China in Not: Wie gefährlich ist Evergrande für die Wirtschaft?
Rating-Agenturen warnen vor Zahlungsausfällen von Evergrande, dem größte Immobilienentwickler Chinas. Doch wie wahrscheinlich ist eine Pleite und wie gefährlich wäre ein Zusammenbruch des Konglomerates für die wirtschaftliche Stabilität Chinas und der Welt?
In China wankt Evergrande, der größte Immobilienkonzern des Landes. Ratingagenturen haben Teile des Unternehmens, das mit einem Schuldenberg von 300 Milliarden Dollar kämpft, durch extrem schlechte Bonitätsnoten in Bedrängnis gebracht. Die Liquidität des Unternehmens und die Refinanzierungsmöglichkeiten haben sich zuletzt dramatisch verschlechtert, so die Begründung für die Herabstufung. Baustellen wurden eingestellt, chinesische Banken bereiten sich auf erhebliche Kreditausfälle vor. Der Aktienkurs von Evergrande (ISIN: KYG2119W1069) ist binnen drei Monaten um 70 Prozent gefallen.
So groß ist Evergrande
Doch wie groß ist Evergrande überhaupt? Das Unternehmen hat 1.300 Immobilienprojekte in 280 Städten Chinas. Insgesamt managt das Unternehmen 2.800 Immobilien mit etwa 680 Millionen Quadratmetern in 310 Städten Chinas verwaltet. Das Konglomerat ist auch im Bereich Versicherung, Medien, Entertainment tätig und hat über 200.000 Mitarbeiter. Die Marktkapitalisierung beläuft sich aktuell auf umgerechnet 3,8 Milliarden Euro. Am Anleihenmarkt stehen die Evergrande-Bonds für vier Prozent des chinesischen Immobilien-Hochzinsanleihen-Markts.
Doch wie wahrscheinlich eine Pleite ist und wie systemrelevant ist der größte Immobilienentwickler des Landes? Denn viele fragen sich derzeit, ob der Konkurs eines solch großen Unternehmens das Potential hat, wie 2009 die Lehman-Pleite, die Wirtschaft nicht nur eines Landes, sondern der Welt aus den Angeln zu heben.
Wie systemrelevant ist Evergrande?
Evergrande macht nur Bruchteil des Wohnungsmarktes aus
Evergrande ist schließlich nicht nur der größte Immobilienentwickler des Landes, sondern auch über alle Schwellenländern gesehen und zudem einer der am höchsten verschuldeten Unternehmen weltweit. Die Analysten des US-Investmentkonzerns AllianceBernstein (AB) halten das Unternehmen dennoch nicht für systemrelevant. Die chinesische Notenbank hat bereits 2018 darauf hingewiesen, dass große Immobilienkonzerne, darunter auch Evergrande, ein systemische Gefahr für das chinesische Finanzsystem darstellen könnten. Das Netz an Kreditgebern ist intransparent, es reicht von Banken, Anleiheninvestoren, Lieferanten, Private, die Anzahlungen für neue Immobilien leisten für 1,5 Millionen Wohnungen, weshalb auch das Risiko einer Destabilisierung von Banken und zu guter Letzt der Wirtschaft möglich ist.
„Trotz seines großen Bilanzumfangs beträgt sein Anteil am chinesischen Wohnungsmarkt nur vier Prozent’“, so Hua Cheng und Ian Chen von AllianceBernstein in ihrem Blog zu China. Der strategische Wert, was die politischen Ziele der Regierung betrifft, wird von den Experten als nicht extrem gefährlich eingestuft. Die Auswirkungen einer Pleite auf die soziale und finanzielle Stabilität des Landes sei ebenfalls nicht so groß sein, dass das politische und wirtschaftliche System Chinas in Gefahr sei.
Welche Branche ist in China systemrelevant?
Die Situation würde sich jedoch anders darstellen, wenn bestimmte chinesischen Banken zahlungsunfähig würden. Auf die drei größten Banken entfallen 70 Prozent der Bilanzsumme des chinesischen Bankensystems. „Allein aufgrund ihrer Größe sind sie systemrelevant, aber auch weil diese sich im staatlichen Eigentum befinden, die Verflechtung mit dem Finanzsystem durch Kreditaufnahmen hoch sind und die Banken für die soziale Stabilität und ihr Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten essenziell sind“, so AB-Analyst Chen.
Ganze Immosektor kämpft mit hohen Schulden
Doch während die Experten weder Evergrande noch seine Konkurrenten für systemrelevant halten, hat der chinesische Immobiliensektor als Ganzes betrachtet große Bedeutung für die Stabilität des Landes. Immobilienentwickler und damit verbundene Teilsektoren weisen eine Gesamtverschuldung von 101 Billionen Renminbi, das sind 35 Prozent des chinesischen Finanzsystems auf, was 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes entspricht. China versucht deshalb, Spekulationen auf Immobilien zu beschränken. So müssen Investoren in eine Immobilie in den begehrten Städten auch gemeldet sein. Jede Familie hat nur das Recht, eine Wohnung zu kaufen. Die renommierte China Index Academy, das landesweit größte Researchinstitut für Immobilien, erwartet denn auch trotz hoher Summen ausstehender Kredite bis 2030 nur einen Rückgang der Immobilienpreise von vier Prozent.
Wie könnte die chinesische Führung bei einer drohenden Pleite reagieren?
Während also einzelne Bauträger in Verzug geraten oder scheitern könnten, werden die chinesischen Behörden höchstwahrscheinlich Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen auf den Sektor zu begrenzen. „Wir erwarten, dass die Regierung eingreifen wird, wenn sich die Bedingungen in der Branche von leichtem Stress, was einer Ausfallrate von vier Prozent entspricht, auf mittlerem Stress erhöhen und damit die Ausfallsrate auf zehn Prozent. Seit der Durchführung der Stresstest-Analyse von AllianceBernstein ist die Ausfallquote für chinesische Immobilienentwickler auf den Märkten bisher nicht über vier Prozent gestiegen. „Hier könnten sich für risikofreudige Anleger Chancen ergebe“, glauben die Analysten.
Wie wahrscheinlich ist eine Pleite?
Wie könnte es mit Evergrande weitergehen?
Die Frage in Bezug auf Evergrande wird deshalb auch sein, in wie weit die kommunistische Regierung intervenieren wird, um einen ungeordneten Kollpas zu vermeiden und in wie weit die Regierung zulassen wird, dass Kreditgeber tatsächlich Geld verlieren. An der Wall Street gehen Experten derzeit davon aus, dass Inhaber von Evergrande-Anleihen 75 Prozent des Wertes ihrer Papiere verzichten müssen, Banken werden auf Zinszahlungen verzichten müssen. Evergrande hat gegenüber 128 Banken Verbindlichkeiten. Das Kreditrisiko liegt bei chinesischen Banken. Ein Dominoeffekt wäre, auch wenn es nicht systemrelvant werden würde, dennoch nicht zu unterschätzen. „Die Regierung wird bei Evergrande deshalb entweder nicht zusehen, wie das Unternehmen ungeordnet in die Pleite schlittert oder es wird mit viel Geld versuchen, die Folgen einer solchen abzufedern“, meint Harald Oberhofer vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) gegenüber trend.at. Der Wirtschaftwissenschafter hält eine Zerschlagung des Konzerns, verbunden mit einer Beteiligung des Staates am wahrscheinlichsten. „Das würde in die aktuelle Strategie der chinesischen Regierung passen, den marktwirtschaftlichen Spielraum großer chinesischer Unternehmen zu beschränken und staatlichen Einfluss und Kontrolle zu implementieren.
Das Vorgehen Chinas hat System
So will Peking die Macht des Bezahldienstes Alipay mit mehr als einer Milliarde Nutzern einschränken. Der Konzern soll offenbar zerschlagen und das lukrative Kreditgeschäft ausgliedert werden. Die Nutzerdaten sollen teils Staatskonzerne übernehmen und die Regierung plant laut Medienberichten, eine eigene Plattform für das Kreditgeschäft aufzubauen. „In der EU wären solche Maßnahmen nicht so ohne Weiteres durchsetzbar und müsste erst wettbewerbsrechtlich abklärt werden.“ Eine weltweite Schockwelle, wie sie durch die Pleite der US- Lehmann ausgelöst wurde, nicht für wahrscheinlich. „Die kommunistische Führung hat die Möglichkeit, wesentlich schneller und stärker einzugreifen als ein demokratisch geführtes Land.“ Was sich auch beim harten Durchgreifen zur Bekämpfung der Pandemie gezeigt hat. „Die chinesische Wirtschaft hat deshalb selbst 2020 keinen Einbruch verzeichnet und ist unter dem Strich sogar leicht gewachsen.“
- Die Analysten des US-Investmentkonzerns AllianceBernstein (AB) halten das Unternehmen dennoch nicht für systemrelevant. „Trotz seines großen Bilanzumfangs beträgt sein Anteil am chinesischen Wohnungsmarkt nur vier Prozent
- 35 Prozent aller Schulden in China entfallen auf den Immobiliensektor
- China hat strenge Regeln aufgestellt, wer in welchem Ausmaß und wo Immobilien kaufen darf, um Immobilienspekulationen einzudämmen.
- Trotz steigender Verschuldung von Immobilienentwicklern und -Investoren rechnen Experten in den nächsten Jahren nur mit einem geringen Rückgang bei den Immobilienpreisen in China.
- Bei drohenden Peliten wird ein rasches und massives Eingreifen des chinesischen Staates erwartet, um soziale Verwerfungen in Grenzen zu halten.