Börse-Check Amazon + Tech-Werte: Sind die Aktienkurse am Zenit?
Mit Tech-Aktien konnten Anleger in den vergangenen Jahren viel Geld verdienen. Auch in der Corona-Krise haben die Titel enorm zugelegt. Doch angesichts des Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Titel ist die Frage, ob die aktuellen Bewertungen noch zu rechtfertigen sind.
Die US-Techbörse Nasdaq ist mit einem KGV von 40 sehr teuer und weit vom langjährigen Durchschnitt entfernt.
Mit Techaktien konnten sich Anleger in den vergangenen zwei Jahren eine goldene Nase verdienen. So hat sich der Kurs der US-Techbörse Nasdaq in dieser Zeit fast verdoppelt. Tech-Aktien zählten gerade während des Coronajahres 2020 zu den Profiteuren, hat die Pandemie doch erheblich zur Beschleunigung der Digitalisierung beigetragen. "2020 war auch an den Börsen ein ungewöhnliches Jahr, in dem nicht nur die etablierten Technologiewerte, sondern ebenfalls bislang unprofitable Zukunftstechnologien teils atemberaubende Bewertungen erreichten", konstatiert Michael Penninger, Investmentstratege bei der Schoellerbank.
Bewertungen weit über langjährigem Durchschnitt
Doch mittlerweile trägt der Techboom seltsame Züge. Die Nasdaq 100 ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 40 bewertet und damit weit vom langjährigen Durchschnitt von 21 entfernt. Natürlich kann sich ein hohes KGV schnell relativieren, wenn ein Unternehmen den Gewinn auf Jahressicht deutlich steigern kann. Doch dazu braucht es auf dem hohen Niveau, auf dem viele Techs sich bereits befinden, schon einiges.
Auch andere Indizes wie der breite US-Index S&P 500 (KGV weicht um 17 vom langjährigen Schnitt ab) oder der MSCI World IT (KGV Abweichung von 23) weisen im historischen Vergleich engagierte Bewertungsniveaus auf.

MSCI World Information Technology Index Entwicklung Jan 2006 - Jan 2021
Und manche Einzeltitel stellen diese hohen Bewertungen sogar noch weit in den Schatten. Laut einer Untersuchung der Schoellerbank weisen derzeit 39 Werte des Nasdaq 100 sogar ein KGV jenseits der 40 auf, weitere zehn Werte erwirtschaften derzeit überhaupt keinen Gewinn. Für das nächste Jahr wird noch immer von knapp 30 Prozent der Unternehmen mit einem KGV von über 40 gerechnet.
Bewertungsbeispiel Amazon
Der US-Technologieriese Amazon hat derzeit ein KGV von knapp 80, und für das nächste Jahr wird ein KGV von knapp 70 erwartet. Mittel- bis langfristig wird auch abseits des ursprünglichen Kerngeschäfts durch neue Geschäftsfelder wie Online-Apotheke oder den Cloud-Services mit hohen Wachstumsraten gerechnet. Tatsächlich waren die Amazon Cloud Services in letzter Zeit schon die gewinnträchtigsten des gesamten Konzerns. Nach der Ankündigung, dass der gegenwärtige Cloud-Chef Andy Jassy im dritten Quartal 2021 den CEO-Posten bei Amazon übernehmen wird, ist zu erwarten, dass es zu einer weiteren Stärkung dieses Geschäftszweigs kommt.

Amazon-Kursentwicklung 5 Jahre
Dennoch müsste man heute bei einem Investment für jeden Dollar des erwirtschafteten Gewinns 80 Dollar bezahlen, weil der Börsenkurs eben den Gewinn bereits um das 80-fache übersteigt. „Bei unveränderten Gewinnen hätte man sein Investment damit erst nach 80 Jahren durch die Gewinne zurückerhalten – und das auch nur, wenn der Gewinn voll ausbezahlt würde“, erläutert Investmentstratege Penninger. Um die Bewertung und damit ein Investment in Amazon auf Basis des KGVs zu rechtfertigen, seien dazu immense Wachstumszahlen notwendig.
Wie viel wäre wirklich nötig? Dazu ein Rechenbeispiel: Amazon erwirtschaftete im Jahr 2020 einen Gewinn von 21,3 Milliarden Dollar bei einem Umsatz von 386 Milliarden Dollar. Die Marktkapitalisierung lag bei unglaublichen 1,6 Billionen Dollar.
Unter der Annahme einer stabilen Umsatzrentabilität müsste Amazon seinen Umsatz verdoppeln, um das aktuelle KGV des Nasdaq 100 zu erreichen. Der Analystenkonsens zur Umsatzentwicklung weist laut dem Nachrichtendienst Bloomberg ein Umsatzwachstum von 22 Prozent für das Jahr 2021 und von 16,6 Prozent für das Jahr 2022 aus.
„Unter diesen Voraussetzungen würde es mehrere Jahre dauern, bis ein nachhaltigeres Bewertungsniveau erreicht wäre“, bemerkt Schoellerbank-Experte Penninger. Eine andere Möglichkeit wäre, die Marge auszuweiten, was von Analysten für die nächsten beiden Jahre auch erwartet wird. Der Anteil müsste jedoch erheblich sein.
Favoritenwechsel nur eine Frage der Zeit
Trotz der enormen Überbewertungen kann niemand einschätzen, wie lange die Börsen-Rallye noch weitergehen wird, weiß niemand. Die Geschichte zeigt aber, dass Übertreibungen einige Zeit anhalten können, bevor sie wieder abgebaut werden. Es hat immer dominante Unternehmen und Branchen gegeben, "früher oder später kam es aber jedenfalls zu einem Wechsel auf dem Branchenthron", analysiert Penninger.
Für Anleger lohnt sich nach Einschätzung der Schoellerbank jedoch auch ein Blick auf die hinteren Ränge: Technologiewerte sind kein homogener Sektor, und es lasse sich immer noch die eine oder andere fair bewertete qualitative Aktie finden. Doch es ist Vorsicht geboten: Um nicht in eine sogenannte Value-Falle („value trap“)* zu tappen, ist eine tiefgreifende fundamentale Betrachtung abseits der Bewertungskennzahlen notwendig. Die Risiken, in eine Value-Falle zu tappen, lassen sich jedoch reduzieren, wenn das betreffende Unternehmen eine gute Bilanz aufweist, einen kontinuierlich starken freien Cashflow erzielt, stabile Gewinne einfährt und sich gut gegen Konkurrenten behaupten kann.
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