Social Trading via Wikifolio: Die Finanzrebellen kommen

Mit Hilfe der Internetplattform Wikifolio kann jeder Zertifikate erstellen, die an der Börse gehandelt werden. Das demokratisiert die Finanzwelt - und birgt Gefahren.

Social Trading via Wikifolio: Die Finanzrebellen kommen
Social Trading via Wikifolio: Die Finanzrebellen kommen

Richard Dobetsberger, Wikifolio-Trader: "Mir kann jeder folgen, der Lust darauf hat. Aber die Verantwortung dafür trägt er selbst."

Eigentlich hat Richard Dobetsberger Molekularbiologie studiert. Doch nun verwaltet der 33 Jahre junge Oberösterreicher ein Portfolio, in das andere Menschen über acht Millionen Euro investiert haben. Die Aktien seines Zertifikats mit dem Namen Umbrella verwaltet er über den PC oder am Smartphone. Dabei ist er weder an einen Ort noch an einen Dresscode gebunden: Das Interview mit FORMAT führt er über den Internettelefoniedienst Skype aus San Diego, wo er gerade ein MBA-Studium zu Finanzwirtschaft absolviert. Während Bankberater an Anzug und Krawatte gebunden sind, trägt Dobetsberger, der im Web unter dem Namen "Ritschy" auftritt, ein einfaches T-Shirt.

Von Äußerlichkeiten darf man sich aber nicht täuschen lassen: Umbrella hat seit seinem Start im September 2012 knapp 280 Prozent an Wert gewonnen - und damit schlägt Dobetsberger so manchen Profitrader. Doch wie kommt es überhaupt, dass ein Biologe ohne fundierte Finanzausbildung derartige Produkte anbieten kann?

UMBRELLA. Mit seinem Vorzeigeprodukt setzt Richard Dobetsberger auf moderne Unternehmen wie Tesla und Apple.

Ermöglicht wird dies über sogenannte "Social Trading"-Plattformen, zu denen neben internationalen Playern wie eToro und Ayondo auch das Unternehmen Wikifolio gehört, das seinen Sitz im neunten Wiener Gemeindebezirk hat. Hier kann jedermann als Trader ein Portfolio - ein sogenanntes Wikifolio - anlegen, das eine Mischung aus verschiedenen Finanzprodukten ist. Erfüllen die Wikifolios gewisse Kriterien, so bekommen sie eine eigene ISIN und können an der Börse Stuttgart gehandelt werden.

Rund 10.000 Wikifolios wurden laut Geschäftsführer Andreas Kern seit der Gründung im Jahr 2012 angelegt; in über 3.000 kann man investieren, bisher flossen knapp 420 Millionen Euro in die Anlageprodukte.

Investiert man als Privatperson in ein Wikifolio, zahlt man eine Performancegebühr, die zwischen fünf und zehn Prozent des Gewinns beträgt, davon geht die Hälfte an Wikifolio. Den Rest bekommt derjenige, der das Produkt zusammengestellt hat. Meist sind das unter 1.000 Euro im Monat. Die Trader werden mit Wikifolio also nicht reich, aber ein nettes Zubrot ist es allemal. Wikifolio selbst macht einen Jahresumsatz im mittleren einstelligen Millionenbereich.

Zahnarzt als Trader

"Durchschnittlich fließen bei Wikifolio 5.000 Euro pro Investition", sagt Kern: "Das bisher größte Einzelinvestment belief sich auf 400.000 Euro." Die Investoren sind großteils Männer zwischen 30 und 40 und "wollen selbst über ihre Finanzen bestimmen" (Kern). Denn alle Wikifolios zeigen transparent, welche Produkte sie enthalten - von hoch spekulativen Anlagen bis zu konservativen Investments.

Entsprechend groß ist auch die Bandbreite an Tradern, die Wikifolios anlegen . Neben dem Biologen "Ritschy" Dobetsberger gibt es etwa den Wiener Zahnarzt "MacMoney".

Seinen bürgerlichen Namen möchte der 56-Jährige nicht verraten: "Weil es in Wien viele Neider gibt.""MacMoney" tradet, weil er sich zusätzlich zu seinem Brotberuf für Finanzen interessiert. Sein frei verfügbares Kapital hat er zu je einem Drittel in Kunst, Immobilien und Aktien gesteckt. "Aktien sehe ich nicht als Spekulation, sondern als Investition in das Unternehmen", sagt er. Dementsprechend handelt er eher konservativ.

Kleinst aber feinst. "MacMoney" setzt auf Werte wie die Pharma-Aktie Biofrontera oder das Tech-Unternehmen Adva.

Im Gegensatz zum ehemaligen Bankangestellten Sebastian Reese, der unter seinem bürgerlichen Namen auftritt. Reese arbeitet seit 2004 als hauptberuflicher Daytrader. Mit dieser Aktivität erwirtschaftet er den Großteil seines Einkommens. Wikifolio ist für ihn "ein kleiner Bonus". Seine Herangehensweise besteht aus Charttechnik und antizyklischen Investments - im Gegensatz zu "Ritschy" und "MacMoney", die mehr auf Fundamentalwerte und das Marktumfeld achten und die technische Analyse vernachlässigen.

SR wisdom capital spekulativ. Sebastian Reese setzt auf Charttechnik und antizyklisches Handeln.

Doch Social Trading findet nicht nur Anhänger. Harte Worte fand jüngst der Finanzanalyst Antonio Sommese, der Social-Trading-Plattformen mit Online-Spielbanken verglich. Wer sein Geld bei solchen "Hobby-Investmentbankern" anlege, so Sommese, laufe angesichts der mangelnden Finanzbildung Gefahr, am Ende einen Totalverlust zu erleiden. Sommese untermauert dies mit einer Studie des Massachusetts Institutes of Technology (MIT). Demnach haben zwischen 2010 und 2012 lediglich 16 Prozent der über die Social-Trading-Plattform eToro abgewickelten Handelsaufträge überhaupt Gewinne hervorgebracht. Das heißt, 84 Prozent aller Deals waren Verlustgeschäfte.

Auch etablierte Banken sehen Social Trading nicht als Anlageinstrument für die breite Masse. "Banken sind heute stark reguliert. Das bedeutet, dass sie ihren Kunden Sicherheit bieten können", heißt es etwa von der Bank Austria. Plattformen wie Wikifolio zielten hingegen auf eine andere Klientel ab als jene, die etwa von der Bank Austria im Private Banking betreut wird.

Von der Wikifolio-Gemeinde wird der Kritik entgegengesteuert. Unternehmensgründer Kern verweist etwa darauf, dass auch viele Ex-Banker und Fondsmanager unter den Wiki-Tradern seien und dass alles transparent sei. Der Investor könne nachvollziehen, wann er wie viel in welches Wertpapier investiert habe. Missbrauch werde ausgeschlossen, zumal sich die Trader mit Lichtbildausweis registrieren müssen und klare Vorschriften haben.

"MacMoney", der tradende Zahnarzt, betont, dass es zwar überall schwarze Schafe gibt, in seinem Fall aber die Lebenserfahrung -seine ersten Aktien kaufte er mit 19 Jahren -mehr wert sei als jede Ausbildung.

Der frühere Banker Reese hat mit seinen Wikifolio-Investoren nicht nur positive Erfahrungen gemacht. Er wurde etwa via Facebook damit konfrontiert, dass jemand mit seinem Produkt Geld verloren hatten "Davon muss man sich distanzieren. Ich darf keine Anlageberatung machen", sagt er. Ähnlich argumentiert "Ritschy" Dobetsberger: "Mir kann jeder folgen, der Lust darauf hat", sagt er: "Aber die Verantwortung trägt er selbst."

"Ritschy" hat auch in sehr konservative Produkte wie Bausparer, Sparbuch und eine Lebensversicherung investiert. Solange beide Systeme ihre Berechtigung haben, wird es beide geben", sagt der Biologe: "Wenn dann irgendwann eines ausstirbt, ist das Evolution."

Zur Person: Andreas Kern hat die österreichische Social Trading-Plattform Wikifolio im Jahr 2012 gegründet. Davor sammelte er mehr als zehn Jahre lang Erfahrungen in der Finanz-und Paymentbranche, unter anderem als Geschäftsführer der paybox austria GmbH und als Gründer des Payment-Anbieters payolution. Er hat technische Mathematik studiert und sieht sich als Generalist für Marketing, Sales, IT und Finanzen.