Wachstumsschmerzen bei Amazon.com
Die ständige Vorwärtsstrategie von Amazon-Boss Jeff Bezos stößt an ihre Grenzen. Statt der Eroberung neuer Länder fordern die Investoren mehr Profitabilität.

Um eine Bewertung von Amazon gebeten, fand Günter Wallraff in der "Zeit unlängst klare Worte: "Unter aller Sau: minus 1 bis 0. Aus dem Mund der Aufdeckerlegende kommt das wenig überraschend, spiegelt aber doch den Stimmungswandel gegenüber dem Versandgiganten wider. Jahrelang als einzigartige Internet-Erfolgsstory bestaunt, wird die Kritik am größten Buchhändler der Welt immer lauter. Und zwar sowohl von Kunden als auch von Investoren, was für Amazon gefährlich werden könnte.
Das große Problem von Amazon-Chef Jeff Bezos: Die Investoren zweifeln an seiner Vorwärtsstrategie des unbedingten Wachsens in immer neue Märkte und Länder. Und die jüngsten Quartalsergebnisse bestätigen sie: Der operative Verlust fiel mit 126 Millionen Dollar mehr als doppelt so hoch aus wie erwartet und soll sich laut Amazon-Finanzchef demnächst auf 410 bis 810 Millionen auswachsen. Die Aktie brach ein, viele Anleger flüchteten. Da schufen auch perfekt orchestrierte PR-Aktionen wie die Drohnenzustellung und das erste eigene Smartphone kein Vertrauen.
Im Gegenteil: Bei den Kunden kommt der Dauerclinch mit den Gewerkschaften um die Arbeitsbedingungen bei Amazon immer schlechter an. Gekippt war die Meinung im deutschsprachigen Raum im Nachklang einer ARD-Reportage Anfang 2013. "Viele Kunden kommen direkt mit dem Amazon-Ausdruck zu uns und sagen: Wir wollen bei Ihnen kaufen, sagt Stefan Mödritscher, Geschäftsleiter der Buchhandlung Morawa. "Seit dem TV-Beitrag sind es mehr geworden, definitiv.
Zahlen:
Der Umsatz lag im letzten Quartal bei 19,3 Milliarden Dollar, der Verlust bei 126 Millionen - und er soll weiter steigen.
Und schon droht die nächste Welle. Die deutsche Gewerkschaft hat sich mit Zugeständnissen nicht abspeisen lassen und kündigt für die nächsten Wochen erneut die Bestreikung der neun Versandzentren an - und stimmt sich mit den Gewerkschaften aus Polen, Tschechien, Großbritannien und den USA ab. Der Konzern soll die Karte "Standortverlagerung nicht so einfach spielen können. Dazu passt, dass Jeff Bezos im Frühjahr vom internationalen Gewerkschaftsbund zum "schlechtesten Chef der Welt gekürt wurde, der an vorderster Front stehe, "wenn es um Arbeitsbedingungen und Steuervermeidung geht. Bezos hat jedoch ohnehin andere Themen. Seine große Vision: so ubiquitär zu werden, dass der Kunde keine Alternative mehr in Betracht zieht. Dafür investiert er jetzt zwei Milliarden Dollar in Indien, "den Markt, wo wir die eine Milliarde Umsatz am schnellsten erreichen werden.
Wachsen und Märkte besetzen, das ist das Lieblingsmantra des Amazon-Gründers. Doch die Investoren wollen mittlerweile etwas anderes hören: Amazon muss langsam profitabel werden. Zwar wächst der Umsatz, aber das vor allem bei Produkten mit niedrigen Margen wie Elektronik oder überhaupt bei Dritthändlern, die über Amazon verkaufen.
Kampf um Rabatte
Analysten interpretieren auch die Gefechte, die sich der Konzern seit Wochen mit europäischen Verlagen liefert, in diese Richtung: Amazon will bei der Belieferung mit E-Books höhere Rabatte (statt 30 in Zukunft 50 Prozent) und erpresst seine Verhandlungspartner, indem es Bücher verzögert ausliefert. Begründung: "E-Books sollten für die Kunden günstiger sein als die Printversion. Denn bei digitalen Büchern entfallen Druck- und Frachtkosten, Lagerung und Retouren. Das sollte sich auch in den Einkaufskonditionen der Händler bei den Verlagen widerspiegeln. Es geht also nicht um den Endkundenpreis. Die Verleger opponieren und sehen sich mit ihrem Dienstleistungspaket rund um das Buch als Kulturvermittler mit Qualitätsanspruch.
E-Commerce:
Der Umsatz wächst vor allem wegend er Dritthändler, die über Amazon verkaufen.
Je nach Konfliktfeld und Gegner "spielt Amazon mit seinen wechselnden Rollen. Bei den Kollektivvertragsverhandlungen ist man "nur Logistiker, bei den Verlagen "nur ein Buchhändler. Bei den Autoren präsentiert Amazon sich aber auch als Verleger, der mit verlockend hohen Margen Autoren für das Amazon-Publishing begeistern will.
In den Feuilletons wird seit Monaten leidenschaftlich darüber gestritten, ob das nun das Publizieren der Zukunft oder der verhängnisvolle Pakt mit dem Monopolisten ist. Illustriert sind diese Debatten meist mit denselben Erfolgsbeispielen: Autoren, die sich dank Selbstvermarktung über soziale Netzwerke und Amazons Marktmacht Zehn-, manchmal auch Hunderttausende Leser heranziehen - in den meisten Fällen mit erotischer Frauenliteratur ("Mommy-Porn), Fantasy-Serien und leicht verdaulicher Massenware. Genial? Trivial?
Marke:
Mit den großen Technoogiemarken kann Amazon noch nicht mithalten, konnte aber zuletzt zulegen.
All you can read
Amazon geht es um Skaleneffekte. Für den Konzern ist das Buch wie jede andere digitale Ware, die man jetzt sogar im Flatrate-Abo anbieten will. Blöd nur, dass die fünf großen US-Verlage diesem All-you-can-read-Modell noch nichts abgewinnen können und dem Konzern damit ein Verkaufsargument nehmen. Amazon spielt auf Zeit und arbeitet derweil an seiner wichtigsten "Auslage, den Kindle-Geräten und -Smartphones, die zu Dumpingpreisen in den Markt gedrückt werden, damit die Kunden darüber Filme, Spiele und Musik einkaufen können - ohne schmerzhafte Logistikkosten.
Der Plan: die billigere Alternative zu Apple und Netflix zu sein. Eine Strategie, die Amazon teuer kommt und auch die hohen Verluste erklären soll. Als Unterhaltungsmarken sind die anderen Marken besser positioniert. Amazon muss hier aber noch kräftig investieren - in exklusive Deals (wie mit dem HBO-Sender) oder in die eigenen Filmstudios. Wieder einmal ist also Bezos Antwort auf strukturelle Probleme die Flucht nach vorn, in neue Wachstumsmärkte und neue Geschäftsfelder.