IfW-Chef Felbermayr: "Die Politik muss die Wahrheit sagen"
Der designierte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr über seine Zins-Erwartungen, warum es erst jetzt für Sparer richtig unangenehm ist - und seine Idee eines Staatsfonds auf Basis der Bonität.
Gabriel Felbermayr leitet seit März 2019 das renommierte Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Ab Oktober 2021 wird der Ökonom den Vorsitz am Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo in Wien übernehmen.
trend:
Sie rechnen kurzfristig mit einer erhöhten Inflation von rund drei Prozent, gehen aber davon aus, dass sich das mittelfristig wieder einpendeln wird. Was macht Sie so optimistisch?
Gabriel Felbermayr:
Das hat mit der Natur der Krise zu tun. Es war eine Unterbrechung der normalen wirtschaftlichen Aktivitäten, aber fundamental hat sich nichts dramatisch verändert. Davor war die Erwartungshaltung der Marktteilnehmer auf niedrige Inflation ausgerichtet. Jetzt gibt es Nachholeffekte, die durchaus zur Überhitzung führen können -aber ich schätze das als ein kurzfristiges Phänomen ein. Ich gehe davon aus, dass sich die langfristige Erwartungshaltung nicht grundsätzlich verändert. Viel wird aber vom Erwartungsmanagement der Notenbanken abhängen.
Mit welchen Zinsschritten rechnen Sie?
Felbermayr:
Ich rechne in jedem Fall mit einer Normalisierung -weg von den historisch niedrigen Zinsniveaus. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zuerst in den USA passieren, wo bereits sehr deutliches Erwartungsmanagement zu beobachten ist. In Europa wird es nicht so schnell und dramatisch passieren. Die Biden-Administration heizt fiskalpolitisch sehr viel mehr an. Aber ich rechne nicht damit, dass wir in absehbarer Zukunft Zinsniveaus wie Mitte der Neunzigerjahre sehen können.
In der Coronakrise sind die Spareinlagen der privaten Haushalte noch einmal gestiegen. Der Realverlust beträgt allein in Österreich seit Beginn der Finanzkrise 35 Milliarden Euro. Wen trifft's?
Felbermayr :
Den Mittelstand. Sie müssen ja Nettosparer sein, damit Sie überhaupt betroffen sein können. Das sind die allerärmsten Haushalte nicht. Und es muss ein Übergewicht in festverzinsliche Spareinlagen oder Anleihen geben. Und erst jetzt, wo die Inflation merklich anzieht, kommt dieser historisch negative Realzinseffekt wirklich zum Tragen. Für die Sparer ist es erst jetzt so richtig unangenehm.
Was kann die Politik gegen diesen Vermögensverlust tun?
Felbermayr:
Sie muss die Wahrheit sagen: Es wird bei Sparbüchern oder Anleihen keine schnelle Rückkehr zu Zinsniveaus geben, wie sie die Menschen von früher gewöhnt sind. Es gibt jetzt ein ganz anderes weltwirtschaftliches Umfeld. Länder wie China werden älter, die Sparneigung ist dort deutlich angestiegen. Wir haben mehr Angebot an Kapital und weniger Nachfrage. Das ist also Punkt eins: klare Kommunikation. Der zweite Punkt ist, mehr Menschen an den Aktienmärkten teilhaben zu lassen, etwa durch Anreize und Förderungen. Und schließlich könnte der Staat selbst die Kapitalmärkte besser für die Pensionsvorsorge der Österreicherinnen und Österreicher nutzen.
Was meinen Sie damit?
Felbermayr:
Norwegen hat Öl. Österreich hat auch einen wertvollen Rohstoff: seine ausgezeichnete Bonität. Dieses Asset könnte der Staat nutzbar machen, indem er - derzeit zu Negativzinsen - Geld aufnimmt und investiert, genauso wie die Norweger die Erträge aus dem Öl in einen Staatsfonds einspeisen, der investiert.
In Coronakrise-geschüttelte Unternehmen?
Felbermayr :
Nein, in aus-und inländische Unternehmen, die Rendite abwerfen. Der Staat schafft also Zweckgesellschaften mit dem Hauptziel der Alterssicherung. Diese Vehikel sind Akteure an den Finanzmärkten. Das würde nicht nur dem europäischen Kapitalmarkt helfen, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern. Nicht jeder kann ja selber investieren, auf diese Weise könnte man gewissermaßen mitnaschen.
Gibt es schon solche Staatsfonds, die mit ihrer Bonität hausieren gehen?
Felbermayr:
In der Form, wie mir das vorschwebt, nicht. China macht das ein Stück weit, allerdings auf Basis von Zwangssparen. Diese Staatsfonds-Idee vertritt übrigens auch ifo-Chef Clemens Fuest in Deutschland. Ganz esoterisch ist das also nicht. Liberale Ökonomen haben ein bisschen Angst davor, weil sie fürchten, dass der Staat groß als Investor einsteigt. Und man muss natürlich schauen, wie sich das in der Praxis institutionell gestaltet: Wir wollen ja nicht, dass sich Verwandte oder Freunde irgendeines Finanzministers als Investmentmanager betätigen und die Bonität des Staates vor allem für sich selbst nutzen.
Die Finanzminister waren Profiteure der Niedrigzinspolitik. Haben sie den Spielraum genutzt, um die Budgets krisenfester zu machen?
Felbermayr:
Erst in den letzten Jahren, als die Spielräume nicht mehr für konsumtive Mehrausgaben, sondern vermehrt für Investitionen genutzt wurden. In Deutschland war das 2018. Es gibt aber noch immer sehr erhebliche strukturelle Defizite in den Budgets.
Die Milliarden aus den EU-Hilfsfonds werden erst in den nächsten Monaten wirksam. Kann man das in die Länge strecken, damit es nicht allzu prozyklisch wirkt?
Felbermayr:
Leider ist es so: Die EU-Gelder werden fließen, wenn der Wiederaufschwung in vollem Gange ist. Aber strecken kann man das nicht, das wäre viel zu kompliziert. Es zeigt sich wieder, dass Ad-hoc- Pakete, die in der Krise geschnürt werden, fast zwangsläufig zu spät kommen. Sie stabilisieren nicht automatisch. Was wir eigentlich brauchen, ist ein größeres europäisches Budget, das in einer Krise auf der Ausgabenseite konstant bleiben kann und Defizite zulässt, die nach der Krise wieder ausgeglichen werden. Das wäre Deficit Spending im klassischen Sinn von Keynes. Wenn wir das hätten, bräuchten wir diese Extraprogramme nicht.
Das heißt, wir laufen sehenden Auges in eine Situation, in der sich die Konjunktur immer mehr erhitzt, die Preise steigen - und die Inflationsängste ebenso?
Felbermayr:
Auch in der Vergangenheit wurden in Konjunkturprogrammen große Vorhaben angekündigt, deren Umsetzung dann nicht geschafft wurde. Die Bauwirtschaft ist derzeit extrem gut ausgelastet, vieles wird gar nicht funktionieren. Viele der Kredite aus dem 750-Milliarden-Euro-Paket der EU werden vermutlich gar nicht abgeholt. Warum soll sich Österreich über Brüssel einen Kredit holen, wenn es ihn ohne Auflagen selber besorgen kann? Am Ende werden die fiskalpolitischen Programme der EU also kleiner sein, als sie auf dem Papier aussehen.
Und die Notenbanken sollten ihre in der Krise aufgelegten Anleihekaufprogramme zurückfahren?
Felbermayr:
Ja, und zwar möglichst schnell. Sobald die EZB ihr Programm zurückfährt, werden auch die Zinsspreads größer werden. Wir haben aktuell ja nur kleine Unterschiede zwischen Staaten wie Italien und Deutschland. Italien zahlt derzeit nominal niedrigere Zinsen als die USA, da kann man zumindest fragen, ob das allein an der Bonität liegt. Mit einem Zurückfahren würde sich das normalisieren. Wir haben keinen Emergency mehr.
Sie wurden zuletzt von einem deutschen Medium als Finanzminister-Kandidat in Österreich genannt. Hat mit Ihnen jemand aus der Politik darüber gesprochen?
Felbermayr:
Nein. Ich bin nicht gefragt worden, und ich strebe das auch nicht an. Ich freue mich auf meine Aufgabe als Wifo-Chef. Das wird meine Aufgabe in den nächsten Jahren sein.
Zur Person
Gabriel Felbermayr, 44, leitet seit März 2019 das renommierte Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Davor war der Außenhandelsspezialist für das Münchner ifo-Institut tätig. Im Oktober tritt der Oberösterreicher, der in Linz Volkswirtschaft studierte, die Nachfolge von Christoph Badelt als Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo in Wien an.