Ken Fisher: Vergessen Sie die hohen KGV

Gastkommentar. Die klassischen Bewertungsmethoden von Aktien sind in der derzeitigen Lage der Covid-19-Pandemie nahezu wertlos.

Ken Fisher, US-Investmentberater und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.

Ken Fisher, US-Investmentberater und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.

BEWERTUNG. "Zu teuer!", sagen die meisten Fachpessimisten über Aktien, speziell seit deren weltweitem Anstieg nach dem Tiefpunkt im März. Bei Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV), die mittlerweile höher sind als vor dem Abschwung, bemitleiden sie jeden Aktienkäufer -vor allem angesichts neuerlich steigender Covid-Fälle an vielen Hotspots und einer neuen Welle von Restriktionen.

Der Grund: Bewertungen sind an den Wendepunkten des Marktes nahezu wertlos und grundsätzlich miserable Timing-Instrumente. Wer sie jetzt befolgt, verpasst die Chance auf frühe große Gewinne beim Marktanstieg.

Im Dezember legte ich dar, dass verbreitete Kennzahlen zur Bewertung wie z. B. das KGV - also: der Aktienkurs, geteilt durch den Gewinn -wenig bis keine Aussagekraft über die Richtung des Aktienkurses haben. Trotzdem schreien die Fachleute auf, wenn die Bewertungen -so wie jetzt -hoch sind und weiter steigen. Seitdem das nachlaufende Zwölf-Monate-KGV mitten im Covid-Lockdown auf seinen niedrigsten Stand seit 2013 abgerutscht war, ist es mittlerweile wieder über das Vorkrisenniveau hinausgeschossen. Bären sehen keine Schnäppchen mehr. Globale KGV, die mit erwarteten Gewinnen rechnen, sind so hoch wie seit dem vom Tech-Sektor ausgelösten Abschwung nicht mehr. "Doppelt unsicher und irrational", sagen die Pessimisten, weil die geschätzten Gewinne bloß eine Annahme sind.

Im weltweiten Vergleich ist der ATX mit einem KGV von gerade einmal 9,6 günstig. Sollte man deswegen globale Aktien meiden? Nein! Die Kurse taumelten in diesem Jahr nicht, weil sie zu hoch bewertet waren, sondern wegen vielerorts staatlich verordneter Lockdowns zur Eindämmung von Covid-19. Bewertungen sagen nie die Richtung einer Aktie schlüssig vorher; und derzeit sind sie völlig nutzlos.


Aktien schielen auf das Ende einer Entwicklung.

Bewertungen, die nachlaufende Daten verwenden, schauen rückwärts. Aktien aber blicken nach vorn und schätzen ab, wo die Realität in drei bis 30 Monaten liegen wird. Bei wachsender Sorge in einem späten Abschwung schielen Aktien bereits auf das bevorstehende Ende dieser Entwicklung - wie zum Beispiel in diesem Winter. Sie sorgen sich einzig um die Dauer und Intensität der Depression. Sobald sie sich darüber klar sind, schauen sie in Richtung Ende des Drei-bis 30-Monate-Zeitraums.

Und so beginnt jeder Aufschwung - immer! Dies verzerrt allerdings die Bewertungen im frühen Stadium einer Markterholung, in dem Gewinne üblicherweise schwach ausfallen. Geht man davon aus, dass die Aktienmärkte nur die Gewinne aus 2020 und 2021 einbeziehen, dann wirken die Bewertungen verrückt. Begreift man jedoch, dass Aktien die langfristigen zukünftigen Gewinne einpreisen, sehen die Kurse vernünftiger aus.

UNSICHERHEIT. Überlegen Sie: Ende 2009 und Anfang 2010 erreichte das nachlaufende Zwölf-Monate-KGV einen Tiefpunkt wie seit der Dot.com-Krise nicht mehr -weil faule Profite Ende 2008/Anfang 2009 auf den Nenner des KGV drückten. Und dennoch begann damit der längste Aufschwung in der Geschichte, eine beispiellose Kaufchance. Einen Abschwung davor, im März-Tief 2003, lag das globale nachlaufende KGV bei aufgeblähten 21,7. Im darauf folgenden Aufschwung, als die Gewinne steil anstiegen, fiel das KGV im Juni 2017 auf 16,3 - trotzdem ein schlechter Kaufzeitpunkt!

Aktuell sorgen die Gewinne und Umsätze der vergangenen Monate für eine äußerst ungenaue Abschätzung der künftigen Aktienentwicklung. Schlimmer als befürchtet wird es aber nur, wenn steigende Covid-Fälle neuerliche lange, weltweite Lockdowns auslösen. Ein KGV, das Gewinnprognosen verwendet, ist daher nutzlos. Die Lockerung oder Verstärkung wirtschaftlicher Restriktionen sind eine rein politische Entscheidung - und daher nicht vorhersehbar oder realistisch abzuschätzen in Bezug auf Tempo oder Ausmaß einer Erholung. Daher schwanken die Gewinnschätzungen für 2020 und 2021, auf die sich die Forward-KGV stützen, gewaltig. Sie sind lediglich grobe Schätzungen für eine Zukunft, für die noch niemand ein Modell kalkuliert hat.

Der Weg wird wohl holprig bleiben, wie wir auch angesichts der jüngsten Covid-Cluster in St. Wolfgang oder auf dem Balkan sehen. Trotzdem werden sich die Volkswirtschaften irgendwann normalisieren. Dann werden auch Gewinne und Umsätze wieder steigen -was das KGV und andere Kennzahlen stabilisieren dürfte. Aktien bewegen sich allerdings immer vor der Wirtschaft; teilweise sogar deutlich vorweg. Bis das KGV fällt und Aktien damit auch für die ewigen "Zu teuer"-Pessimisten wieder attraktiver scheinen, werden die Kurse für sie -schmerzlich, aber selber schuld -deutlich höher liegen!


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Kommentar
Ken Fisher ist einer der erfolgreichsten Investmentberater der USA und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.
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