Wallstreet-Reporter Markus Koch:<br> "Die Gier ist noch nicht ausgestorben"

Wall-Street-Reporter Markus Koch glaubt, dass der Tiefpunkt der Rezession überschritten ist. Schwellenländer-Aktien und US-Papiere stehen auf seiner Favoritenliste ganz oben.

FORMAT: Weltweit haben die Börsen in den vergangenen Wochen stark zugelegt. Ist das nur eine Bärenmarktrally oder doch der ersehnte längere Aufschwung?
Koch: In den USA begann die wirtschaftliche Stimulierung im März zu greifen. Aktien der größten Opfer der Krise sind zurzeit sehr gefragt. Der Aktienkurs von Citigroup – das Papier ist bei amerikanischen Online-Brokern momentan die meistgehandelte Aktie – stieg um 400 Prozent, General Electric hat um 100 Prozent zugelegt, die Alcoa-Aktie hat ihren Wert mehr als verdoppelt. Daran sieht man, dass die Gier noch nicht gestorben ist. Ich glaube, dass die Wall Street bis Jahresende weiter auf Erholungskurs bleibt.

Konjunktur weiter ankurbeln
FORMAT: Die US-Börsen haben bereits von November des Vorjahres bis Jänner 2009 positiv auf die Hilfspakete der Regierung reagiert. Dann folgte der Rückschlag. Was ist passiert?
Koch: Die Bärenmarktrally endete, nachdem Präsident Barack Obama Defizitkürzungen plante. Finanzminister Timothy Geithner stellte, ohne Details zu nennen, den Bankenrettungsplan vor. Das enttäuschte die Investoren. Es wurde nicht weiter stimuliert, der Aktienmarkt und die Konjunktur brachen wieder ein.
FORMAT: Was hat man daraus gelernt?
Koch: Die US-Zentralbank und der Staat haben jetzt ganz klar das Signal gesetzt, dass sie alles tun werden, um ein Netz über die Konjunktur und den Kapitalmarkt zu spannen. Die Ankurbelung der Konjunktur durch den Staat und die Zentralbanken muss weitergehen – zumindest bis sich nachhaltige Zeichen einer Wende zeigen.

"Japan bleibt Zockerbörse"
FORMAT: Wo sollen Anleger jetzt investieren?
Koch: Die Schwellenländerbörsen versprechen heuer die besten Ergebnisse. Auch rohstoffstarke Länder wie Kanada und Australien haben gute Karten. In China, Indien oder Brasilien wurde die Konjunktur zwar schwächer, trotzdem soll die Wirtschaft dort heuer um rund fünf Prozent wachsen. Ich bevorzuge US-Aktien gegenüber Papieren aus der Eurozone. Die Börse von Japan bleibt eine Zockerbörse und sehr gefährlich. Zusätzlich gehören jetzt Anleihen guter Unternehmen mit hoher Bonität in jedes Portfolio. Man muss aber weiter Vorsicht walten lassen.
FORMAT: Welcher Anteil eines Depots soll in Aktien investiert werden?
Koch: Ich habe jetzt rund 40 Prozent meines Geldes in Aktien investiert. Das ist für meine Verhältnisse eine eher konservative Positionierung. Ich glaube, wir werden einen ähnlichen Aktienmarkt bekommen wie in den 1930er- und 1970er-Jahren, wo es gewaltige Aufschwünge mit starken Korrekturen gab. Im Prinzip kann die Erholung aber weitergehen.

"Tiefpunkt bereits überschritten"
FORMAT: Viele Anleger haben Angst vor Inflation. Ist die Furcht begründet?
Koch: Inflation spielt in Europa emotional eine ganz andere Rolle als in den USA. Es ist jetzt zu früh, um über Inflation zu reden. Man muss erst das Feuer löschen und dann schauen, was passiert. Ich will kein Bild voller Sonnenschein malen, aber das Inflationsthema wird uns erst in zwei Jahren beschäftigen.
FORMAT: Sind die Interventionen zur Bekämpfung der Krise ausreichend?
Koch: Ich glaube, dass wir den Tiefpunkt der Rezession bereits überschritten haben. Weniger schlecht bedeutet aber noch lange nicht, dass alles gut ist. Die Konjunktur der USA, des Auslösers der Krise, erweist sich im Vergleich zu den anderen G7-Staaten als besonders widerstandsfähig. Auch China liegt gut im Rennen. Die Staaten, die aggressiv und sehr früh auf die Krise reagierten, nehmen den geringsten Schaden.

"Hoffnung statt Armageddon-Stimmung"
FORMAT: Worauf basiert Ihr Optimismus für Amerika?
Koch: Das Verbrauchervertrauen stieg bereits auf das höchste Niveau seit sieben Monaten, und der Zuspruch für Obama ist durch die Krise gestiegen. Im Jänner waren nur 15 Prozent der Amerikaner der Ansicht, dass sich die Konjunktur bald verbessert. Heute sind es fast 40 Prozent. Das Vertrauen kehrt langsam wieder zurück. Statt Armageddon-Stimmung herrscht jetzt wieder Hoffnung.
FORMAT: Wie steht es um Europa?
Koch: Schnelles Agieren und wenig debattieren ist bei der Krisenbekämpfung entscheidend. In der Eurozone wurde zu langsam und nicht entschlossen genug -gehandelt. Die EZB hat viel zu lange die Inflation bekämpft. Dazu kommt der überraschend starke Dollar, der Europa als Exportkontinent Probleme macht.
FORMAT: Schwebt über der US-Wirtschaft nicht noch immer das Damoklesschwert hoher Arbeitslosigkeit?
Koch: Seit 1960 haben alle Rezessionen mit einem deutlichen Rückgang der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe geendet. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Wir befinden uns jetzt in einer Übergangsphase.

Entwöhnung für Kredit-Junkies
FORMAT: Die US-Bürger haben zu sehr auf Pump gelebt und können ihre Schulden nicht mehr zahlen. Zeigt sich bereits Besserung?
Koch: Die Amerikaner waren historisch gesehen ein Volk der Sparer. 1982 betrug die Sparquote noch zwölf Prozent. Das entspricht dem langjährigen europäischen Niveau. Anfang der 1930er-Jahre bis 1994 lag die Sparrate in Amerika immer über fünf Prozent. Erst seit Beginn des Kreditbooms sank die Sparneigung dramatisch. Jetzt brauchen die Amerikaner, die zu Kredit-Junkies wurden, Zeit zur Entwöhnung.
FORMAT: Eine Entziehungskur ist eine leidvolle Erfahrung. Gibt es schon Anzeichen für eine Genesung?
Koch: In Amerika stieg die Sparquote in den vergangenen sechs Monaten bereits auf fünf Prozent. Wenn das so weitergeht, haben die Amerikaner schon in drei Jahren knapp 2.000 Milliarden Dollar auf der hohen Kante. Das würde bedeuten, dass die Verschuldung im Verhältnis zum Einkommen wieder auf das historische Maß zurückkehrt.

Interview: Robert Winter