Könnten verborgene Risiken den ATX treffen?
Was meine Stimmung 2023 trübt, sind verborgene Risiken; auch wenn sich aktuell nichts abzeichnet. Aber das kann sich schnell ändern.
Ken Fisher, US-Investmentberater und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.
Was könnte Aktien erneut zum Abstürzen bringen? Diese Frage beschäftigt nach dem turbulenten Jahr 2022 viele – auch mich. Meine Sorgen sind jedoch nicht jene, die ohnedies von vielen beobachtet und damit schon eingepreist sind. Vielmehr sind es verborgene Risken, die meine Stimmung 2023 trüben.
Die meisten Pessimisten setzen auf verbreitete Ängste wie „systemische“ Risiken der Banken, EZB-Gerede, Rezessionssorgen, niedrige Erträge, Ukraine. Wenig Überraschendes wird von Aktien dabei schnell eingepreist. Den stärksten Einfluss auf Märkte haben plötzliche, große Überraschungen.
Ein mögliches Risiko? Eine unerklärbar gedämpfte Kreditnachfrage. Nicht infolge der Krisen um Credit Suisse oder US-amerikanische Regionalbanken. Das weltweite Kreditwachstum ist trotz der Sorgen stabil. In den USA stieg die Kreditvergabe in der Woche vor dem 8. März um 10,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und verdoppelte so die Vorjahresrate. In Österreich stieg sie langsamer – im Januar nur 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr – stärker jedoch als vor der Pandemie. Neue Kredite treiben das Wirtschaftswachstum an.
Die Krux dabei: Diese Daten sind nicht inflationsbereinigt. Wenn das globale Kreditwachstum unter die Kerninflationsrate sinkt – wie aktuell in Österreich und der Eurozone – und niedrig bleibt, kann daraus eine Kreditkrise und damit ein hohes Risiko für eine Rezession entstehen. Das geschieht, wenn die kostengünstige Kreditbasis (der früher hier beschriebene Einlagenüberschuss) erodiert, dieser Umstand dann den Wettbewerb um höher verzinste Einlagen befeuert und damit Rentabilität und Attraktivität der Kreditvergabe abnehmen.
Das trifft aktuell aber nicht zu. Die österreichischen Sparzinsen liegen sogar unter den mickrigen 0,37 Prozent in den USA. Einige Großbanken deuten jedoch Erhöhungen an. Auch die Übernachtkredite der US-Banken nehmen seit Monaten zu. Es begann noch bevor die jüngsten Regeländerungen diese Entwicklung antrieben und zeigt, dass die Einlagenbasis erodieren könnte. Befürchtungen eines Bankansturms könnten das Horten von Bargeld fördern. Seien Sie aufmerksam.
Stattdessen könnten die US-Notenbank und andere – wenn Zinserhöhungen die Wirtschaft nicht bremsen – wieder Reserveanforderungen einführen. Der politische Druck aufgrund jüngster Bankenpleiten lässt dies wahrscheinlicher erscheinen. Eine schlechte Umsetzung hätte jedoch Folgen. Die massive Rezession von 1937 in der westlichen Welt wurde dadurch angetrieben.
Sonstige regulatorische Risiken? Die Unruhe bei den Banken löst Gerüchte über Änderungen der US-Rechnungslegungsvorschriften aus, wie sie teilweise 2008 am weltweiten Crash beteiligt waren. Gut gemeinte Regeln führen oft zu ungewollten Ergebnissen. Achten Sie auch auf Kryptowährungen; zu unbedeutend und zu abgekoppelt von der Wirtschaft, um ein Volatilitätsrisiko darzustellen. Eilig verfasste Krypto-Regeln – in der EU bereits auf dem Tisch, in den USA nach dem Zusammenbruch von FTX und Signature sicher auch bald – könnten jedoch auch jenen Vermögen schaden, die nichts mit Krypto zu tun haben.
Auch die Geopolitik birgt heimliche Risiken. Nicht der hoch eingepreiste Ukrainekrieg, sondern die alten Feinde Indien und Pakistan. Pakistan beginnt gerade mit dem Import russischen Öls und verärgert damit Indien, weil der bisher für Indien günstige Ölpreis dadurch steigt. Auch China verfolgt dort regionale Interessen. Ein Konflikt könnte zwei große Volkswirtschaften und drei Nuklearmächte darin verwickeln. Jahrzehntelange Fehler in der Südasienpolitik geben dem Westen kaum Hebel, diese Spannungen abzukühlen. Bleiben Sie auch hier wachsam.
Was mich am meisten besorgt? All das, was weder Sie noch ich vorhersehen; echte „Tarnkappen“-Bedrohungen!
Steigern Sie sich jedoch in nichts hinein. Aktien steigen sehr viel öfter, als sie fallen. Betrachtet man wegen seiner langen, genauen Geschichte den amerikanischen S&P 500, stiegen seit 1925 in 75 % der gleitenden 12-Monatsperioden die Renditen. Selbst die engeren österreichischen Märkte stiegen in 60 % davon seit 1969. Während meine Haltung nonkonformistisch optimistisch ist, achten Sie darauf, ob sich unwahrscheinliche Schocks abzeichnen.