Was die Wende in Österreich wirklich brachte

Wie gut ist Österreich? Nach zweieinhalb Jahren Wende hat sich wenig verändert. Die Reformen sind in ihren Ansätzen steckengeblieben. Das Land ist zwar wohlhabend, aber wenig zukunftstauglich. Entscheidende Reformen bei Pensionen und öffentlicher Verwaltung sowie eine Steuersenkung bleiben der nächsten Regierung.

Die schwarz-blaue Latte war hoch gelegt. Unter dem Motto „Österreich neu regieren“ hatten ÖVP und FPÖ bei der Regierungsbildung ein Feuerwerk an Reformen versprochen. Im sprichwörtlichen „Speed kills“-Tempo (jede Woche ein Jahrhundertgesetz) sollten der defizitäre Staatshaushalt saniert, das Pensions- und Gesundheitssystem radikal erneuert, die Allmacht der Sozialpartnerschaft gebrochen, Österreichs Wirtschaft und Gesellschaft umgebaut und international wettbewerbsfähig getrimmt werden.
Jetzt ist die schwarz-blaue Koalition zerbrochen, und die Bilanz ihrer Arbeit fällt ernüchternd aus. Die vielbeschworene Wende ist in den Ansätzen steckengeblieben, statt des großen Sprungs vorwärts gelangen nur zaghafte Trippelschrittchen.

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Zwar steht Österreich im internationalen Vergleich nach wie vor blendend da: Es zählt zu den reichsten zehn Ländern der Erde, in der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit hat es sich seit 1997 von Platz 24 auf Rang 13 vorgearbeitet. In einem von der EU erhobenen Ranking, das die Zukunftstauglichkeit der fünfzehn Mitgliedsländer erhebt, liegt Österreich an achter Stelle, im guten Mittelfeld. Österreich verfügt über ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, ist Spitzenreiter in der sozialen Absicherung, bei der Lebensqualität und hat eine geradezu beneidenswert intakte Umwelt.

Trotzdem trügt das erfreuliche Gesamtbild. Denn in jenen Bereichen, die über die Zukunft des Landes entscheiden, gibt es ganz erhebliche Defizite. Die unter Schwarz-Blau auf Rekordwerte gestiegene Steuer- und Abgabenquote von 46,9 Prozent lähmt die wirtschaftliche Aktivität. Die Regierung leistet sich nach wie vor die höchste Zahl an öffentlich Bediensteten und die kostspieligste Verwaltung aller entwickelten Industriestaaten. Die zu geringe Erwerbsbeteiligung älterer Menschen treibt das Pensions- und Gesundheitssystem an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Schwere Mängel im verstaubten universitären Bildungssystem sowie in Forschung und Entwicklung führen zu erschreckend niedriger Innovationsbereitschaft.

Flop
Das bereits schmerzhaft spürbare Ergebnis dieser Schwächen: Die Wirtschaft, die über Jahrzehnte hinweg rascher gewachsen ist als der europäische Durchschnitt, hinkt plötzlich hinterher, ist von der Überhol- auf die Kriechspur abgedrängt worden. Die Auswirkungen lassen sich auch an sonst kaum beachteten Sozialindikatoren ablesen. So steigt die Zahl der von Armut gefährdeten Menschen stetig an, wird Österreich bei der Selbstmordrate nur noch vom finster-kalten Finnland überholt, führt die europäische Statistik bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Leberzirrhosen an. So gesehen kein Wunder, daß sich Österreich das teuerste Gesundheitssystem Europas leistet.
Erhard Fürst, Chefökonom der Industriellenvereinigung, hält diesen Zusammenhang für überspitzt. „Jede Reform ist schmerzhaft, und es dauert einige Zeit, bis die Früchte zu ernten sind“, meint er. Und: „Die Modernisierung eines Staates ist nie abgeschlossen, sondern gleicht der Jagd auf bewegliche Ziele.“

Tatsächlich hält das österreichische Reformtempo mit der sich rascher denn je verändernden Umwelt nicht mit.
Die Globalisierung läßt die Welt kleiner werden. Österreich steht heute mit kleinen, aufstrebenden Industrienationen in Asien und Südamerika im Wettbewerb, durch die Ostöffnung liegen plötzlich Tiger- und Drachenstaaten mit niedrigen Lohnniveaus und Umweltstandards sowie erst im Aufbau begriffenen Sozialsystemen direkt vor der Haustür. Und sogar innerhalb der EU hat Österreich Schwierigkeiten, mit der Geschwindigkeit, die andere vorgeben, mitzuhalten.

Hehres Ziel
So haben die EU-Staaten beim Gipfel von Lissabon im Jahr 2000 ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Bis zum Jahr 2010 soll Europa zum „dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ gemacht werden. Nur so sei mehr Wachstum zu schaffen und das hohe Wohlstandsniveau zu halten. Zugleich muß das europäische Sozialmodell modernisiert werden. Genau da liegen die Schwachpunkte, die Österreichs Entwicklung bremsen.

Autoren: R. Graber, K. Grubelnik, F. Stadtthaler, I. Widek

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