Das Match um die Mattscheibe
TV-Wahlkampf: Die Fernsehdebatten der Spitzenpolitiker entscheiden das Duell um den Kanzler. Weil es noch nie so viele Unentschlossene gab, setzen die Wahlstrategen alles auf eine Karte.
Josef Broukals Angebot steht. Der in die Politik gewechselte ORF-Star will seinem Kanzlerkandidaten Alfred Gusenbauer in den nächsten Wochen medial Erste Hilfe leisten. Er stehe, so Broukal in internen Sitzungen, für ausgedehnte Waldspaziergänge vor den TV-Duellen gegen Wolfgang Schüssel und Co zur Verfügung und sei bereit, den, wie selbst Parteifreunde konstatieren, etwas grobschlächtigen Genossen in die komplexen Geheimnisse des Verhaltens vor Fernsehkameras einzuweihen. „Aber nur“, sagt der ehemalige „ZiB“-Anchorman, „wenn er es auch will.“ Der rote Spitzenkandidat dürfte wollen, hat er doch bereits in den vergangenen Wochen intensiv – doch wenig spürbar – an seiner Live-Performance im Staatsfernsehen gearbeitet. Broukal, so hoffen die Strategen im sozialdemokratischen Wahlcontainer an der Wiener Ringstraße, könnte dem Kanzlerkandidaten den letzten Schliff für die entscheidenden Tage des Wahlkampfs geben.
Zeitfaktor negativ
Doch Broukal hat nur wenig Zeit. Schon nächste Woche beginnen die Auseinandersetzungen der Spitzenkandidaten im ORF. Ab 29. Oktober kommt es – stets dienstags und donnerstags in ORF 2 und ab 22.30 Uhr – zum Showdown zwischen den Parteien. Der finale Höhepunkt ist das Duell der beiden Kanzlerkandidaten (Termin: 14. November). Das Match Wolfgang Schüssel gegen Alfred Gusenbauer soll nicht nur für hohe Einschaltquoten im ORF sorgen, sondern dürfte auch darüber entscheiden, ob der schwarze Wendekanzler oder sein roter Herausforderer die kommenden Jahre am Ballhausplatz residiert. In einer Fessel-GfK-Studie nach der Nationalratswahl 1999 gaben immerhin 36 Prozent der Befragten an, daß die TV-Duelle ihr Wahlverhalten beeinflußt hätten. Was 1999 Realität war, dürfte sich drei Jahre später noch weiter verstärken. Weil es im zäh anlaufenden Wahlkampf 2002 bislang auffallend wenige Höhepunkte gab, kommt den ORF-Debatten auch diesmal allerhöchste Bedeutung zu – was eine aktuelle FORMAT-OGM-Umfrage belegt.
So glauben 56 Prozent der Österreicher, daß die TV-Debatten einen Einfluß auf das Wahlverhalten ausüben. Nur zehn Prozent sind der Meinung, die Auftritte der Politpromis seien für die Wahl irrelevant. Deutliche Vorteile sehen die Österreicher für den Bundeskanzler. So halten laut OGM immerhin 31 Prozent Wolfgang Schüssel für den fernsehtauglichsten Kandidaten. Auf den Plätzen folgen Alexander Van der Bellen (23 Prozent), Alfred Gusenbauer (elf Prozent) und FP-Obmann Mathias Reichhold (acht Prozent).
In der Kanzlerpartei basteln die Strategen längst an den optimalen Rahmenbedingungen für Schüssels Auftritte. Nur ein fulminanter Kanzler im ORF, glaubt die Parteispitze, könne die notwendigen Prozent Wählerstimmen lukrieren, die der Partei auf den ersten Platz vor der SPÖ fehlen.
Amerikanische Verhältnisse
ÖVP-Wahlkampfstratege Michael Strugl glaubt, daß zumindest dreißig Prozent der Wahlberechtigten via Bildschirm mit Botschaften zu erreichen sind. Strugl: „Das ist diesmal enorm wichtig.“ Der Wiener Politologe Christian Scheucher, in den vergangenen Jahren für die ÖVP im Kampagneneinsatz, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Das wird Ausmaße wie in den USA haben, der absolute Showdown, vor allem das Duell Gusenbauer gegen Schüssel.“ Die Debatten, erklärt der Wissenschaftler, bekommen vor allem durch die Kürze des Wahlkampfs enorme Brisanz. Was auch Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer bestätigt. Der OGM-Chef glaubt zudem, daß beim Aufeinandertreffen von Schüssel und Gusenbauer die Entscheidung fällt: „Das ist die Stunde der Wahrheit.“ Und das trotz später Beginnzeit. Entscheidend sei nämlich nicht das Duell selbst, sondern der Tag danach – wie berichten die Medien, wie wird die Debatte am Arbeitsplatz oder am Stammtisch diskutiert. Umso offensiver versuchen die Parteien ihren Kandidaten als den überragenden Sieger zu verkaufen.
Tricks und Tücken
Schon 1971 versuchte der ÖVP-Pressedienst nach der Konfrontation zwischen Bruno Kreisky und Karl Schleinzer, die Öffentlichkeit mit einer „Glückwunschtelegrammflut“ zu beeindrucken. Die SPÖ verwies trocken auf ein Kreisky-Zitat: „Ich blicke der Entscheidung mit Zuversicht entgegen.“ Zwölf Jahre später überraschte der damalige ÖVP-Generalsekretär Michael Graff mit der Aussendung, „drei unabhängige Institute“ würden den VP-Kandidaten Alois Mock als Sieger sehen – am Wahltag jedoch hatte der schwarze Frontmann gegen Altstar Bruno Kreisky das Nachsehen.
Autoren: Klaus Dutzler, Barbara Toth
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