Popstar wider Willen - Alexander van der Bellen
Alexander Van der Bellen: Der bürgerliche Professor hat aus der Chaostruppe eine Partei geformt, die drauf und dran ist, die FPÖ zu überholen. Er fühlt sich schon so stark, der SPÖ harte Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung zu stellen.
ch der grüne Parteichef Alexander Van der Bellen nicht fotografieren. Leicht genervt blickt er in die Linse, ungeduldig zupft er an seiner Krawatte, seine geliebten Zigaretten (Ernte 23) liegen, für ihn unerreichbar, am Nebentisch. Keine Bilder mit grauem Rauch, lautet die Direktive seiner Spin-Doktoren. Denn Tabakkonsum polarisiert, und Polarisierung mitten im Wahlkampf ist ein absolutes Tabu für seine Imagewächter.
Van der Bellen oder „Sascha“ – wie er in der Partei liebevoll genannt wird – soll lieber bleiben, was er ist: der undogmatischste Spitzenkandidat, den eine österreichische Partei je gesehen hat, durchgängig beliebt, vielseitig „bespielbar“, dennoch immer authentisch, mit Traumwerten in jeder Bevölkerungsschicht, aber vor allem bei den Frauen. Der grüne nette Onkel von nebenan, der Messias seiner Partei – das Gesicht der Grünen seit 1997. Mehr Normalo als Realo eben.
Brav und bürgerlich sind die Grünen unter seiner Führung geworden. Jetzt, kurz vor der wichtigsten Wahl der Grünen seit ihrem Einzug ins Parlament 1986, verblaßt die Partei hinter seinem Rücken. Noch nie waren die Grünen in Österreich so knapp davor, Regierungsverantwortung zu übernehmen und die Staatsgeschäfte zu führen. Knapp sechs Wochen vor der Nationalratswahl am 24. November 2002 stehen die österreichischen Grünen – sie sind seit 1986 im Parlament – erstmals nicht nur als Oppositions-, sondern auch als potentielle Regierungspartei zur Wahl.
Selbstbewusst
Genau wie in Deutschland könnten sie zum essentiellen Mehrheitsbeschaffer der Sozialdemokraten (SPÖ) werden. Schließlich rangieren Österreichs Grüne in aktuellen Umfragen bei 13 Prozent, die SPÖ will – trotz angeworfener Wahlkampfmaschinerie – nicht so recht an der Vierzig-Prozent-Marke kratzen. Nur gemeinsam, soviel ist klar, könnten sie die konservative Mehrheit brechen. Klar ist darüber hinaus auch: Die Wende der Wende kann nur gelingen, wenn die Grünen im zweistelligen Prozentbereich liegen.
Entsprechend selbstbewußt tritt der grüne Spitzenmann daher auf – und bricht ein wahlkämpferisches Tabu: Im FORMAT-Interview fordert er bereits jetzt für den Fall eines rot-grünes Siegs vier Ressortchefs für seine Partei ein (siehe Seite 25). Van der Bellen: „Das entspricht den angestrebten Kräfteverhältnissen.“
Konterkariert wird diese Souveränität des Spitzenkandidaten in der öffentlichen Diskussion von den Zweifeln auch potentieller Wähler: Sind die Grünen tatsächlich regierungsfähig? Überstrahlt der Professor nur das dahinterliegende Chaos, so wie Schwarz und Blau es gern weismachen wollen? Eines steht fest: Immer noch hängt den Alternativen das Image der Chaostruppe nach. Nur 37 Prozent der Österreicher halten sie für regierungsfähig, gar sechzig Prozent trauen ihnen nicht zu, das Land regieren zu können, sagt eine aktuelle FORMAT-Umfrage. Magere Werte für eine Partei, die bereits die halbe Macht für sich reklamiert.
Ausgerechnet vergangene Woche, unmittelbar vor dem Bundeskongreß an diesem Samstag, unterliefen den Grünen zwei strategisch-folgenschwere Schnitzer. Van der Bellens Stellvertreterin Eva Glawischnig startete einen Versuch, der Volkspartei christliche Wähler abzuluchsen: Sie bezeichnete die Schwarzen als „rechtsextrem“, dann als „extrem rechts“ und mußte dies binnen Stunden öffentlich zurücknehmen. Und Van der Bellen reagierte vergangene Woche erst verspätet, als umstrittene Äußerungen von grünen Politikern zu Israel bekannt wurden (siehe Kasten Seite 30). Prompt nutzte die Volkspartei die Situation, um sich – inbrünstig moralisierend – über radikale Tendenzen bei den Alternativen zu echauffieren.
Huldvolle Krönung
Dabei sind die Grünen so geschlossen wie noch nie: kein Streit um Listenplätze, keine offen ausgetragenen Scharmützel mehr. Der Bundeskongreß, einst Schauplatz heftigen Listengerangels, wird diesmal einer huldvolle Krönungsmesse für Parteichef Van der Bellen gleichen. Die Wahlkampfplakate sind längst gedruckt, die formelle Bestätigung der Spitzenkandidaten ist nur noch ein bürokratischer Routinevorgang. Noch vor fünf Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Autoren: Barbara Toth, Klaus Zellhofer
Die ganze Story lesen Sie im neuen FORMAT.
Außerdem:
- Pareichef Van der Bellen im Interview
- Affäre um Äußerungen Grüner über Israel