Die neue Ordnung an den Börsen

Die klassischen BEWERTUNGSMETHODEN für Aktien haben zunehmend ausgedient. Wie Anleger in einem massiv veränderten Börsenumfeld die BESTEN TITEL für die Zukunft finden können.

Die neue Ordnung an den Börsen

TESLA. Elon Musk hält sich nicht an Grenzen und Konventionen. Bei der Aktie ist das genauso. 7.840 Prozent Kurszuwachs in neun Jahren, 515 Prozent im letzten Jahr. Und in Zukunft wohl noch mehr.

Historisch schlechte Wirtschaftsdaten und gleichzeitig steigende Aktienkurse. Der Nasdaq-100-Index, der wachstumsstarke US-Titel zusammenfasst, steht schon wieder auf einem neuen Rekordniveau. Auch Dow und DAX nähern sich wieder ihren alten Werten an. Sind die Finanzmärkte vollkommen losgelöst von der Realität oder herrschen mittlerweile neue Regeln an den Börsen?

Skeptiker verweisen auf einen ihrer Ansicht nach mittlerweile "absurd" hoch bewerteten Aktienmarkt. Doch mehr und mehr Wissenschaftler und Analysten sehen das anders. Sie proklamieren, dass die Aktienbewertung und -auswahl künftig unter völlig neuen Gesichtspunkten erfolgen sollte. Monica Defend, Head of Research bei Europas größtem Vermögensverwalter Amundi: "Eine starre und statische Methodik bei der Analyse von Vermögenswerten wird dem dynamischen wirtschaftlichen Umfeld, das sich in Wellen entwickelt, nicht mehr gerecht."

An den Börsen wird die Zukunft gehandelt. Anleger und Investoren interessieren sich weniger für die Ergebnisse der Vergangenheit als für die wahrscheinlichen Entwicklungen der nächsten Monate und Jahre. Und die werden mit ziemlicher Sicherheit so aussehen: Die Corona-Pandemie wird irgendwann eingedämmt. Die Zinsen werden auf Jahre niedrig bleiben, um die Kosten für die volkswirtschaftliche Schadensbegrenzung finanzieren zu können. Und die Branchen Technologie und Gesundheitswesen sowie Investitionen zur Ökologisierung der Industrie werden die großen Treiber für das Wirtschaftswachstum sein.

Alte Werte

Für diese Entwicklung sind die gängigen Kennzahlen zur Bewertung, ob eine Aktie teuer ist oder nicht, kaum mehr geeignet. Eine der mittlerweile oft in Frage gestellten Kennziffern ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Bei diesem wird der aktuelle Aktienkurs eines Unternehmens ins Verhältnis zu den erwarteten Gewinnen gesetzt. Je niedriger das KGV, desto günstiger ist eine Aktie bewertet, lautet die Kernaussage.

Das KGV des deutschen Autobauers Daimler für 2020 liegt aufgrund der Verkaufseinbrüche während des Lockdowns bei 70. Für 2021 wird wieder ein Wert von zehn erwartet. Das KGV des US-Elektroautoherstellers Tesla lag 2019 bei unsagbaren 14.392, wird für 2020 bei 167 und für 2021 bei 98 erwartet. Obwohl das Daimler-Papier also viel, viel billiger ist, hat es in einem Jahr ein Minus von sieben Prozent eingefahren. Tesla ist in zwölf Monaten um 520 Prozent gestiegen. Aber selbst wenn man den Wert mit aller gebotenen Vorsicht betrachtet -Tesla ist eine Aktie, die die Zukunft repräsentiert.

Eine weitere gerne genutzte Kennziffer zur Bewertung von Aktien ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Dabei wird die Summe sämtlicher Vermögenswerte eines Unternehmens abzüglich der Schulden im Verhältnis zum Aktienkurs betrachtet. Ein KBV unter eins bedeutet, dass ein Unternehmen im Falle einer Auflösung mehr wert wäre, als Anleger an der Börse aktuell dafür bezahlen. Je niedriger also das KBV, desto besser.

Aktuell liegt das durchschnittliche KBV bei Technologieaktien bei gut vier - und damit höher als in jeder anderen Branche. Auch bei Werten der Gesundheitsbranche liegt es nur knapp darunter. Das ist nach Ansicht von Analysten jedoch nicht zu hoch, schließlich profitieren die Unternehmen aus beiden Sektoren von der wahrscheinlichen Entwicklung nach der Corona-Krise. Das KBV der Lufthansa-Aktie liegt bei erfreulich niedrigen 0,8. Die Aktie wird in Zukunft dennoch nicht so rasch wieder abheben.



Value Investing ist statisch und formalhaft geworden. Es gibt keinen Grund mehr, Warren Buffett und Charlie Munger anzubeten.
Aswath Damodaran
STERN BUSINESS SCHOOL, NEW YORK

Der Buchwert ist die Lieblingszahl aller sogenannter Value-Investoren. Warren Buffett und sein Kompagnon Charlie Munger haben lange Zeit damit ein riesiges Vermögen aufgebaut. Doch die Zeit dieser Investoren scheint vorbei. Berkshire Hathaway, Buffetts Unternehmen, hat in einem Jahr, in dem Tech-Titel durch die Decke gingen, vier Prozent verloren. Hätte der Guru nicht Apple in sein Portfolio geholt, wäre der Verlust noch viel schlimmer ausgefallen. Die Kritik an der Value-Strategie nicht nur der beiden Altstars wird stärker. Aswath Damodaran, selbst Experte und Professor an der Stern School of Business in New York, kommt zum Urteil: "Der Ansatz beschränkt sich auf die immer gleichen und überholten Messgrößen. Er ist statisch und formelhaft geworden. Es gibt keinen Grund mehr, Buffett und Munger kulthaft anzubeten."

Neuer Zugang

Eine Kennzahl zur Bewertung von Aktien, die den aktuellen Verhältnisse besser entspricht, ist die Aktienrisikoprämie. Sie ist eine Schätzgröße, die mit zu erwartenden Kursgewinnen arbeitet. Dabei wird die Bewertung von Aktien mit der von Anleihen verglichen. Vereinfacht gesagt ist die Aktienrisikoprämie der Unterschied zwischen dem erwarteten Kursplus einer Aktie oder von Aktienindizes und dem risikofreien Zinssatz, den Anleihen bieten.



Eine starre Methodik bei der Analyse von Vermögenswerten wird dem dynamischen Umfeld nicht mehr gerecht.
Monica Defend
AMUNIDI

Betrachtet man die KGV-Bewertungen der großen Indizes wie S&P 500, Stoxx Europe 600 oder DAX, liegen die Werte um 30 bis 40 Prozent über dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Die Aktienrisikoprämie befindet sich hingegen im historischen Vergleich ungefähr auf dem durchschnittlichen Niveau der vergangenen zehn Jahre. Das heißt: Im direkten Vergleich zu Anleihen sind diese Aktien-Indizes nicht überbewertet bzw. zu teuer.

Was bedeutet das für den Anleger? Er sollte weniger auf rückwärtsbezogene Kennzahlen wir KGV oder KBV achten, sondern die realistischen Wachstumschancen von Unternehmen im Auge haben. Und da gibt es gerade im Technologie- und Gesundheitssektor abseits der großen Titel wie Amazon, Alphabet, Apple, Pfizer oder Roche eine Reihe vielversprechender Unternehmen - die zwar ein hohes KGV aufweisen, aber auch ein hohes Wachstumspotenzial haben. Eine davon ist beispielsweise die Cloud-Security-Plattform Zscaler.

Das Unternehmen stellt sicher, dass ein Benutzer in einer Cloud-basierten Welt voller mobiler Zugänge von überall und auf jedem Gerät sicher auf jede Anwendung zuzugreifen kann. Zscaler sorgt dafür, dass von zu Hause arbeitenden Mitarbeiter geschützten Zugang zu Anwendungen im internen Rechenzentrum ihres Betriebs haben. Das Unternehmen wird von allen Analysten zum Kauf empfohlen - auch wenn das KGV bei 630 liegt.

Oder Nvidia. Der Hersteller von Grafikprozessoren und Chipsätzen für PCs und Spielkonsolen ist nicht nur weltweit eines der größten Unternehmen, sondern auch absoluter Technologieführer in seinem Bereich. Die Aktie ist zwar kein Geheimtipp mehr, hat aber trotz eines Kursanstiegs von 183 Prozent in zwölf Monaten für einen Techtitel noch immer ein erstaunlich moderates KGV von 41. Bei Shopify, dem kanadischen Softwarehersteller von E-Commerce-Programmen, kann man das mit einem KGV von rund 600 nicht behaupten. Dafür ist das Unternehmen weltweit mit dem Geschäftsmodell führend, kleinen Händlern eigene Programme für Onlineshops und Bezahlfunktionen anzubieten.

Wer nicht auf Einzeltitel setzen möchte, kann in den ETF SPDR US Technology Select investieren. Hier sind alle erfolgversprechenden Newcomer der amerikanischen Tech-Szene versammelt.

Gesunde Zukunft

Im Gesundheitssektor gibt es abseits der Titel, die vom Rennen um einen Covd-19-Impfstoff getrieben werden, noch zahlreiche Aktien, deren Bewertung zwar hoch ist, die aber wachstumsstarke Geschäftsmodelle verfolgen. Pharmawerte wie Quidel, Novavax, Livongo Health oder Teladoc weisen heuer seit Jahresbeginn sogar eine bessere Performance auf als die großkapitalisierten FAANG-Titel (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google).

Teladoc hat den Hausarzt der Zukunft entwickelt. Weltweit können hier Patienten via Video ihre Krankheiten von zu Hause aus durch einen Arzt, der ganz wo anders sitzt, diagnostizieren lassen. Ein Modell, das nicht nur in Corona-Zeiten boomt. Die Aktie lieferte in einem Jahr ein Plus von 190 Prozent. Quidel wiederum ist einer der führenden Hersteller von Diagnostika für die gesamte medizinische Bandbreite. Die Aktie ist aber natürlich ein Corona-Profiteur - das Kursplus von 430 Prozent in einem Jahr ist nach Analystenmeinung jedoch noch nicht ausgereizt. Ebenso der Kursanstieg von 200 Prozent bei dem in der Krebstherapie erfolgreich tätigen US-Biotech Unternehmen Immunomedics.

Natürlich bergen all diese Unternehmen als Einzelwerte auch ein Risiko. Im ETF iSahres Healthcare Innovation (von BlackRock) sind diese und noch mehr erfolgreiche, junge, aufstrebende Pharmaunternehmen gelistet.

Analysten, die an klassischer Aktienbewertung festhalten, oder Value-Investoren wie Warren Buffett würden um diese Werte wohl einen Bogen machen. Kennzahlen wie KGV oder KBV sollten auch weiterhin zu Rate gezogen werden. Doch es geht nicht mehr nur um die Frage, ob eine Aktie teuer oder fair bewertet ist, sondern vielmehr um ihre Kurschancen in der Zukunft. Amundi- Research-Leiterin Defend: "Die gesamtwirtschaftlichen Faktoren verändern sich gerade massiv. Deshalb muss sich auch die Art, wie Aktien bewertet werden, ändern."

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Kommentar
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