FORMAT-Talk: Kardinal Schönborn über Kirche & Nazis
In einem FORMAT-Interview nimmt Kardinal Christoph Schönborn zur Rolle der Kirche während der NS-Zeit Stellung. So meint er unter anderem: "Der Widerstand unter den Christen war nicht entschlossen genug." Außerdem bestätigt Schönborn gegenüber FORMAT den aktuellen Stand jener Historikerkommission zum Thema "Zwangsarbeiter". Demnach war während der NS-Zeit 188 "Zwangsarbeiter" auf kirchlichen Gütern beschäftigt.
Anläßlich der Diskussion um das neue Buch des US-Politologen Daniel Goldhagen meint Schönborn, dass sich die Kirche " sehr intensiv mit ihrer Situation im Nationalsozialismus auseinandergesetzt" habe: "Ich verweise für Österreich nur auf die Namen von zwei katholischen Zeithistorikern, die minutiös aufgearbeitet haben, was es an Licht und Schatten gegeben hat: Erika Weinzierl und Maximilian Liebmann. Vieles, was uns jetzt in mehr oder weniger belletristischen Werken angeboten wird, ist Fachleuten seit langem bekannt."
Der Holocaust sei "in erster Linie das Werk von Leuten, die vom rassistischen pseudowissenschaftlichen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts geprägt waren." Schönborn weiter: "Zweifellos hat aber das Erbe des christlichen Antijudaismus dazu beigetragen, daß der Widerstand gegen diesen Antisemitismus unter den Christen nicht entschlossen genug war." Zur aktuellen Diskussion um die Seligsprechung von Pius XII. meint Schönborn: "Die Agitation gegen Pius XII. bezieht ihre Argumente immer noch aus dem Theaterstück "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth." Generationen von Historikern haben inzwischen dessen Thesen widerlegt, trotzdem werden sie wiederholt. Bereits unter Papst Paul VI. wurden von vier ausgewiesenen Historikern in zwölf Bänden die auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs bezüglichen Dokumente des Heiligen Stuhls ediert. Schönborn weiter: "Pius XII. hat hunderttausenden jüdischen Menschen direkt oder indirekt das Leben gerettet."
Zur Rolle der österreichischen Kirche während der NS-Zeit sagt Schönborn: "Wir können uns heute kaum mehr eine Vorstellung von den beschränkten Aktionsmöglichkeiten der katholischen Kirche im totalitären Regime - noch dazu unter den Bedingungen des "totalen Krieges" machen.