Ken Fisher: Börsen geht die Kraft nicht aus
Der Druck auf die Energiepreise wird nachlassen - mit und ohne quantitative Lockerung. Ken Fisher über die Kraft der Börsen.
Ken Fisher, US-Investmentberater und Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen.
TAPERING. Wirbel um das Zurückschrauben der quantitativen Lockerung (QE): Monatelang fürchteten die Fachleute, dass dieses "Tapering" in Europa und Amerika die globalen Aktienmärkte kippen lassen würde. Aber die Märkte reagierten kaum auf die rückläufigen Anleihenkäufe der EZB - selbst wenn die Federal Reserve dem bald folgen dürfte.
Stattdessen fordern die Fachleute, QE müsse gestoppt werden, um die massiv steigenden Energiepreise zu bändigen, bevor diese das globale Wachstum zum Erliegen bringen. Ganz falsch! Eine Reduktion des QEs wird die steigenden Rohstoffpreise nicht beruhigen. Der Preisdruck wird nachlassen, sobald die Versorgungsprobleme im Griff sind - und früher, als die meisten glauben.
Aus diesem Grund: Im Juli erläuterte ich, weshalb das Missverständnis eines früheren Taperings von Dornbirn bis Dallas falsche Ängsten weckte - und dazu führte, dass die Fed- und EZB-Vertreter frühzeitig Hinweise auf das Tapering-Timing gaben. Die Aktien preisten damit das Ende des QEs ein und blieben nach der Ankündigung von Christine Lagarde vom 9. September, die Lockerungen nicht zurückzufahren, gelassen. Die Aktien in der Eurozone rutschten in der darauffolgenden Woche um ganze 0,4 Prozent ab. Die Anleihen veränderten sich kaum. Die Zehnjahreszinsen in Österreich stiegen von minus 0,10 Prozent auf 0,04 Prozent. Was für ein Wirbel!
Die quantitative Lockerung stimuliert also niemals. Sie drückt auf die Zinsstrukturkurve, macht Kredite für Banken unwirtschaftlich und hält sie von der Kreditvergabe ab. Und trotzdem beschreiben die Fachleute das Tapering nun als deflationären Retter. Weniger "Stimulus" würde die glühende Inflation bezwingen, die angeblich die Aktien bedroht. Der Anstieg bei den Energiepreisen, der für einen Rückgang in der österreichischen Industrie sorgte, wurde jedoch nicht von QE angetrieben. Dieser hängt mit kurzfristigen Faktoren auf der Lieferseite zusammen.
Fragen Sie sich: Ging den Windrädern in Europa der Wind wegen QE aus? Begrenzte QE die Gasförderung, nachdem die Produzenten von der hohen Nachfrage nach den Lockdowns überrascht wurden? Oder verursachte QE die Drosselung russischer Pipelines, den Lkw-Fahrernotstand in UK, die Ausfälle in der Kohleversorgung Asiens? Entstand der Hurrikan Ida, der die Öl-und Gasförderung in den USA kurzzeitig behinderte, durch QE? Nein. Die quantitative Lockerung hat diese Stolpersteine nicht geschaffen. Ihre Aufhebung wird sie nicht beseitigen. Die gute Nachricht: Der Preisdruck wird nachlassen, mit und ohne QE. Der Wind wird wieder wehen.
GASPRODUKTION. Als Folge der höheren Preise werden auch die Gasförderer Produktion und Exporte wieder verstärken. Entsprechende Signale kommen bereits aus Russland und Norwegen. Auch in den USA steigt die Öl- und Gasproduktion nach Ida wieder. Kurzfristige Sorgen? Durchaus. Aber eine langfristige Krise wie in den 1970er-Jahren? Nein. Das Angebot wird steigen, um die auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrte Nachfrage zu befriedigen. Damit werden auch die Preise bald zurückgehen. In einigen Branchen wie z. B. bei Holz setzte dies bereits ein. Der S&P GSCI Non-Energy Index stieg bis zum Mai-Hoch um 22 Prozent. Seit die Produktion wieder hochfährt, rutschte er um sieben Prozent ab.
Trotz aller Sorgen um das Angebot: Hohe Energiepreise verursachen keine Inflation. Zwischen 2004 und 2008 stiegen die Strom-, Gas-und Treibstoffpreise in Österreich um durchschnittlich 6,2 Prozent im Jahr. Die Inflation allerdings belief sich im Schnitt auf 2,2 Prozent. Von 2010 bis 2021 lag der Anstieg bei 4,2 Prozent jährlich, der Verbraucherpreisindex hingegen bei 2,6 Prozent. Warum? Der Anteil der Energiekosten am Warenkorb ist mit 3,8 Prozent gering. Energieeffizienter werdende Volkswirtschaften sind in der Regel weniger anfällig für Energiekrisen.
Aber sorgen hohe Energiekosten nicht für Preisanstiege, wenn die Hersteller die Kosten an die Verbraucher weitergeben? Nur wenn diese die Preismacht haben und die Preisanstiege nachhaltig bestehen bleiben - und beides ist fraglich. Ja, die kurzfristigen Anstiege schmerzen, aber sie sind weder groß noch überraschend genug, um die Aktien aus der Spur zu bringen. Diese Furcht vor Tapering, das sich in ein Inflationsschreckgespenst verwandeln könnte, wirkt versteckt positiv. So ist es immer mit falschen Ängsten: Sie halten die Stimmung unten und bringen dafür Bereitschaft für positive Überraschungen.