Tech-Rallye vor dem Garaus - die neuen Börsenfavoriten
Seit Jahresbeginn haben Value-Aktien an den Börsen die Oberhand, Tech-Titel sind unter Druck. Wird sich die Sektorrotation fortsetzen oder gewinnen wachstumsstarke Titel bald wieder die Oberhand? Eine Analyse.
Inflation und Zinsen steigen in den USA und sind das Schreckgespenst von Techwerten. Binnen eines Jahres ist der Zins für 10-jährige US-Staatsanleihen um knapp ein Prozent auf 1,6 Prozent gestiegen und hat wachstumsstarke Titel, wie Techwerte, in die Knie gezwungen. Im Februar etwa stürzte die US-Techbörse Nasdaq um rund zehn Prozent ab. Was bedeutet die Entwicklung nun für die nächsten Wochen und Monate? Werden bei steigende Inflationsrate Wachstumstitel die Kurse von wachstumsstarken Werten weiter rückläufig sein? Dreht sich damit der Spieß an der Börse um? Value-Aktien, seit Jahren die Ladenhüter an der Börse, verzeichnen seit Jahresbeginn bereits zweistellige Kurszuwächse. Ist das nun die lange angekündigte Sektorrotation? Wie sollen sich Anleger nun in einem Szenario mit leicht steigender Inflation und höheren Zinsen, wie derzeit in den USA, verhalten?
Tech-Aktien schmieren ab
Wie sehr sich das Bild an den Börsen seit Jahresbeginn gedreht hat, zeigt ein Vergleich der Kursentwicklung unterschiedlicher Sektoren. Sowohl in den USA als auch in Europa haben Value-Titel wie Energiewerte, Banken oder Immobilien heuer kräftig angezogen, wohingegen Titel wachstumsstarker Branchen wie Amazon oder Netflix - also Werte, die von den Auswirkungen der Lockdowns profitiert haben - ordentlich Federn gelassen haben, wie ein Performancevergleich europäischen Branchen-Aktienindizes der Schoellerbank zeigt. Noch im Vorjahr ist die Nasdaq mit einem Wertzuwachs von fast 37 Prozent auf Eurobasis noch allen anderen davon gezogen, heuer war Schluss mit der Party. Bisher ist sich nur ein Kursanstieg von 2,6 Prozent ausgegangen.

Europäische Energiewerte haben seit Jahresbeginn um fast 15 Prozent zugelegt, im Vorjahr stürzten die Kurse von solchen Value-Indizes bis zu rund 30 Prozent ab.
Bereits bei einem geringeren Anstieg von Inflation und Zinsen werden teure Wachstumswerte überproportional negativ tangiert
Was für anhaltend schwache Techwerte spricht
Vor allem die steigenden Zinsen setzen den Techwerten zu. Höhere Zinsen führen dazu, dass zukünftigen Gewinnen heute ein niedrigerer Wert beigemessen wird als bei tiefen Zinsen. Bereits bei einem geringeren Anstieg von Inflation und Zinsen werden teure Wachstumswerte wie beispielsweise jene des US-Technologiesektors überproportional negativ tangiert. „Der Grund ist der höhere Verschuldungsgrad und die höhere Bewertung von Wachstumswerten“, erläutert Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement StarCapital. Da Titel wie FAANGM-Technologiewerte (Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google) in den USA 24 Prozent des S&P 500 ausmachen, rechnet der Investmentstratege mit einer relativen Underperformance des US-Marktes.

Steigen die Zinsen wie zuletzt, fallen Techaktien.
Anziehende Nachfrage nach Öl und Industriemetalle lassen Preisniveau steigen
Die Inflation dürfte ebenfalls weiter anziehen und damit Wachstumswerten zusetzen. Der stärkste Treiber für den Inflationsanstieg sind die Rohstoffpreise. Allein der Ölpreis hat sich von Niveaus unter null während der Corona-Panik im letzten April auf weit über 60 Dollar pro Fass erholt und treibt die Inflationsraten nach oben. Auch die Preise für Industriemetalle wie Kupfer, Aluminium, Nickel und Lithium haben sich nicht zuletzt wegen des Trends zur Elektromobilität massiv erhöht.
Preistreiber Wirtschaftsboom - und potentielle Gewinner
Die hohe Zahl an Covid-Impfungen, etwa in den USA, befeuern die Annahme der Experten, dass im zweiten Halbjahr ein gewaltiger Wirtschaftsboom einsetzen wird. „Ein Ausblick, der weitere Preisanstiege erwarten lässt“, so Schlumberger von StarCapital. Hohe chinesische Importe von Landwirtschaftsgütern verstärken zusätzlich den Trend rasant anziehender Agrarpreise.
Die Preise für Mais und Sojabohnen verteuerten sich bereits mit Raten zwischen 60 und 80 Prozent. Häuserpreise stiegen sowohl in Europa wie in den USA: Dort sind die Preise in zweistelliger Höhe. Die Autoindustrie jammert über Engpässe bei Chips, die die Preise in die Höhe treiben, die Kosten für Frachtraten für Container, die zwischen China und den USA ebenso wie Europa verkehren, stiegen bereits um ein Vielfaches. Auch die Suche nach sichereren Lieferketten treibt die Preise. Schlumberger: "Da die meisten Kapitalanleger in US-Technologiewerten übergewichtet sind, leiden sie infolge einer Rotation in eher zyklische, konjunktursensitive Value-Sektoren wie Grundstoffe und Energie." Zyklische europäische und asiatische Value-Titel mit zunehmendem Gewinnmomentum werden somit weiter outperformen, erwartet StarCapital. Da Sektoren wie Energie, Industrie und Banken am meisten von einer Wiederbelebung der Wirtschaft profitieren sollten, können Anleger sich hier für einen Gewinnsprung positionieren. Value-Aktien neigen zudem dazu, in einer Zeit höherer Kursschwankungen besser abschneiden als Titel wachstumsstarker Unternehmen.
Astronomische Bewertungen
Auch bei der Schoellerbank geht man davon, dass der jüngst durch steigende Zinsen und Inflation ausgelöste Trend zu Value-Aktien anhalten wird. „Viele Wachstumswerte haben teilweise astronomische Bewertungsniveaus erreicht, wodurch das Risiko eines Rückschlags höher geworden ist als bei günstiger bewerteten Aktien“, so die Begründung von Michael Penninger, Investmentstratege der Schoellerbank.

Value-Aktien sind, trotz der jüngsten Kursanstiege, noch deutlich günstiger als wachstumsstarke Titel, sogenannte Growth-Aktien.
Techwerte versprechen weiterhin gute Gewinne
Es gibt aber auch Argumente, die für eine Erholung der Techwerte sprechen. Bei den nächsten Quartalsergebnissen dürften Stay-at-Home-Aktien, wie es Techwerte vielfach sind, durch die anhaltenden Lockdowns weiter gute Gewinne erwirtschaften und die betreffenden Aktien könnten nach jüngsten Kursrückgängen wieder Aufwind bekommen. Dennoch gehen Experten wie jene von StarCapital davon aus, dass der Trend zugunsten von Value-Aktien anhalten wird. Zumal die US-Notenbank bereit zu sein scheint, höhere Zinsen zu akzeptieren, solange die Wirtschaft sich weiter erholt und nicht gegensteuern dürfte.