Corona-Virus: So hart trifft es westliche Firmen
Ein Vergleich mit den ökonomischen Auswirkungen des SARS-Virus 2003, wie Börsianer die Lage einschätzen und welche Einbußen auf die deutschen Autobauer zukommen dürften.
Alleine der deutsche Autoindustrie verliert bei einem Produktionsstillstand in China pro Tag 600 Millionen Euro.
Der Corona-Virus greift um sich. Nicht nur bei den Menschen, sondern auch in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten. Das wirtschaftliche Leben wird in den besonders betroffenen Gebieten auf ein Minimum reduziert und die Börsen in China brechen ein. Bei über 2.600 Aktien sind die Kurse laut der Nachrichtenagentur Bloomberg gefallen. Das Minus an den Börsen beträgt in knapp zwei Tagen neun Prozent (siehe Artikel: "Coronavirus lässt Chinas Börsen crashen").
Heftig erwischt hat es auch die Rohstoffmärkte: Die Notierungen von Öl, Kupfer und Eisenerz sind im Sinkflug. Ein Barrel Öl [ISIN XC0009677409] kostet um fast 20 Prozent weniger als vor einem Monat, Kupfer verbilligte sich seither um fast zehn Prozent. Diese Werte gelten als Indikator für die Wachstumserwartung. Eine Entwarnung geben Analysten noch nicht. "Für die gesamte Weltwirtschaft besteht eine Infektionsgefahr", warnt Fabrice Jacob, Chef von JK Capital Management.
Doch wie sehr kann eine Pandemie die Wirtschaft und die Börsen rund um den Globus treffen? Raiffeisen Research hat dazu einige Parallelen zum Ausbruch des SARS-Virus im Jahr 2003 gezogen und die am meisten betroffenen Branchen unter die Lupe genommen.

Ein Virus und seine Folgen an der Börse: Die Preise für Öl und Kupfer, wichtige Indikatoren für die künftige Entwicklung der Wirtschaft, brechen ein. Seit die WHO eine Warnung ausgegeben hat, gaben die Kurse besonders stark nach.
Kräftiger Dämpfer für die Wirtschaft
Tourismus, Transport und Einzelhandel waren damals und sind heute am stärksten betroffen. Nur dürfte der Konjunktureinbruch in China im Vergleich zum Ausbruch von SARS diesmal deutlich stärker ausfallen, schätzt Valentin Hofstätter von Raiffeisen Research. Nicht zuletzt weil die Ausbreitung wesentlich schneller verläuft und die Regierung, anders als damals, mit drastischeren Quarantäne-Maßnahmen reagiert und damit größere Teile der Wirtschaft stilllegt als damals.
Sowohl der Kupfer- als auch der Ölpreis notieren mittlerweile deutlich tiefer. Rückgänge in diesen Ausmaß waren auch bei SARS zu beobachten. Die Anzahl neu auftretender Coronavirus-Infektionen korreliert sowohl mit der Preisentwicklung von Rohöl als auch Kupfer. Beide stehen seit Ausbruch der Krankheit – so wie andere konjunktursensitive Märkte stark unter Druck.Seit die WHO eine globale Warnung herausgegeben hat, hat sich die Talfahrt an den Märkten fortgesetzt.
China viel relevanter für Weltwirtschaft als 2003
Der wirtschaftliche Einbruch ist umso bedeutender, als China inzwischen für die globale Wirtschaft weit relevanter ist als während der Erkrankungen infolge von SARS. Damals gab es zwar ebenso wie heute einen scharfen Einbruch dieser großen Ökonomie, der war jedoch von einer starken Erholung geprägt. So hat sich die chinesische Wirtschaftsleistung seither verachtfacht. Der Anteil der Dienstleistungen von seither 40 auf 50 Prozentpunkte gestiegen.
Vor siebzehn Jahren reisten die Chinesen kaum innerhalb Chinas, geschweige denn ins Ausland. Es gab dort keine sozialen Medien und kaum Internetanschlüsse, Informationen verbreiteten sich nicht schnell. Heute ist das Gegenteil der Fall. Damals weigerte sich die chinesische Regierung, sich der Realität zu stellen und versuchte, die Situation so lange zu verheimlichen, bis es nicht mehr ging. Heute will sie der Welt zeigen, dass sie proaktiv ist, indem sie sich nachdrücklich mit der Situation befasst.
Die Entscheidung, 56 Millionen Menschen abzuschotten und praktisch jeden daran zu hindern, die Provinz Hubei zu betreten oder zu verlassen, ist beeindruckend und erklärt, warum so wenige Menschen außerhalb dieser Provinz gestorben sind. Hinzu kommt: China kämpft ohnehin mit einer Verlangsamung des Wachstums. 2019 sind die Gewinne chinesischer Firmen um 3,3 Prozent gefallen.
Deutlicher Rückgang bei Konsum und Produktion
Das BIP-Wachstum wird nach Schätzungen von JK Capital nicht nur durch einen starken Konsumrückgang, sondern auch durch einen deutlichen Produktionseinbruch beeinträchtigt. Und das ist neu. Sollte die Feiertagsverlängerung erweitert werden, wäre wahrscheinlich ein Dominoeffekt in allen Ländern zu erwarten, die stark auf Importe aus China angewiesen sind. Daher rechnen man bei JK Capital damit, dass der Rückgang des BIP-Wachstums im ersten Quartal 2020 sehr deutlich ausfallen wird.
Die aktuellen Auswirkungen der Pandemie sind bereits jetzt gravierend. Automobilhersteller und –zulieferer gehen für das erste Quartal von einem Produktionsrückgang in China von 15 Prozent aus. Für das Gesamtjahr würde das ein Minus von drei Prozent bedeuten.
Virus trifft deutsche Autohersteller
Eine Entwicklung, die auch die deutsche Autoindustrie trifft. Die deutschen Hersteller und ihre Zulieferer erwirtschafteten im Jahr 2018 in China 150 Milliarden Euro. Das sind 35 Prozent des weltweiten Autoumsatzes. In China haben die deutschen Autobauer 4,8 Millionen Pkws gefertigt. Pro Tag erzielte die deutsche Autoindustrie damit einen Umsatz von 600 Millionen Euro. Die Gewinnmarge liegt in China bei rund zehn Prozent. Statt eines Gewinns von 60 Millionen Euro am Tag fällt bei einem Stillstand laut Berechnungen des CAR Instituts der Uni Duisburg täglich ein Verlust von 72 Millionen Euro an.
Schon ein Monat Quarantäne in nur 20 Prozent des Landes würde für die deutschen Autobauer einen Umsatzrückgang von 2,5 Milliarden Euro bedeuten. Raiffeisen Research rechnet zwar damit, dass der Rückgang im Laufe des Jahres wieder aufgeholt wird. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass viele Autohersteller ihre Produktion in Wuhan haben - jener Metropole, in der das Virus seinen Ursprung hatte und wo es besonders viele Infizierte gibt.

Deutsche und westliche asiatische Hersteller trifft der Umsatzentgang als Folge der Lungenkrankheit erheblich.
Aber auch Autohersteller außerhalb Chinas sind betroffen. Hyundai macht fast die Hälfte seines Umsatzes in China, bei Toyota [ISIN US8923313071] sind es über 40 Prozent, bei BMW [ISIN DE0005190003] liegt der Anteil bei rund 30 Prozent und bei der Marke Volkswagen werden fast 20 Prozent des Umsatzes in China erzielt. Der gesamte VW-Konzern [ISIN DE0007664039] generiert laut CAR Institut 40 Prozent seines Umsatzes im Land der Mitte.
Airlines: Asien als wichtiger Umsatzbringer
Hart trifft es auch viele Fluggesellschaften. Viele Airlines haben ihre Flüge nach China wegen der Infektionsrisiken vorübergehend eingestellt. Mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf den Umsatz. Die Lufthansa [ISIN DE0008232125], samt ihren Tochtergesellschaften, macht rund zwölf Prozent ihres Umsatzes mit Flügen nach Asien, ebenso United Airlines [ISIN US9100471096 ]. Bei Air-France-KLM [ISIN FR0000031122] sind es an die acht Prozent. „Der chinesische Markt ist für die Fluggesellschaften deutlich wichtiger als zur Zeit des SARS-Virus“, so Raiffeisen-Analyst Hofstätter. Die Umsatzeinbußen der Airlines werden jedoch durch eine andere Entwicklung abgemildert. Denn der Ölpreis ist wie der Mensch anfällig gegen Viren. Auch Konflikt, wie jener mit dem Iran Anfang Jänner haben sich negativ auf den Ölpreis ausgewirkt.
„Wenn es in zwei oder zweieinhalb Monaten abklingt, ist das nicht schlimm. Wenn es zwei Jahre dauert, ist das eine andere Geschichte“, Bernhard Arnault, Chef von LVMH, über den Virus
Luxusindustrie: 30 Milliarden-Dollar-Markt im Sog des Virus
Das chinesische Festland war in der jüngeren Vergangenheit ein Wachstumsmotor für die Luxusindustrie. Auch 2019 war keine Ausnahme, der Markt wuchs bei konstanten Wechselkursen um 26 Prozent auf 30 Milliarden Dollar. Der weltweite E-Commerce-Umsatz von Luxusgütern stieg 2019 um mehr als 30 Prozent, verglichen mit sieben Prozent Wachstum für den gesamten Luxusgütermarkt. Den meisten Absatz in Asien macht Uhrenhersteller Swatch Gruppe [ISIN CH0012255151] mit seinen Luxusmarken wie Omega, Longines, Blancpain, Breguet, Glashütte oder Rado. Stark vertreten ist auch Hermes, Prada oder LVMH [ISIN FR0000121014] In Asien. Ihr Umsatzanteil beträgt jeweils mehr als 40 Prozent.
Aber auch diesmal könnte die Wende am Aktienmarkt ebenso rasch kommen, wie damals. Nämlich sobald die Aktienmärkte ein Licht am Ende des Tunnels wittern. „Dann ist eine scharfe Markterholung sehr wahrscheinlich –lange bevor sich die tatsächlichen Wirtschaftsdaten wieder verbessert“, so Hofstätter. Wirtschaftsdaten, und damit das Ausmaß der Auswirkungen, werden jedoch in China erst mehrere Monate später veröffentlicht.
´"Spätestens wenn der Höhepunkt der Neuinfektionen überschritten ist, wird eine schnelle Erholung an den Märkten erwartet“, glaubt Hofstätter. Chinesische Behörden erwarten das aktuell in 10 bis 14 Tagen, konservativer sollte man vielleicht laut Raiffeisen eher von Mitte März ausgehen. Andere sind pessimistischer. „Selbst Mediziner haben keine klare Vorstellung, wann der Ausbruch beendet ist“, so Li Shuwei, Chef von Beihing VanDeFu Investment Management. Doch sobald der Höhepunkt der Ansteckungen überschritten Verluste werden wieder aufgeholt sein. Hofstätter: "Auch wenn die Wirtschaftsdaten dann auch noch Schwäche zeigen werden, dürfte das an den Finanzmärkten niemanden mehr beeindrucken."
Geldspritze für die Wirtschaft und die Börsen
Die Märkte könnten aus einem weiteren Grund auch längerfristig positiv reagieren. Ursprünglich gingen Ökonomen für das Jahr 2020 davon aus, dass China seine Wirtschaft in diesem Jahr nicht ankurbeln würde, weil kein Anlass dafür absehbar war, solange das Wachstum auf einen moderaten Rückgang folgte.
Heute sieht die Situation anders aus: Chinas Notenbank wird darangehen, einen Aufschwung in Gang zu setzen und die chinesische Wirtschaft durch eine Kombination aus Geldpolitik und Zuschüssen für private Haushalte zu fördern – zugunsten derer, die derzeit die Hauptlast des wirtschaftlichen Rückschlags tragen. Dies ist ein Szenario, das im Ständigen Ausschuss des Politbüros laut JK Capital leicht Anhänger finden könnte, selbst wenn es zu einer kurzfristigen Erhöhung des Verschuldungsgrads und einer plötzlichen Verschlechterung des chinesischen Haushaltsdefizits führt. Ein Szenario, das sich positiv auf die Märkte auswirken würde. Dies umso stärker, sollte sich die Weltwirtschaft in einem Abschwung befinden und China zusätzlichen Gegenwind von der US-Regierung bekommen.