Alles was Sie über Crowdfunding wissen müssen...

Wenn Tony Blair, der britische Ex-Premier, heute eine seiner hochbezahlten Dinner-Speeches hält – so sagt man in der Londoner Polit- und Finanzwelt – geht man hin, weil es sich gehört. Wenn aber eine Rede von John Kay, dem britischen Star-Ökonomen, angesagt ist, muss man einfach dabei sein, weil dieser Mann wie kein anderer sagt, was Sache ist – ironisch, humorvoll, gnadenlos.

Alles was Sie über Crowdfunding wissen müssen...

Ende August hat auch die Alpbach-Gemeinde Gelegenheit, einer extra trockenen Analyse Kays zu lauschen. Der Professor der „London School of Economics“ wird in seiner Keynote zur „Zukunft der Unternehmensfinanzierung“ eines der gravierendsten Probleme infolge der weltweiten Wirtschaftskrise erörtern – die allgemeine Kreditklemme, also die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe an Firmen.

Gleich im Abstract seiner Rede fasst der gefeierte „Financial-Times-Kolumnist“ die Ausgangslage so zusammen: „Die Kapitalmärkte (und Banken) sind längst keine bedeutende Finanzquelle mehr für Unternehmens-Investitionen. Wir brauchen einen viel kürzeren, einfacheren Weg der Unternehmensfinanzierung.“ Einer dieser Auswege, gleichsam eine Art Massenflucht aus der Kreditklemmme, steht im Mittelpunkt der heurigen Finanzmarkt-Gespräche im idylischen Tiroler Alpendorf – der schier unaufhaltsame Vormarsch der Schwarmfinanzierung, besser bekannt als „Crowdfunding“. Was ist dran an diesem Megatrend?

1. Schreckgespenst Kreditklemme – bloß Panikmache oder doch reale Bedrohung?

Wer Kay kennt, weiß, dass er dem gängigen Erklärungsmuster für die unerquickliche Kreditklemme – die verschärften Eigenkapitalvorschriften für große Finanzinistitutionen spätestens seit Ausbruch der Krise – wenig abgewinnen kann. „Das Bankensystem ist in Wahrheit auf Handelsgewinne aufgebaut“, so sein Fazit in einer vielbeachteten Studie (2012) über britische und internationale Kapitalmärkte für die Bank of England. „Diese werden großteils mit geborgtem Geld auf Kosten der Zukunft generiert“ und viel weniger durch die oft mühsame, langfristige Kreditvergabe an die Realwirtschaft, die überdies – verglichen mit Zockergeschäften im Finanzmarkt-Casino – lediglich geringe Gewinnmargen verspricht. Dementsprechend düster fiel auch der jüngste Kreditbericht der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) aus, in dem es lapidar hieß: „Das Wachstum der Kredite österreichischen Banken an nicht-finanzielle Unternehmen war seit August vorigen Jahres wieder rückläufig und ging nach einer vorübergehenden Erholung von 3,4 auf 0,8 Prozent zurück“ (Stand April 2013).

Trotz dieses Engpasses an Unternehmenskrediten, deren Entwicklung etwa das Niveau des stagnierenden heimischen Wirtschaftswachstums widerspiegelt, sei die Lage laut OeNB in Österreich „noch weitaus besser als im Durchschnitt der Eurozone“. Dort ist die Jahresrate der Unternehmenskredite seit Juni 2012 überhaupt nicht gewachsen, sondern um 0,3 Prozent geschrumpft (siehe Grafik ).

Während die OeNB mit der Interpretation ihrer Daten naturgemäß zurückhaltend ist, spricht Gerhard Weinhofer, der Leiter des Gläubigerschutzverbandes „Creditreform“, in einer Mitte Juli präsentierten Studie ernsthaft Klartext: „Die Finanzierungsbedingungen haben sich verschärft. Und wir rechnen mit einer Verschlimmerung der Kreditklemme bis Ende 2013.“

2. Von Crowdfunding zu Crowdinvesting – ein Massenphänomen wird erwachsen

Die Idee, dass sehr viele Menschen freiwillig kleinere Geldbeträge in die Hand nehmen und bündeln, um damit ein Vorhaben zu realisieren, ist natürlich uralt. Doch was früher im Spendenwesen oder vereinzelt bei der Realisierung sozialer Gemeinschaftsvorhaben angesiedelt war, hat sich dank Internet ausgehend von den USA schwarmartig in alle Welt verbreitet. Nach etlichen erfolgreichen sozial-kulturellen Projekten ist Crowdfunding spätestens seit Mitte des vorigen Jahrzehnts in der Welt des Kommerz angekommen.

Und je restriktiver die Kreditinstitute in der Krise bei Unternehmensdarlehen vorgehen, desto mehr explodiert diese alternative Finanzierungsform. Vor allem für Start-up-Firmen sowie KMU, also 99 Prozent aller Unternehmen in Europa, wird Crowdfunding immer attraktiver. Denn obwohl sich ihr Finanzierungsbedarf meist in überschaubaren Größenordnungen bewegt (siehe Grafik „ Finanzierungsphasen “), sind die Banken ihnen gegenüber besonders streng. Creditreform-Chef Weinhofer berichtet von verstärkten Forderungen nach Sicherheiten wie nur schwer zu erbringenden Haftungs- und Bürgschaftserklärungen oder gnadenlosen Kreditzins-Erhöhungen.

Kommerzielle Crowdfunding-Plattformen, die dem Vorbild der erfolgreichsten Online-Anbieter wie etwa „Kickstarter“ in den USA, „Seedmatch“ in Deutschland oder „respekt-net“ in Österreich folgen (siehe „ Die wichtigsten Plattformen “), verkünden wegen dieser prohibitiven Kreditpraxis der Banken regelmäßig Rekord auf Rekord. So hat allein der 2009 gegründete Branchenprimus Kickstarter in den ersten beiden Jahren rund 100 Millionen Dollar Investitionskapital aus dem Schwarm verteilt.

Bereits 2011 wurden weltweit rund 450 Crowdfunding-Plattformen gezählt, die zirka 1,4 Milliarden Dollar aufgestellt haben. Im Vorjahr flossen über etwa 550 solcher Online-Marktplätze knapp zwei Milliarden Dollar in alternative Finanzierungskanäle. Und heuer soll dank dieser gut 20prozentigen Wachstumrate von Crowdfunding die Drei-Milliarden-Grenze geknackt werden, wobei ein Drittel dieser Summe laut EU-Schätzung in Europa anfällt.

In Österreich gilt zwar „respekt-net“ durch die Finanzierung der Transparenz-Initiave „Meine Abgeordneten“ als Vorreiter im Einsammeln von Schwarmgeldern. So richtig bekannt gemacht wurde es allerdings erst durch den streitbaren „Finanzrebellen“ Heini Staudinger. Der Waldviertler Schuhproduzent („GEA“) hatte seit 1999 von insgesamt 192 Freunden, Familienmitgliedern und Geschäftspartnern Kapitaleinlagen in Form von Darlehen in der Gesamthöhe von 2,979 Millionen Euro zu einem jährlichen Zinssatz von vier Prozent zur laufenden Finanzierung seines Betriebs entgegengenommen.

Das sind keine Kinkerlitzchen mehr. Crowdfunding in Größenordnungen wie dieser, konzentriert auf ein einziges kommerzielles Projekt, stellt inzwischen eine ernstzunehmende Herausforderung für das herkömmliche System der Kreditvergabe durch traditionelle Banken dar.

3. Crowdfunding – Bedrohung für das Finanzsystem oder Abzockfalle für kleine Anleger?

Heini Staudinger berichtet von mehreren „lautstarken, inquisitorischen“ Befragungen durch die österreichische Finanzmarktaufsicht, an deren Ende eine Verwaltungsstrafe von 10.000 und eine Beugestrafe von 2.000 Euro standen. Die Begründung: Seine Art von Crowdfunding widerspreche den Prospekt- und Einlagensicherungsvorschriften des heimischen Bankwesen und des Wertpapieraufsichtsgesetzes. Demnach brauchen Unternehmen, die sich über Direktdarlehen finanzieren, ab 100.000 Euro einen transparenten Anlegerprospekt. Weil aber solch aufwändiges Informationsmaterial gleich mal zwischen 25.000 und 50.000 Euro verschlingt, rechnet sich Crowdfunding in diesen Größenordnungen schlicht und einfach nicht.

Genau hier liegt der juristische Knackpunkt: Die einen finden diese Beschränkung ganz in Ordnung, weil sie kleine Schwarm-Anleger vor hinterlistigen Scharlatanen schütze. Beispielsweise der neue Chef der Raiffeisenbank International, Karl Sevelda: „Sobald das erste Crowdfunding-Projekt pleite macht, werden alle laut nach mehr Kontrolle schreien.“

Die anderen verbitten sich diese „Bevormundung durch Staat und FMA“, wie es Wortführer Heini Staudinger auf den Punkt bringt: „Von den 23 Millionen KMUs in der EU würden viele ohne die finanzielle Hilfe von Freunden und Verwandten nicht existieren, weil sie von den Banken kaum mehr Kredit bekommen. Die FMA schützt nur die Banken, die uns in die Krise gestürzt haben. Es geht in diesem Kampf nicht nur um eine Lösung für mich, sondern für alle.“

Anfang Juli 2013 haben SPÖ und ÖVP auf Staudingers forschen Novellierungsvorschlag („BürgerInnen-Darlehensgesetz“) reagiert und eine österreichische Lösung des Konflikts beschlossen: In Hinkunft wird die Prospektpflicht erst ab 250.000 Euro schlagend. Für die Wirtschaftskammer Österreich, die eine Anhebung dieser Crowdfunding-Barriere auf 750.000 Euro gefordert hatte, ein enttäuschendes Ergebnis. Für den Waldviertler Schuhfabrikanten schlichtweg „Peanuts“ – er weist unverdrossen darauf hin, dass Crowdfunding-Investments ohne strenge Prospektauflagen bis zu einer Obergrenze von fünf Millionen Euro mit gültigem EU-Recht konform gingen.

4. Von Crowdfunding zu Crowd-Lending – produziert der Schwarm die nächste Blase?

Die Debatte über Fluch und Segen von Crowdfunding könnte sich allerdings schnell als Nebenschauplatz herausstellen. Denn inzwischen werden die Online-Schwarmplattformen nicht nur als alternative Form der Unternehmensfinanzierung genutzt, sondern auch als einfacher Weg zu schnellen Privatkrediten. Allein in Großbritannien hat sich dieser bislang ungeregelte Markt, der die Grenze zur Welt der Kredithaie hart auslotet, für dieses digitale „Crowd-Lending“, so der Fachjargon, seit 2010 auf etwa 550 Millionen Pfund verdreifacht. 2016 soll er eine Milliarde Pfund schwer sein.

Für John Kay ein Horrorszenario: „Jetzt beruht schon das Banken-Geschäftsmodell auf Fremdkapital. Nun auch noch Crowd-Lending. Die nächste Krise bricht dann aus, wenn das viele geborgte Geld zurückgezahlt werden muss.“