Format-Jobstudie: Wenn der Arbeitsplatz zur Hölle wird
Viel Geld verdienen ist nicht mehr wichtig, gefragt sind nette Kollegen und eine interessante Arbeit. Mobbing und sexuelle Belästigung machen vielen den Arbeitsplatz zur Hölle. Wie man im Job glücklich oder wenigstens zufrieden wird.
Fünf Jahre lang hat er gelitten. Siebzig Stunden die Woche gearbeitet, Anweisungen befolgt, die er für „blödsinnig“ gehalten hat, „keinerlei Unterstützung von den Chefs“ bekommen, dafür „jede Woche einen Migräneanfall“. Am 31. März wurde er erlöst. Da mußte Gerhard Kokoll, stellvertretender Leiter des Osteuropageschäfts des Büromaschinenherstellers Minolta, gehen. Aus einem Job, in dem er 8.000 Euro pro Monat kassiert hatte. Netto.
Jetzt verdient der 52jährige „im Vergleich zu früher einen Bagatellbetrag“. Aber er ist vollauf zufrieden. Die Migräne kommt nur noch einmal pro Monat, er arbeitet selten mehr als zwei Tage die Woche und hat viel Zeit zum Golfspielen. „Zeit ist für mich mehr wert als Geld.“
FORMAT-Studie
Geld macht nicht glücklich. Nicht mehr. Das ist auch eines der Hauptergebnisse der in den vergangenen Wochen durchgeführten FORMAT-Integral-Jobstudie, der größten wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema Arbeitswelt, die in den vergangenen Jahren in Österreich durchgeführt wurde.
FORMAT wollte wissen, wie es in Österreichs Arbeitswelt, in den Büros und in den Fabrikshallen, wirklich zugeht. Ob die Österreicher gern oder widerwillig arbeiten gehen. Ob sie ihren Vorgesetzten treu ergeben sind oder ob sie sie für ignorante Dummköpfe halten. Wie groß in Zeiten der Wirtschaftskrise die Angst vor dem Jobverlust ist. Ob sexuelle Belästigung und Mobbing in den Aufsätzen weltfremder Psychologen und Soziologen aufgebauscht werden oder ob sie den Betroffenen den Arbeitsplatz tatsächlich zur Hölle machen.
„Viele der Ergebnisse sind unerwartet bis revolutionär“, sagt Studienautor Manfred Tautscher, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Integral. So sind die Österreicher mit ihren Jobs insgesamt überraschend zufrieden. Nur drei Prozent zeigen sich total unglücklich mit ihrem
Arbeitsalltag. Andererseits, und das ist das weniger erfreuliche Ergebnis der Untersuchung, ist der Arbeitsplatz für viel mehr Menschen als bisher angenommen ein Ort des tagtäglichen Horrors:
- Mobbing etwa ist keineswegs ein Modethema. Dreizehn Prozent der Berufstätigen fühlen sich davon betroffen – das sind fast doppelt so viele, wie den bisherigen Untersuchungen zufolge angenommen wurde.
- Noch alarmierender sind die Ergebnisse zum Thema sexuelle Belästigung: Fast jede zweite Frau unter 19 Jahren ist davon betroffen (siehe Kasten auf der folgenden Seite).
Geld und Macht sind out
Schließlich zeigt die Studie deutlich wie keine zuvor den Wertewandel, der in den vergangenen Jahren in der Arbeitswelt stattgefunden hat. Ein hohes Gehalt ist heute für immer weniger Arbeitnehmer ein Ziel, das sie um jeden Preis erreichen wollen (siehe Grafik Seite 70). Statt dessen wollen sie Mitspracherechte bei Entscheidungen, eine anspruchsvolle Tätigkeit und flexible Arbeitszeitregelungen.
Praktiker aus den Unternehmen bestätigen, daß es sich dabei keineswegs um Lippenbekenntnisse handelt: „Die Soft facts wie gutes Arbeitsklima, eine interessante Arbeit und nette Kollegen werden immer wichtiger“, sagt Erich Cibulka, Personalchef von T-Mobile. Die klassischen Hard facts hingegen – Geld und Macht – sind out. Gerhard Hirczi, Personalchef von Siemens Österreich, dessen Abteilung jedes Jahr 16.000 Bewerbungen auf die Schreibtische bekommt: „Flexible Gehaltsbestandteile und interessante Job-rotationsmöglichkeiten sind heute viel mehr gefragt als eine hohe Fixgage.“
Freilich nicht überall. „Die Bedeutung immaterieller Faktoren kommt erst dort zum Tragen, wo die materiellen befriedigt sind“, bremst der Wiener Wirtschaftspsychologe Michael Lenert all jene, die den Trend zum Postmaterialismus als willkommenen Anlaß nehmen wollen, ihren Mitarbeitern weniger zu zahlen. „Zuerst kommt das Fressen, dann die Selbstverwirklichung, daran hat sich nichts geändert“, so der Personalchef eines oberösterreichischen Maschinenbauers. Aber die materiellen Grundbedürfnissse seien eben für immer mehr Leute im Prinzip befriedigt, nicht nur für die Bewohner der Chefetagen, sondern auch für viele Angestellte und manche Facharbeiter.
Österreichs Chefs sind auf diesen Wertewandel allerdings denkbar schlecht vorbereitet. Sie werden der FORMAT-Studie zufolge zwar von den Mitarbeitern als fachlich sehr kompetent beschrieben, aber bei den Führungsqualitäten und sozialen Fähigkeiten hapert es gewaltig. Gerade diese – etwa die Kunst der Mitarbeitermotivation – sind aber wichtig, wenn es gilt, Leute, die mehr wollen als möglichst viel Kohle, bei der Stange und im Unternehmen zu halten.
Unfähige Chefs, die nicht führen und nicht motivieren können, würden so zum Problem ganzer Branchen. Sie „fressen jede Menge an Energie, die dann der Offensivkraft von Unternehmen verloren geht und sie dadurch schwächt“, schreibt der Wirtschaftspsychologe Othmar Hill in seinem Buch „Das Ende der Massenmenschhaltung“.
Daß 71 Prozent der Befragten mit ihrem Job „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ sind, relativiert freilich die allgemeine Chefbeschimpfung. Die allgemeine Zufriedenheit ist sogar in allen Berufsgruppen relativ hoch. Erst bei konkreten Fragen nach Arbeitsklima, Zeitdruck und psychischer Belastung zeigen sich Unterschiede – zum Teil höchst überraschende. So klagen etwa die Beamten stärker über Zeitdruck als die Angestellten. Sollte ganz Österreich die Arbeitsbelastung der Staatsdiener unterschätzt haben?
40 Prozent sind im falschen Job
„Die hohe allgemeine Zufriedenheit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Unzufriedenen wirklich ernste bis existenzbedrohende Probleme haben“, weiß Studienautor Tautscher. Für diese Unglücksraben wäre ein Jobwechsel oft die einzige Lösung. Doch nur rund die Hälfte von ihnen wagt den finalen Schritt dann wirklich. Vierzig Prozent der Österreicher sind in ihren Jobs „suboptimal“ eingesetzt, schätzen Personalberater. Denn die meisten bleiben in dem Job und bei dem Arbeitgeber, zu dem sie „einmal hingestellt wurden“. Die Treue zum Arbeitgeber ist in Österreich im internationalen Vergleich noch immer fast konkurrenzlos.
Die Folge: Arbeitgeber können sich hierzulande Dinge herausnehmen, die anderswo längst nicht mehr durchgehen. Und „dank“ der Wirtschaftskrise werden die Sitten immer rauher. Lisa Laimer, Senior Consultant beim Personalberatungsunternehmen Catro: „Neuerdings wird den Frauen bei Einstellungsgesprächen wieder die Frage gestellt, ob sie die Absicht hätten, eine Familie zu gründen.“ Soll heißen: „Sie werden uns doch nicht schwanger werden, weil dann stellen wir Sie gar nicht erst ein.“
Kündigen oder bleiben?
Dann ist da noch das Problem Arbeitsklima allgemein: Es ist, auch das ein zentrales Ergebnis der FORMAT-Integral-Studie, in vielen Unternehmen alles andere als zufriedenstellend. Mit der individuellen Konsequenz daraus – der Frage „Kündigen oder bleiben?“ – beschäftigen sich tagtäglich Hunderttausende Österreicher, so die Studienautoren. Die Antwort ist in angespannten Zeiten wie diesen nicht einfach. Catro-Beraterin Laimer warnt vor Schnellschüssen: „Jetzt ist abolut der falsche Zeitpunkt, um bei den ersten Schwierigkeiten gleich das Handtuch zu werfen.“
Zudem sind nicht immer die Unternehmen schuld, wenn jemand mit seinem Job permanent unzufrieden ist. In einer Zeit, in der ein gelegentlicher bis häufiger Wechsel des Lebenspartners gang und gäbe ist, erkaltet auch die Liebe zum Arbeitgeber schnell. „Es gibt immer mehr berufliche Don Juans“, berichtet ein Headhunter: Arbeitnehmer, die es an keinem Arbeitsplatz länger als ein paar Monate aushalten. Für sie gibt es schlicht und einfach keinen Weg zum beruflichen Glück.
Jobalternativen
Überhaupt birgt jeder Jobwechsel Risiken, warnen die Experten. Auch wenn er auf den ersten Blick einen eindeutigen Karrieresprung darstellt. Wie jener unglaubliche, aber wahre Fall eines niederösterreichischen ÖBB-Verschubarbeiters, der erst nach Abendmatura, nebenberuflichem Jusstudium und Gerichtsjahr draufkam, daß er es nicht aushält, den ganzen Tag in einem geschlossenen Raum zu verbringen.
Insgesamt sollten sich die Österreicher nach Ansicht von Personalberatern aber durchaus ein wenig intensiver nach Job-alternativen umschauen, als sie es üblicherweise tun. „Viele Leute nehmen in ihrem Job zuviel in Kauf“, sagt Catro-Geschäftsführer Markus Brenner. Ergebnis: Hunderttausende befänden sich in der inneren Emigration, einem inoffiziellen Lieblingsort der Österreicher.
Der Rückzug findet laut FORMAT-Studie gar nicht so sehr in den Riesenkonzernen statt, in denen das gemeinhin vermutet wird, sondern vor allem in mittelgroßen Unternehmen. Besonders in Companies mit 100 bis 500 Beschäftigten sind viele Arbeitnehmer überfordert und unglücklich. Der Grund: Dort gibt es weder die generösen Sozialleistungen der Großkonzerne noch den quasifamiliären Zusammenhalt der Kleinbetriebe. Zudem sind die Unternehmen oft zu schnell gewachsen, um einigermaßen professionelle Personalpolitik zu betreiben und sich um so luxuriöse Extras wie Mitarbeitermotivation zu kümmern.
In Kleinunternehmen und Großkonzernen hingegen sind die Mitarbeiter überdurchschnittlich zufrieden. Sie machen sich, und das ist angesichts der wirtschaftlichen Lage sensationell, auch kaum Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Selbst beim krisengebeutelten Austromulti RHI „werden die Troubles nicht als Bedrohung des Arbeitsplatzes erlebt“, sagt RHI-Personalchef Gerhard Kantusch.
Das hängt, so die Studie, auch damit zusammen, daß ein absolut sicherer Job heute nicht mehr als Nonplusultra gilt. Renate Delugan etwa, ehemalige Post-angestellte, arbeitet seit eineinhalb Jahren als Rezeptionistin im Sonnenstudio Sun Company. Die alleinerziehende Mutter kann ihre Arbeitszeiten so wählen, daß sie endlich genug Zeit für ihre zwei Kinder hat. Flexibilität ist ihr wichtiger als Job-sicherheit auf Lebenszeit. Die Kollegen seien super, die Chefs okay, sagt sie. Und das Gehalt? Auf das komme es ihr nicht an: Sie verdient keinen Euro mehr als früher.
Autoren: Reinhard Christl, Barbara Mayerl