Aufbruchstimmung - Musikbiz reloaded

Die Musikindustrie versucht sich mit neuen Allianzen vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Als neue Player mischen Technologiefirmen, Konzertveranstalter und Kaffeehausketten im globalen Milliarden-Geschäft mit.

Fans der schwedischen Rockgruppe Mando Diao, die am letzten Donnerstag ihre Lieblingsband in der Wiener Stadthalle erlebten, konnten den Konzertmitschnitt gleich nach der Show auf einem USB-Stick mit nachhause nehmen oder von der Home­page der Gruppe herunterladen. Die Souvenir-Aktion ist symptomatisch für eine Entwicklung, die die Musikbranche auf den Kopf stellt: CD-Verkäufe stehen nicht mehr im Mittelpunkt, stattdessen breitet sich das Geschäft auf Livekonzerte, Merchandising und digitale Formate aus. Immer mehr Konzerne nutzen die Loyalität der Musikliebhaber – für die ursprünglichen Platzhirsche, die großen Plattenlabels, fällt dabei immer weniger ab. Laut aktuellen Zahlen des Branchenverbandes IFPI ging etwa in Österreich der Gesamtumsatz mit Tonträgern auch im Vorjahr um rund sieben Prozent zurück. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Musik ungebrochen: Nach Schätzungen des Verbandes werden pro Jahr etwa 130 Milliarden US-Dollar weltweit mit Musik umgesetzt, wenn Werbeerträge kommerzieller Musiksender, Verkäufe von MP3-Playern, Musikhandys und Musik­instrumenten, Einnahmen aus Livekonzerten und Tantiemen aus dem Musikverlagsgeschäft berücksichtigt werden. „Das Produkt­geschäft geht zurück, daneben entsteht ein Lizenzgeschäft“, sagt Franz Medwenitsch, Österreich-Geschäftsführer der IFPI. Bei der Neuordnung des Marktes stehen die etablierten Größen wie Sony BMG, Universal und Co einer Reihe neuer Großverdiener gegenüber – Technologiefirmen wie Apple, Handyherstellern wie Nokia, Netzbetreibern und Internetprovidern. Auf der Mu­sikmesse MIDEM, die im Jänner in Cannes stattfand, griff Paul McGuinness, Manager der Rockgruppe U2, die neuen Player frontal an. „Sie haben Multi-Milliarden-Dollar-Industrien auf unseren Inhalten aufgebaut, ohne dafür zu bezahlen“, wetterte McGuinness. „Sie haben eine mo­ralische Verpflichtung, echte, vertrauenswürdige Partner des Musiksektors zu werden.“

Eine starke Ansage. Denn der zwischen Dämmerschlaf und Napster-Schock hin- und hergerissenen Musikbranche hatte ausgerechnet der branchenfremde Apple-Gründer Steve Jobs in den letzten Jahren gezeigt, wie Online-Vertrieb funktioniert. iTunes ist mit bislang drei Milliarden verkauften Songs unangefochtene Nummer eins bei legalen Downloads. Und arbeitet mit dem iPhone daran, den mobilen Vertriebskanal auszubauen. Wirklich herauszufordern scheint Apple mit seinem 80-Prozent-Marktanteil nur Buchhändler Amazon, der iTunes unterbietet und 3,3 Millionen Songs ohne Kopierschutz offeriert.

Die Musikkonzerne wünschen sich starke Alternativen zu iTunes. Die zentrale Frage ist, in welchem Format und mit welcher Art der Bezahlung Musik künftig vertrieben werden soll. Die Zukunftsvisionen schwanken zwischen dem Verkauf ein­zelner Songs oder Alben und einem Abosystem, bei dem jeder mit den Ge­bühren für seinen Internet- oder Handyanschluss eine Musikbibliothek nutzen kann, ohne die Songs wirklich zu besitzen. Das Handy als Point of Sale haben die Konzerne zumindest in der Theorie längst ausgemacht, kamen in den letzten Jahren aber angesichts un­geklärtem Rechtemanagement und leidlich an­sprechender Hardware über den Klingeltonverkauf kaum hinaus. Zum Vergleich: 2007 wurden in Österreich 2,8 Millionen Klingeltöne verkauft, aber erst 400.000 ganze Songs, sogenannte Full Tracks. Dass Letztere stark zunehmen, ist neuer Verkaufspolitik geschuldet. Bei Mobilfunker One gibt es den Duo-Download, der dem Käufer erlaubt, den um 1,99 Euro gekauften Song parallel auch am Rechner zu hören und zu archivieren. Hier verdienen die Labels mit 60 bis 70 Prozent ganz or­dentlich, 15 bis 20 Prozent bekommt der Netzbetreiber, den Rest Zwischenhändler und Rechteinhaber.

Was sich auf diesem Weg verkauft, ist vor allem der Mainstream, „80 Prozent der Tracks stammen aus den Top 40“, sagt One-Marketingchef Günter Lischka. Die Hoffnung auf den mobilen Vertrieb ist jedenfalls groß. Das zeigen auch Nokias Ambitionen mit einem eigenen Multimediaportal („Ovi“), das sich zwar erst im Aufbau befindet, durch Nokias schiere Marktmacht als weltgrößter Handyhersteller aber schon für Misstöne bei den Mobilfunkern sorgt, die ja selbst Multimediaportale haben. Ein weiteres Beispiel ist das kürzlich vorgestellte Handy-Downloadportal MusicStation Max, für das die britische Firma Omni­fone die vier großen Plattenfirmen und führende Mobilfunker gewinnen konnte: Um eine wöchentliche Abogebühr von 1,99 Pfund können Songs unlimitiert heruntergeladen und auch nach Ablauf des Abos weiter genutzt werden.

Die Musikvermarktung über Mobil­telefone wird in den kommenden Jahren völlig neue Ausmaße erreichen, sagt Myk Willis, Gründer der amerikanischen Mo­bile-Content-Plattform myxertones.com, die pro Monat 15 Millionen Downloads von Klingeltönen, Handy-Bildschirmschonern, Musikstücken und kurzen Videos verzeichnet. Willis, der nach Großbritannien auch in den deutschsprachigen Raum expandieren möchte, bietet die Inhalte gratis an. Finanziert werden soll das über maßgeschneiderte Werbung, die von der Bestell-Website bis zur Empfangsbestätigungs-SMS überall eingebaut wird. „Unser Ziel ist, die Wertschöpfungskette im mobilen Entertainment so einfach und praktisch wie jene des Internets zu machen“, sagt Willis. „Derzeit gibt es im Mobilbereich zu viele Leute in der Kette.“

Nicht nur am Handysektor, auch im Merchandising und Konzertgeschäft mi­schen neue Player mit. Um sich von Branchenfremden nicht noch mehr Umsätze wegschnappen zu lassen, versuchen die Etablierten jetzt, sich als Rundum-Servicebetriebe neu zu erfinden. Universal, die größte zum Vivendi-Konzern gehörende Plattenfirma, kaufte im Juni 2007 den verschuldeten britischen Management- und Merchandisingkonzern Sanctuary, der etwa Elton John und James Blunt betreut. Warner beteiligte sich 2007 mit einem 110-Millionen-Dollar-Investment an der Künstlermanagementfirma Front Line, die auch im Merchandising und Ticketverkauf aktiv ist.

Die Idee ist, über möglichst viele Verwertungsmöglichkeiten eines Künstlers verfügen zu können. An die Stelle von reinen Plattenverträgen treten sogenannte „360-Grad-Deals“, bei denen der Musiker die Ausschöpfung aller Einnahmequellen – vom Verkauf der Tonträger und Konzerttickets bis hin zum Merchandising – für eine bestimmte Zeit an ein einziges Unternehmen überträgt. Der Deal mit dem Rekordvorschuss von 80 Millionen Pfund, den die britische EMI 2002 mit Robbie Williams abschloss, war für dieses Modell wegweisend.

Auch Madonna machte mit einem 120 Millionen US-Dollar schweren Rundumvertrag von sich reden. Die Pop-Queen ließ dabei die Plattenfirmen überhaupt links liegen und übertrug die Verwertung ihrer Rechte an den großen US-Veranstalter Live Nation. Der Konzern verwertet zehn Jahre lang alle Umsätze der Marke Madonna, von Downloads, Konzerttickets und T-Shirts bis zu Klingeltönen und CD-Verkäufen. Jeder Fan, der ein Ticket on­line ersteht, wandert in die Live-Nation-Datenbank und wird mit anderen Angeboten des Stars versorgt.

Oliver Kamien hat im Kleinen bereits einen Full-Service-Betrieb realisiert. In einem Geschäftslokal im siebenten Wiener Gemeindebezirk betreibt der gelernte Kaufmann sein erfolgreiches Musikunternehmen Couch Records. Dort dreht sich derzeit alles um das Album „Too“ von Madita, das mit seinem anmutigen, jazzigen Sound und der markanten Stimme der Sängerin das Zeug dazu hätte, im Pop-Mainstream zu reüssieren, auch wenn die große Plattenfirma im Hintergrund fehlt.

Immerhin: In den USA stieg Maditas Debütalbum bereits 2005 in den „Elec­tronic-Album“-Charts von iTunes bis auf Platz 3, etwa 13.000 heruntergeladene Al­ben wurden laut Kamien in den USA ab­gesetzt – für einen Act, der seine Be­kannt­heit primär durch Mund- oder „Tastaturpropaganda“ bezieht, kein schlechter Start. Das Download-Business machte bei Couch Records bisher 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus – noch läuft das Geschäft über physische Tonträger, die das Label über ein weitgespanntes Vertriebsnetz in den Handel bringt.

„Wir sind ein Familienbetrieb und brauchen untereinander eigentlich keine Verträge“, sagt Labelmanager Kamien. Ein dreiköpfiges Team erledigt in enger Zusammenarbeit mit rund 25 Partnern in Europa, den USA, Japan und Australien das Management sowie das Konzert-Booking und kümmert sich um die Zweit­verwertung der Musik für Werbespots und Filme. Teilweise waren solche Nach­nutzungen äußerst lukrativ – etwa 2003, als der britische Kaufhaus-Riese Marks & Spencer einen Track von dZihan & Kamien in einer Kampagne verwendete.

Mehrfachverwertung ist auch der Clou des Musik-Portals Last.fm, das vom Öster­reicher Martin Stiksel mitbegründet wurde und heute zu CBS gehört. Dieses Internet-Radio bietet großen Stars genauso wie Independent-Acts die Möglichkeit, Gehör zu finden. Die 20 Millionen Besucher, die sich jeden Monat auf Last.fm tummeln, generieren viel Verkehr, was sich in erklecklichen Werbeumsätzen bemerkbar macht. Außerdem haben die Hörer die Möglichkeit, mit einem Klick die Songs oder Tickets für das nächste Konzert zu kaufen – Last.fm schneidet jedesmal mit. „Wir sind eigentlich aus einer Plattenfirma und der Idee entstanden, wie man unbekannte Musik an die richtigen Hörer bringt“, sagt Stiksel, „und seit kurzem beteiligen wir die Künstler und Labels auch an unseren Werbeeinnahmen.“

Mögen die Werbeumsätze für Neomusiker nur ein karger Start sein – das Internet bietet Bands darüber hinaus viele Möglichkeiten, um ohne Zugangshürden im Geschäft mitzumischen. Die britische Band Radiohead wagte zuletzt, ihr Album „In Rainbows“ den Fans gegen eine freiwillige Spende zum Download bereit­zustellen. Die nordenglische Gruppe Arctic Monkeys, erst vor wenigen Tagen zum zweiten Mal mit zwei „Brit Awards“ ausgezeichnet, soll den Sprung auf die eu­ropäische Popbühne 2005 durch die Plattform MySpace geschafft haben, auf der jeder Eigenwerbung (und Musik) gratis verbreiten kann. MySpace war auch der Grundstein für die Selfmadekarriere des Briten Mika, dessen Song „Grace Kelly“ dort innerhalb von 24 Stunden 42.000-mal heruntergeladen wurde. Die Erfolge dürften das Management des Portals dazu veranlasst haben, selbst den Verkauf von Musik zu erwägen, wie Medien in den vergangenen Tagen berichteten. Die Popwelt tendiert dazu, jede Er­folgsgeschichte als Beginn eines neuen Zeitalters zu feiern. Tatsächlich sind es viele Geschäftsmodelle, die die Balance im Musikbusiness nachhaltig verschieben. Die Zukunft dürfte immer neue Allianzen zwischen großen und kleinen Labels, Technikkonzernen und Do-it-yourself-Unternehmern bringen. Für den Wiener Labelboss Kamien muss das kein Problem sein: „So­lange es gute, neue Musik gibt, bin ich optimistisch.“

Von Markus Huber, Arndt Müller