nötigen Investitionen in die Zulieferketten bremsen, die wir eigentlich bräuchten, um das Angebot zu erhöhen.

Zinserhöhungen könnten aktuell die Inflation sogar verstärken?

Joseph E. Stiglitz

Wenn die Zentralbanken überreagieren, könnte das am Ende so sein. Es fällt uns schwer, das zu sehen, weil wir in der Vergangenheit oft mit einer Inflation zu tun hatten, die von der Nachfrageseite getrieben wurde. Was hier als Maßnahme wirkt, wirkt aber nicht, wenn es an Öl und Gas, an Dünger und Weizen und vielen anderen wichtigen Dingen fehlt.

Das Interview ist der trend. EDITION vom 12.8.2022 entnommen.

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