Voestalpine CEO Wolfgang Eder: "Wir müssen Ballast abwerfen"
FORMAT-Interview: Voestalpine CEO Wolfgang Eder über den zähen Kampf um Kosten und die Motivation der Mitarbeiter, die Folgen der Russland-Sanktionen und den Umsatzmotor Mobilität.

Format: Herr Dr. Eder, Sie stehen seit mehr als zehn Jahren an der Spitze der Voestalpine. Waren die Herausforderungen vor zehn Jahren größer als die aktuellen?
Wolfgang Eder: Bis Herbst 2008, bis zur Lehman-Pleite, war unser Geschäft, verglichen mit heute, gleichsam ein Selbstläufer. Man konnte in dieser Boomphase kaum etwas falsch machen. Dann war man über Nacht zu vorher nicht gekannten Maßnahmen gezwungen. Der Fokus galt plötzlich nur mehr der Kosteneffizienz und der Sicherstellung der erforderlichen Kreditlinien. Ich hatte Bedenken, dass unsere Mannschaft, die durch viele gute Jahre erfolgsverwöhnt war, mit dieser neuen Extremsituation nicht umgehen kann. Gott sei Dank habe ich mich getäuscht. Binnen zwei Wochen war allen klar: Jetzt gehts ans Eingemachte. Wir haben damals mehrere Szenarien entworfen, wovon das schlimmste glücklicherweise nicht eingetreten ist, aber es blieb dennoch eine extreme Herausforderung.
Und welche großen Herausforderungen sind in der Zeit nach Lehman zu bewältigen?
Eder: Wir haben seit 2011 eine Konjunkturentwicklung, die man bestenfalls als lauwarm bezeichnen kann. Obwohl uns immer der große Aufschwung vorhergesagt wird.
Klingt da leise Kritik an den Wirtschaftsforschern durch?
Eder: Vielleicht. Die immer wiederkehrenden positiven Prognosen erinnern mich ein bisschen an das Pfeifen im finsteren Wald.
Wie geht man als Unternehmen mit dieser fehlenden Guidance um?
Eder: Man kann sich letztlich - unabhängig vom konjunkturellen Umfeld - nur verbessern, wenn man permanent Kosten und Effizienz im Auge hat. Innovationskraft und Technologieführerschaft sind langfristig wichtig, kurzfristig entscheidet aber die Kostenposition. Und hier liegt die große Herausforderung für Manager: Wie schaffe ich es, dass die Mannschaft unter dem Dauerdruck nicht resigniert?
Und wie machen Sie das?
Eder: Man muss Dinge ganz offen ansprechen und den Mitarbeitern reinen Wein einschenken, ihnen also sagen: "Es wird Jahre dauern, bis es wieder leichter wird. Es ist ein täglicher Kampf, um auf lange Sicht Arbeitsplätze zu sichern. Aber wir sind erfreulicherweise auch in einer Situation, in der der Erfolg des Unternehmens, also, Benchmark für die Branche zu sein, für alle stark motivierend wirkt. Und wichtig ist, dass alle Mitarbeiter Aktien am eigenen Unternehmen besitzen und damit am Erfolg beteiligt sind.
Sie haben das Thema Kosten angesprochen. Sie wollen in den nächsten drei Jahren 900 Millionen Euro einsparen. Wie genau?
Eder: Unsere Kernprozesse sollen schneller, Lager reduziert, die Logistik effizienter werden. Energie- und Rohstoffeffizienz werden gesteigert werden, neue globale Brandingkonzepte zur besseren Marktdurchdringung werden umgesetzt und vieles mehr.
Auch das Thema Russland wird Sie wohl noch eine Weile beschäftigen. Wie sehr wird denn die Voestalpine von den Wirtschaftssanktionen getroffen werden?
Eder: Russland ist für uns kein Kernmarkt (Anm: 17.-wichtigster Markt), aber ein interessanter Markt für einzelne Projektgeschäfte, etwa bei großen Bahn- oder Pipelineprojekten. Wir möchten dieses Geschäft nicht missen, sind davon aber nicht abhängig.
Wie stehen Sie denn grundsätzlich zu den Sanktionen gegen Russland?
Eder: Wirtschaftssanktionen als Antwort auf kritische politische Entwicklungen sind seit langer Zeit ein Instrument der Politik, und ich halte es daher für müßig, sie im Grundsatz zu diskutieren, sie sind ein Faktum des politischen Lebens. Aber dieses Instrument muss absoluten Sondersituationen vorbehalten bleiben, es kann nur letztes Mittel sein.
Wie sehr beschäftigt Sie das Thema Rechtssicherheit? Sie wollen ja in den nächsten Jahren in China etliche weitere Werke eröffnen. Haben Sie da keine Bedenken?
Eder: Man muss den Chinesen zugute halten, dass sie sehr lernfähig sind. Der Umgang Chinas mit ausländischem Kapital und Know-how ist lange nicht mehr so wie vor zehn, 15 Jahren. Wir sind ja schon relativ lange vor Ort und haben bisher keine gröberen negativen Erfahrungen gemacht. Unsere derzeit 23 Standorte funktionieren gut. China hat sich in Sachen Rechtssicherheit zuletzt als verlässlicher erwiesen als so manches europäische Land.
Wie wichtig wird China in zehn Jahren für für die Voestalpine sein?
Eder: Wir erwirtschaften heute in der Region an die 500 Millionen Euro Umsatz. In zehn Jahren, wahrscheinlich früher, wird es das Drei- bis Vierfache sein. Wir sind dort vor allem für europäische Automobilhersteller tätig, zunehmend aber auch für lokale Firmen aus verschiedensten Branchen.
Gehen Sie also davon aus, dass die Autoindustrie in zehn Jahren noch der Hauptabnehmer der Voestalpine sein wird?
Eder: Ja, wir erwarten, dass wir schon 2020 mindestens 50 Prozent unseres Umsatzes mit Mobilität, also Auto, Bahn und Flugzeug erwirtschaften. Derzeit sind es 46 Prozent. Möglich ist das, weil wir imstande sind, sehr leichte, aber hochfeste Stahlkomponenten zu bauen, die andere Werkstoffe ersetzen können. Neben der Mobilität zählt auch die Energie mit einem derzeit 15-prozentigem Umsatzanteil zu unseren Hauptwachstumsbereichen.
Apropos Energie: Für Sie ist Fracking vorstellbar. Sollte das auch in Österreich angegangen werden?
Eder: Das muss die Politik unter Berücksichtigung der europäischen Interessen entscheiden. Nur so viel: Jedes Bohrloch, das wir in Europa zulassen, verringert unsere Abhängigkeit von Gas aus dem Osten. Man sollte sachlich an das Thema herangehen und das von unter zwei Bedingungen: Zum einen, dass nicht die traditionelle Art des Fracking wie es in den USA praktiziert wird, sondern "Clean Fracking, der umweltschonende Prozess, zur Anwendung kommt. Und natürlich muss klar sein, dass dieses Verfahren nicht in dicht besiedeltem Gebiet eingesetzt wird.
Wie müsste denn Ihrer Meinung nach TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, aussehen, damit Sie zufrieden wären?
Eder: Es darf jedenfalls keine Einschränkungen für europäische Qualitäts- und Sicherheitsstandards bedeuten. Vom Grundsatz her halte ich ein solches Freihandelsabkommen für richtig, da dadurch die Wahlmöglichkeiten für Konsumenten enorm steigen und die Handelsbeziehungen zwischen den Wirtschaftsräumen transparent werden, d. h. nach völlig identen Grundsätzen ablaufen und nicht einseitig willkürlich geändert werden können. Das Problem ist, dass man viel zu wenig über den aktuellen Verhandlungsstand weiß, die Gespräche ausschließlich hinter verschlossenen Türen stattfinden. Ich halte das gegenüber den Menschen in Europa für unklug, ja, provokant.
Sie errichten in den USA gerade ein großes Werk. Was machen die USA besser als Europa, abgesehen von der Energiepolitik?
Eder: Ich finde, in Ausbildung und Engagement der Menschen ist Europa immer noch führend. Wenn wir in der Wirtschaft hinterherhinken, dann liegt das nicht am Wissen der Europäer, sondern an den Rahmenbedingungen. Zurzeit verliert Europa zu viele gut ausgebildete, leistungsorientierte junge Menschen an andere Regionen. Diesen Braindrain gilt es umzudrehen. Europa muss wieder attraktiv für junge Arbeitskräfte werden. Bildung, Forschung und Entwicklung müssen massiv verstärkt werden, gleichzeitig gehört die Bürokratie abgebaut. Wir müssen in vielen Bereichen Ballast abwerfen, brauchen wieder mehr Eigenverantwortung, weniger Staat. Und die Steuern auf Einkommen müssen schon aus motivatorischen Gründen massiv gesenkt werden, quer durch alle Einkommen.
Wie sieht die Voestalpine in zehn Jahren aus?
Eder: Ich bin mir sicher, dass die Zentrale weiter in Österreich sein wird. Aber der europäische Umsatzanteil wird von aktuell noch mehr als 75 Prozent dann auf unter 50 Prozent gesunken sein. Wir werden sicher in jeder Beziehung um vieles internationaler sein als heute und in einigen außereuropäischen Märkten wohl auch deutlich besser verdienen als in Europa - und damit die Zukunft auch der europäischen Standorte sichern.
Zur Person
Wolfgang Eder, 62, steht seit 2004 an der Spitze der Voestalpine. Seit 1978 ist der studierte Jurist in mehreren Funktionen im Unternehmen tätig. Sein Vertrag als CEO der Voestalpine, die zuletzt mit mehr als 48.000 Mitarbeitern 11,2 Milliarden Euro umsetzte und 790 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete, läuft noch bis 2019. Eder hat in der Vergangenheit mit Kritik an der heimischen Politik nicht gespart. Diese Kritik wollte er in diesem Interview bewusst nicht wieder erneuern.