Österreich nutzt die Gunst der Stunde

Der Ausgang der Wahlen in Frankreich und Griechenland hat die Situation in der Eurozone nicht einfacher gemacht. Allen Unsicherheiten der Region zum Trotz setzt Österreich darauf, dass Investoren dem Land Geld für die Dauer von 70 Jahren leihen werden.

Österreich ändert seine Gesetze, um im kommenden Jahr den Weg für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 70 Jahren freizumachen. Das hat die österreichische Schuldenagentur AFFA mitgeteilt. Damit könnte sich das Land rekordniedrige Finanzierungskosten für einen langen Zeitraum sichern. Zugleich kämen die Papiere Investoren wie Versicherungen zupass, die wegen strikterer Kapitalregeln und der gestiegenen Lebenserwartung der Versicherten an Ultralangläufern interessiert sind.

“Als Emittent wird Österreich enorm profitieren, wenn es sich die aktuell niedrigen Finanzierungskosten für die Dauer von 70 Jahren sichern kann”, sagt John Wraith, Stratege für Festverzinsliche bei Bank of America Merrill Lynch in London. Er habe keinen Zweifel, dass es ausreichend Nachfrage für solche Laufzeiten gebe, insbesondere von Investoren, die einen regelmäßigen Einnahmenstrom benötigten. Die Frage sei nur der Preis, ergänzte er.

Kein europäischer Staat hat Anleihen emittiert, die in mehr als 50 Jahren fällig werden. Österreichs Bond mit Fälligkeit 2062 rentiert mit 3,35 Prozent. Seit dem Emissionszeitpunkt im Jänner ist die Rendite bereits um einen halben Prozentpunkt gesunken. Die durchschnittlichen Finanzierungskosten Österreichs sind am 10. Mai auf rekordtiefe 2,397 Prozent gesunken, auch wenn Standard & Poor’s erstklassige “AAA“-Rating am 13. Jänner um eine Stufe herabgesetzt hatte.

Österreich ist langfristig solide finanziert

Die durchschnittliche Laufzeit der österreichischen Staatspapiere liegt nach Angaben der AFFA bei 8,5 Jahren im Vergleich zu 6,4 Jahren in Deutschland und 7,0 Jahren in Frankreich. Die Refinanzierungsquote lag im vergangenen Jahr bei 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), während der Durchschnitt für die Eurozone bei über zehn Prozent vom BIP liegt.

Kapitalvorschriften wie Solvency II für die Versicherungsgesellschaften, die die Kapitalreserven an die Risiken anpassen sollen, werden die Nachfrage nach Ultralangläufern aus der Eurozone erhöhen, erwartet Hannes Bogner, Finanzvorstand bei der Uniqa. Solvency II kommt spätestens 2014 zur vollen Anwendung. Bogner zufolge müssten die 70-jährigen Papiere allerdings einen Ertrag bieten, mit dem der Garantiezins für die Versicherungsnehmer abgedeckt werden könne.
In Österreich liegt dieser garantierte Mindestzins beispielweise für Lebensversicherungen bei durchschnittlich rund 2,8 Prozent bis 3,0 Prozent.

Oliver Bäte, Finanzvorstand bei der Allianz, Europas größtem Versicherungskonzern, sagte auf einer Konferenz im April, langfristig orientierte Investoren wie etwa Lebensversicherungen, benötigten Staatsanleihen, die mehr als 30 Jahre lang Zinszahlungen bieten.

Österreichische Staatspapiere mit einer Laufzeit von zehn Jahren oder länger haben den Investoren dieses Jahr einen Ertrag von 4,63 Prozent eingebracht. Damit haben sie eine bessere Entwicklung gezeigt als Bonds aus Euro-Staaten mit “AAA“- Rating, darunter Deutschland und die Niederlande. Das zeigen EFFAS-Indizes.

70 Jahre Laufzeit können Kapitalverlust bedeuten

Die Nachfrage nach 70jährigen Anleihen dürfte indes außerhalb der Versicherungs- und Pensionsbranche begrenzt sein. Etliche Investoren wollen ihr Kapital nicht für einen so langen Zeitraum zu derart niedrigen Renditen festlegen. “70 Jahre sind ein sehr langer Zeitraum, um sein Kapital festzulegen und der Kapitalverlust kann hoch sein, wenn wir in einen Bärenmarkt” mit fallenden Kursen kommen”, sagt Alan Brown, Berater bei Schroders Plc in London. “Auch wenn es ein super Geschäft für einen Staat ist, solche Bonds zu emittieren, für uns ist es womöglich kein gutes Geschäft”. Die Renditen seien sehr niedrig und auch wenn er nicht in nächster Zeit ein “Platzen der Bond-Blase” erwarte, so würden die Renditen doch irgendwann wieder steigen müssen, erläutert er.

Zu Bedenken sei auch, dass derartige Langläufer sehr empfindlich auf Veränderungen bei der Inflationserwartung reagierten, sagt Alexander Fleischer, Leiter Festverzinsliche Märkte bei der österreichischen Fondsgesellschaft Erste Sparinvest KAG. “Es gibt ein enormes Potenzial für Kursrisiken”.

Der Plan für 70jährige Anleihen sei eine strategische Anpassung an Nachfrage und Angebot, sagte die AFFA- Geschäftsführerin Martha Oberndorfer. Bei der Emission einer Reihe von 50jährigen Anleihen sei festgestellt worden, dass Nachfrage nach noch längeren Laufzeiten bestehe. In Folge der längeren Lebenserwartung der Menschen erhöhe sich die strukturelle Nachfrage der Investoren nach ultralangen Laufzeiten. Die Policen von Pensionsfonds und Lebensversicherungen hätten zunehmend eine Laufzeit von über 50 Jahren, ergänzte sie.

Österreich ein "Safe Harbor"?

“Österreich wird immer noch als ein relativ starkes Land angesehen”, sagt Michiel de Bruin, Leiter Euroländer- Staatsanleihen bei F&C Netherlands. Für Investoren mit langfristigen Zahlungsverpflichtungen gebe es derzeit nicht viele Alternativen, fügt er an.

Nicht nur in Österreich wird über Staatsbonds mit einer Laufzeit von über 50 Jahren nachgedacht. Auch in Großbritannien werden derartige Pläne geschmiedet, das erklärte Schatzkanzler George Osborne im März. Die britische Schuldenverwaltung signalisierte, sie werde möglicherweise schon in diesem Monat mit den Beratungen dazu beginnen.

Im August hatte Mexiko einen Renditerutsch bei den US- Finanzierungskosten genutzt und 100jährige Bonds im Volumen von 1,0 Mrd. Dollar und einem Kupon von 5,75 Prozent an den Markt gebracht.

Bloomberg/hahn