Asien für Fortgechrittene

Immer mehr österreichische Firmen suchen geschäft­lichen Erfolg in einem Umfeld zwischen Modernisierung, Korruption und Armut.

Albert Welledits ist müde. Langsam nippt er an einer Tasse lauwarmen Kaffees, schmiert Darbo-Marillenmarmelade auf ein Croissant und lässt sich Rührei mit Speck servieren. Wirklich hungrig wirkt der Wiener aber nicht. Die Tasse bleibt halb voll, das Croissant angeknabbert, Rührei und Speck so gut wie unberührt. „Ich esse von allem nur ein bisschen“, sagt Welledits, der ansons­ten nur selten über Appetitlosigkeit klagt. Diesmal jedoch ist es anders.
Der lange Flug von Wien über Bangkok nach Singapur inklusive Jetlag macht dem Unternehmer zu schaffen, noch in der Nacht danach kam er kaum zum Schlafen. „Ich bin bis in die frühen Morgenstunden durch Lokale gezogen. Schließlich musste ich sehen, ob es Sinn macht, hier aktiv zu werden“, erzählt er. Und, macht es Sinn? „Durchaus. Ich war überrascht, wie viel Bier die Singapurer trinken. Gut möglich, dass ich hier Business mache“, so der Besitzer des Wiener Gasthauses Salm Bräu. Welledits führt auch schon erste Gespräche mit lokalen Gastronomen, für die er hochmoderne Brauereianlagen bauen will. Auch in Vietnam und in Thailand rechnet er sich gute Chancen für neue Geschäftsbeziehungen aus.

Der 44-Jährige ist nicht der Einzige, den es an die dynamischen Wachstumsmärkte Südostasiens zieht. Gut ein halbes Dutzend österreichischer Firmenvertreter begleitete Wirtschaftsminister Martin Bartenstein vergangene Woche auf seiner siebentägigen Reise nach Singapur, Manila (Philippinen), Hanoi (Vietnam) und Bangkok (Thailand). Vornehmlich kleine und mittelständische Betriebe wie der Baustoffhersteller GK Construction oder das Umwelttechnikunternehmen M-U-T wa­ren an Bord. Sie alle haben bereits erste Auslandse­­­rfahrungen in Osteuropa ge­sammelt und hoffen nun, mithilfe österreichischer Handelsdelegierter auch in Südostasien so manch lukrativen Auftrag an Land zu ziehen. „Geht man in einen so großen Markt, ist es hilfreich, bereits im Ausland aktiv gewesen zu sein“, sagt Rudolf Thaler, Regional Manager der Wirtschaftskammer Österreich für Südost­asien. Was er meint: Asien ist ein Auslandsmarkt für Fortgeschrittene. Denn wer den Sprung in den rund 500 Millionen Menschen zählenden Raum schaffen will, muss ausgeschlafen sein: Korruption und Schattenwirtschaft sind überall unübersehbar präsent. Wer dort reüssieren will, muss zum Teil tief in die Tasche greifen. „Ohne Schmiergeld ka Auftrag“, bekennt ein auf den Philippinen tätiger Unter­nehmer unumwunden. Bartenstein stellt demgegenüber vor allem die guten Wirtschaftsbeziehungen in den Vordergrund: Im Vergleich zum österreichischen Handelsvolumen mit dem
1,2 Milliarden Einwohner zählenden In­dien (2007: eine Milliarde Euro) kann sich jenes mit den südostasiatischen Ländern sehen lassen; zuletzt waren es 2,5 Milliarden Euro – Tendenz: steigend.

Drei Prozent der insgesamt 30.000 heimischen Exportbetriebe liefern ihre Waren bereits nach Südostasien, der Gesamtwert der Ausfuhren erreichte 2007 rund 1,1 Milliarden Euro. Und die Exporte wuchsen in den letzten Jahren schneller als die Importe (s. Grafik S. 46). Österreich ist in der Region bereits mit 320 Vertriebs- und Produktionsniederlassungen vertreten. „Vor allem in den Bereichen Umwelt- und Energiewirtschaft sowie Infrastruktur haben wir viel zu bieten“, meint Bartenstein. Mit Stolz verweist er auf rot-weiß-rote Unternehmen wie Raiffeisen, Tyrolit (Swarovski), Rosenbauer, Plasser & Theurer, Vamed, Frequentis und VA Tech Hydro (Andritz), die schon seit vielen Jahren erfolgreich tätig sind.

Sauberkeit wird in Singapur groß geschrieben. Wer dort Kaugummi, Speise­reste oder Zigarettenstummel auf die Straße wirft, muss mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. Kaugummis gibt es für die Bewohner des autoritär geführten Stadtstaats erst gar nicht zu kaufen. Doch auch wenn der Alltag in der gigantischen Hafenstadt unentspannt und steril scheint: Singapur ist für eine wachsende Zahl internationaler Unternehmen ein heißes Pflaster. Das meint auch Ingeborg Bauer-Kunst von der RZB. Wie die für Export- und Investmentfinanzierung zuständige Managerin erzählt, ist die Bank bereits seit 1984 mit einer Repräsentanz in Singapur vertreten. Als Kreditgeber habe sich die Raiffeisen einen guten Namen gemacht. „Zu unseren Kunden zählen Fonds, Finanzinstitute und Versiche­rungen“, erzählt Bauer-Kunst, die es bereits zum zweiten Mal in die stark amerikanisierte, größtenteils von Chinesen bevölkerte Stadt zieht.

Gute Geschäfte machen die Giebelkreuz-Banker seit geraumer Zeit auch
auf den Philippinen, vor allem mit der Abwicklung von Währungs- und Zins­geschäften. Die am westlichen Pazifik gelegene Inselgruppe gilt als besonders lukrativer Standort für ausländische In­vestoren. 2007 betrug das dortige Wirtschaftswachstum stolze 7,3 Prozent – die Inflation ist gering; der Wohlstand steigt. Experten sehen einige Entwicklungen auf den Philippinen dennoch mit Sorge. Unter Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo blüht Vetternwirtschaft und Korruption, trotz Wahlfälschung ist die zierliche Staatschefin nach wie vor im Amt. Die als devot geltenden katholischen ­Filipinos dulden Arroyos vom Militär gestützte Regentschaft widerstandslos. Weite Teile der Bevölkerung leben in unvorstellbarer Armut. In der Hauptstadt Manila scheint der Mittelstand inexistent, verwahrloste Menschen und auf den Straßen spielende Kinder prägen das Stadtbild. In der rund 15 Millionen Menschen zählenden Metropole herrscht Chaos. An allem fehlt es – etwa an Straßen, Schulen, Kranken- und Wohnhäusern oder Ruheoasen. Doch eben darin wittern Unternehmer aus aller Welt ihre Chance, groß ins Geschäft zu kommen. So auch Waagner-Biró-Chef Helmut Wuzela. 418 Brücken mit einer Gesamtlänge von zwanzig Kilometern hat das heimische Unternehmen in den letzten neun Jahren auf die Philippinen geliefert. „Es gibt wohl keine Ecke in diesem Land, wo wir nicht sind“, meint Wuzela stolz. 82 Millionen Euro hat der letzte Großauftrag gebracht.

Lukrative Geschäfte im südostasiatischen Raum wickelt auch die zu Andritz gehörende VA Tech Hydro ab. Mehr als 20 Jahre in der Region, gehört die Firma heute zu den Marktführern bei der Errichtung und Instandhaltung von Wasserkraftwerken. „Zehn Prozent des Umsatzes erzielen wir schon in Südostasien, der Auftrags­eingang liegt bei bis zu 200 Millionen Euro jährlich“, freut sich Regionalleiter Josef Ullmer. Zurzeit rittert der in Jakarta lebende Niederösterreicher um Millionenaufträge in Vietnam. Ullmer zieht es nicht nur beruflich in das wirtschaftlich prosperierende Land – das Wachstum lag zuletzt bei 8,5 Prozent. Er sei fast ein wenig verliebt in Vietnam, sagt er lächelnd. Auch eine zunehmende Zahl an ­Reisenden ist von der Schönheit des an China grenzenden Landes überwältigt. Die Geografie von Vietnam wird als „Bambusstange mit zwei Reisschalen“ beschrieben: Im Norden und Süden liegen zwei fruchtbare Reis liefernde Fluss­deltas, dazwischen ein schmales, karges, von Wald und Gebirge geprägtes Gebiet. Vom touristischen Potenzial angezogen, hat der Österreicher Erwin Geissler schon vor vielen Jahren die Hotelkette Life Resorts mitgegründet. „Heute zählt die Gruppe vier Hotels in Vietnam“, erzählt dessen Sohn Christian, „drei sind in der Pipeline.“

Favorit Thailand. Doch auch wenn Vietnam als die Boom-Nation Südostasiens gilt, werden in keinem Land der Region so viele rot-weiß-rote Geschäfte abgewickelt wie in Thailand. „Mehr als 400 heimische Firmen sind dort aktiv“, erzählt Gustav Gressel, der Handels­delegierte. Ein Vorzeigebeispiel gibt vor allem die Swarovski-Tochter Tyrolit ab, die gebundene Schleifmittel fertigt.
Weitaus weniger schillernd muten demgegenüber die Geschäfte so mancher Österreicher mit der in Thailand omnipräsenten Prostitution an. „Die Armut dieser Frauen wird schamlos ausgenützt. Sie würden es gar nicht glauben, wie viele Österreicher ihren Freunden in der Heimat eine hübsche Thai-Frau vermitteln“, erzählt ein Unternehmer nüchtern.

Von Silvia Jelincic