Italien: Was die Wirtschaft zum Kollabieren bringen könnte

Italien muss am 13. November 2018 der EU ein neues Budget vorlegen. Experten erklären wie brandgefährlich eine Pleite Italiens für die EU wäre. Wie rapide die Wirtschaftsleistung des Landes seit der Finanzkrise abgesackt ist und wie enorm die Verschuldung im Vergleich zu anderen EU-Staaten ist. Welche Szenarien in Zukunft für Italien wahrscheinlich sind.

Italien: Was die Wirtschaft zum Kollabieren bringen könnte

Seit der Finanzkrise geht es mit der Produktivität Italiens rapide bergab.

Italiens Regierung muss am 13. November dieses Jahres der EU einen überarbeiteten Haushaltsentwurf vorlegen. Anleger sind entsprechend besorgt. Experten analysieren worauf sich Anleger in Zukunft gefasst machen müssen und erläutern warum Italien noch zu einem großen Problem werden kann.

Die teuren Wahlversprechen der italienischen Regierungskoalition sind in der EU mit Blick auf die üblichen Verträge zur Haushaltsdisziplin auf starke Kritik gestoßen. Die Finanzmärkte sind besorgt, dass das Ergebnis chaotisch ausfallen könnte, und die jüngsten Nachrichten aus Brüssel sind nicht ermutigend. Beide italienischen Koalitionsparteien stehen der EU seit langem kritisch gegenüber. Ihre Investitionspläne würden das Land abseits des EU-Stabilitätspakts führen.


Selbstmörderische Pläne

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat den umstrittenen Haushaltspläne der Italiener als "selbstmörderisch" bezeichnet. Die Gefahr sei, die politische Isolation Italiens in Europa. "Diese Haushaltspläne drohen Italien riesige Schäden zu verursachen", sagte Tajani. Abgesehen vom hohen Defizit seien die im Haushaltsplan enthaltenen Wachstumsziele unrealistisch. "Niemand glaubt daran, dass Italiens Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent oder gar 2 Prozent wachsen könnte", so der EU-Parlamentspräsident. Der Italiener meinte, die Regierung Conte habe noch bis Dienstagabend Zeit, um den Haushaltsplan zu ändern. "Vernunft muss über Arroganz siegen", so der Römer.

Geldstrafen drohen

Im Haushaltsentwurf ist für das kommende Jahr ein Budgetdefizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) vorgesehen. Die Vorgängerregierung hatte 0,8 Prozent in Aussicht gestellt. Italien droht deshalb ein EU-Defizit-Verfahren. Am Ende eines solchen Verfahrens könnten Geldstrafen in Höhe von bis zu 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung verhängt werden

1.200 Milliarden Euro Schaden erwartet

Grund für das Drama im Süden ist der gewaltige Schuldenberg. „Ein Ausfall Italiens in der Höhe des Schuldenschnitts in Griechenland würde einen Schaden von rund 1.200 Milliarden Euro bedeuten, das entspricht rund zehn Prozent des BIP der gesamten Eurozone“, so Thomas Steinberger, Geschäftsführer und Mitglied der Wissenschaftlichen Leitung von Spängler IQAM Invest. Selbst wenn nur die im Ausland gehaltenen Schulden tatsächlich ausfallen, beträgt der potenzielle Schaden über 700 Milliarden Euro. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone wäre im Falle einer Eskalation aufgrund der Höhe ihrer Verschuldung nach Einschätzung von Alexander Eberan, Vorstand der Krentschker Bank alleine über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Rettungsfonds) deshalb nicht mehr zu retten.

Italien ist in Europa das in Summe am höchsten verschuldete Land der EU. Aber auch Frankreich und Deutschland schieben in absoluten Zahlen gemessen einen großen Schuldenberg vor sich her.


Hohes Erpressungspotential

Für die EU bedeutet Italien aufgrund schon alleine wegen der hohen Schulden eine Gradwanderung. „Das Land hat ein enormes Erpressungspotenzial und ist offensichtlich auch bereit, die EU unter Druck zu setzen. Ganz nach dem Motto: Zahlt, oder wir gehen", so Franz Schellhorn, Direktor der Agenda Austria beim Investment Talk des Spängler IQAM Research Center in Wien. „Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird. Italien wird im Streit mit der EU-Kommission nicht nachgeben, da die Funktionsperiode der aktuellen EU-Kommission bald endet und die angedrohten Sanktionen mit 0,1 Prozent des BIP gedeckelt sind“, beschreibt Steinberger die Situation in Italien.

Wird Italien das zweite Griechenland werden?

Weitere Downgrades durch US-Ratingagenturen könnten eine akute Finanzierungskrise in Italien auslösen. Italien ist mit 2.310 Milliarden Euro Schulden der größte Schuldner in der Euro-Zone. Österreich hat im Vergleich dazu 289 Milliarden Euro Staatsschulden und Deutschland 2.043 Milliarden Euro. „Die europäischen Institutionen sind zwar für den Fall einer Staatsinsolvenz viel besser vorbereitet als im Jahr 2010. Die Frage ist jedoch, ob die italienische Regierung im Falle einer Staatsinsolvenz eher über ein Troika-Programm oder über den Austritt aus der Eurozone verhandeln möchte“, sagt Steinberger.

Opfer hausgemachter Probleme

„Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat Italien heute zwar niedrigere Staatsausgaben als vor der Krise. Das aber nur dank niedriger Zinsen. Italien ist kein Opfer der Austerität (Anm. strenge Sparpolitik zur Verringerung der Staatsverschuldung), sondern ein Opfer hausgemachter Probleme", so Schellhorn in seiner Präsentation. Italien leidet unter strukturellen Schwächen: „Italien leidet vor allem an der schwachen Produktivität seiner Wirtschaft. Das Problem lässt sich mit höheren Schulden nicht lösen, sondern nur mit engagierten Reformen", erklärt Schellhorn. „Der industrialisierte Norden Italiens ist eine im europäischen Vergleich reiche Region, hat aber seit der Finanzkrise Probleme im internationalen Wettbewerb“, ergänzt Steinberger.

Die Industrieproduktion in Italien ist im Verglich zu jener in Deutschland seit der Finanzkrise massiv zurückgegangen.

Wie das Problem lösen?

Es gibt unterschiedliche Szenarien, die in Zukunft eintreffen könnten. Erstens: Italien wird im Euro günstiger (freiwillige Deflation), kürzt Löhne, Pensionen und Staatsausgaben, investiert in Forschung und stärkt den Standort. Zweitens: Die Euro-Staaten werden teurer, Italiens relative Wettbewerbsposition verbessert sich. Drittens: Die Eurozone wird zur Transferunion, Eurobonds werden ausgegeben, der Norden haftet für die Schulden des Südens. Viertens: „Die Kapitalmärkte bringen Italien zur Vernunft“, so Schellhorn.

Anleihenrenditen von über vier Prozent würden Italo-Wirtschaft abstürzen lassen

Wie Italien reagiert, dürfte wohl stark von der Reaktion der Börse abhängen. „Die Anlegerstimmung wird letztendlich einen stärkeren Einfluss auf die italienische Regierung haben als Brüssel. Ein anhaltender Renditeanstieg auf über vier Prozent und ein Vertrauensverlust der Anleger ist eine Entwicklung, die die politische Stimmung verändern könnte", erwartet Geoffroy Lenoir von Aviva Investors.
In diesem Szenario könnte die italienische Wirtschaft in eine heftige Talfahrt geraten, da höhere Finanzierungskosten das Staatsdefizit und die Schuldenlast des Landes erhöhen würden.

Zunehmende Ängste vor weiter steigender Verschuldung haben zu Spekulationen geführt, dass Italien seinen Investment-Grade-Status bei den großen Ratingagenturen verlieren könnte. Das ist aber unwahrscheinlich - zumindest laut Aviva kurzfristig betrachtet.

Too big to fail?

Die Verschuldung dürfte nach Einschätzung von Krenschker-Boss Eberan jedoch weiter zunehmen, da die neue italienische Regierung durch diverse Maßnahmen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen oder dem Herabsetzen des Pensionsantrittsalters das Wirtschaftswachstum ankurbeln möchte. Weil dies aber mit einem deutlich höheren als vereinbarten Haushaltsdefizit einhergeht, hat der Streit mit der EU-Kommission bereits begonnen. Auch wenn diese medial breitgetretenen Informationen die Unsicherheit an den Märkten erhöhen, was deutlich an den gestiegenen Risikoaufschlägen italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen zu sehen ist, dürfte es aber wohl auch in dieser Krise nicht zu einer Eskalation kommen. Schließlich wissen nicht nur die Kommission, sondern auch die Italiener selbst, dass ein Austritt aus der Währungsunion fatal wäre. Italien ist zu sehr systemrelevant für den Fortbestand der Eurozone, oder mit anderen Worten: „too big to fail“.

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